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Das durchwachsene Abschneiden der Deutschen in Sydney

    Gerner: Der Erfolg von Nils Schumann über die 800 Meter gestern hat wachgerüttelt, hat Lust auf mehr gemacht. Aber Olympia ist fast schon wieder zu Ende, und so sehr man über Sinn und Unsinn von Medaillenspiegeln reden kann, das deutsche Team ist insgesamt bisher deutlich hinter den selbst gesteckten Erwartungen zurückgeblieben. Über Gründe dafür will ich jetzt reden mit Julius Beucher, SPD-Mitglied im Bundestag und Vorsitzender des Sportausschusses dort. Schönen guten Morgen!

    Beucher: Herr Beucher, vor vier Jahren war Deutschland auf Platz 4. Jetzt ist Platz 8 wahrscheinlich das, was am Ende mehr oder weniger herauskommt. Platz 4 ist nicht mehr drin. Ähnlich wie in vielen Weltwirtschaftsranglisten die Frage: ist Deutschland nur noch Mittelmaß?

    Beucher: Nein. Man muss sich, wenn es auch keiner wahr haben will, von den Medaillenspiegeln lösen können. Wer heutzutage bei Olympia vierter, fünfter oder sechster wird, gehört zur Weltspitze. Es sind manchmal nur Hundertstelsekunden, wo es sich entscheidet, ob jemand Gold bekommt oder fünfter wird. Das muss bei dieser ganzen Diskussion natürlich mit berücksichtigt werden.

    Gerner: Ein ungewöhnlich großer Teil der Medaillengewinner kommt oder ist aufgewachsen im Osten der Republik. Profitieren wir dort vom DDR-Erbe und wie lange noch?

    Beucher: Wir profitieren mit Sicherheit vom DDR-Erbe, was die Tradition der Kinder- und Jugendsportschulen der früheren DDR angeht. Dort sind 32 sportbetonte Schulen, die wir heute haben, davon 22 auf dem Gebiet der neuen Länder und 10 auf dem Gebiet der alten Länder, für ein flächendeckendes Nachwuchs-Sichtungssystem offensichtlich zu wenig. Das ist eine der Herausforderungen, denen wir uns auch sportpolitisch nach Olympia 2000 zu stellen haben.

    Gerner: Franziska van Almsick und der zweimalige Olympiasieger im Bahnradsprint Robert Bartko bedauern die Zerschlagung des DDR-Sportsystems. Haben Sie Sympathie dafür?

    Beucher: Pauschal kann man vom DDR-Sportsystem und dessen Zerschlagung nicht reden. Wenn ich heutzutage in der Weltspitze mitfahren, mitlaufen, mitspringen will, dann muss ich sehr früh die möglichen Spitzenathleten herausfiltern. Ich muss praktisch schon im Kindergarten und in der Grundschule sehen und aussuchen können. Dass es dort beim Talentsichtungswettbewerb Defizite gibt, das kann man nicht wegdiskutieren.

    Gerner: Das heißt, Herr Beucher, um das auf den Punkt zu bringen, Sie fordern verstärkte Elitenführungen schon im jungen Alter?

    Beucher: Wer sich zum Leistungssport ohne wenn und aber bekennt kann nicht warten, bis einer Sieger bei den Bundesjugendspielen wird. Damit muss sehr früh begonnen werden.

    Gerner: Der deutsche Spitzensport, Herr Beucher, wird gefördert nach dem Prinzip "mit jeder Medaille gibt es mehr Fördermittel für eine Sportart". Den Sportarten, die leer ausgehen, werden die Mittel gekürzt. Ich frage mich, ob das fair und sinnvoll ist, weil im Grunde ist das ja eine Bestrafung für Sportarten, die man wieder auf die Beine bringen will?

    Beucher: Das ist so nicht ganz richtig. Der Sport entscheidet in seiner Autonomie darüber, wen er fördert und wen er nicht fördert. Das gibt oft Reibereien, insbesondere bei nichtolympischen Sportarten, die vielleicht irgendwann mal olympisch werden können. Auch darüber müssen wir mit dem Deutschen Sportbund reden, ob wir das so in Zukunft weiter durchhalten.

    Gerner: Seit längerem ist ja eine Krise der Ballsportarten und jetzt auch bei den deutschen Mannschaften während Olympia zu Tage getreten. Beim Basketball sind die Deutschen gar nicht vertreten, weder bei den Männern noch bei den Frauen. Im Handball sind die deutschen Frauen sonst ziemlich erfolgreich, aber nicht dabei, im Volley-Ball die deutschen Männer nicht. Ist im Hintergrund dafür das Bosman-Urteil verantwortlich, dass die Bundesligen häufig mit Ausländern überschwemmt seien, wie es heißt?

    Beucher: Man ist natürlich vorsichtig im Gebrauch von manchen Worten, insbesondere was überschwemmt angeht. Es ist aber schon richtig, dass in der Leistungsspitze mit mehr Ausländern gespielt wird als sonst in anderen Sportarten üblich. Dann passiert es eben, dass bei den Nationalmannschaften die Deutschen übrig bleiben, die eben sonst in ihrer Sportart nicht ausschließlich in der Spitze mitspielen. Das ist mit Sicherheit ein Grund für die verlorene Dominanz bei den Ballsportarten im Weltvergleich.

    Gerner: Sind Sie dafür, dass dieses Bosman-Urteil mit seinen Auswirkungen zum Teil zumindest rückgängig gemacht wird? Das wird ja in der EU diskutiert.

    Beucher: Es gibt hier praktisch keine Ideallösung. Das ist eine Frage, die wir insbesondere in der EU zu diskutieren haben. Man muss hier darüber nachdenken, ob man gewisse Quotierungen auch in Nationalmannschaften zulassen kann.

    Gerner: Wir haben eben über olympischen Nachwuchs gesprochen. Der bleibt ja zum Teil aus. Hängt das mit immer mehr Trendsportarten, Freizeitsportarten zusammen, die den Vereinen und den Sportarten von früher die Leute rauben?

    Beucher: Das will ich nicht sagen, ganz abgesehen davon, dass wir oft auch Trendsportarten olympisch erleben. Stellen Sie sich vor, vor 40 Jahren hätte nie einer damit gerechnet, dass Beach-Volleyball zum Beispiel olympisch werden würde. Hier ist einfach das Grundsystem, was wir für uns ganz nüchtern überprüfen müssen, ob es ausreicht, unsere Jugend trainiert für Olympia, ob es ausreicht, wie die einzelnen Fachverbände ihre Talentsichtung betreiben, und ob es eben ausreicht, in so einem großen Land wie der Bundesrepublik lediglich 32 sportbetonte Schulen zu haben.

    Gerner: Julius Beucher war das, der Vorsitzende des Sportausschusses im deutschen Bundestag.



    Die australischen Zeitungen führen heute zum erstenmal nicht mehr ihre Goldjungen auf der Titelseite, sondern die inzwischen fast täglichen Dopingfälle bei Olympia. Vor Beginn der Spiele hatten die Athleten erstmals in der Geschichte einen Eid geschworen, kein Doping und keine Drogen zu nehmen. Am Telefon ist jetzt Roland Baar, Ruderweltmeister und einer von drei Deutschen mit Sitz im Internationalen Olympischen Komitee. Herr Baar, haben die Athleten dort in Sydney einen Meineid geschworen?

    Baar: Das kann man nicht sagen. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die Mehrzahl der Athleten, die in Sydney am Start sind, nicht gedopt sind, die große Mehrzahl. Wir haben inzwischen ein sehr ausgefeiltes Kontrollsystem. Das findet immer mehr und damit auch immer mehr Täter. Das heißt ich bin davon überzeugt, dass die Mehrzahl nach wie vor ungedopt ist und dass es eben einige schwarze Schafe dabei gibt. Die wird es irgendwo immer geben!

    Gerner: Ausgefeiltes Kontrollsystem sagen Sie. Mit welchen Augen sehen Sie denn dann den Fall des Kugelstoßers und Marion-Jones-Trainers C.J. Hunter? Hunter und Jones sind nachweislich überführt worden. Verändert sich vor diesem Hintergrund Ihr Blick auf Ihr Fünf-Goldmedaillen-Projekt?

    Baar: Man ist sehr schnell dazu geneigt, zu solchen Schlüssen zu kommen. Ich auch muss ich sagen. Ich muss mich auch zusammenreißen, dass ich es nicht mache. Letztendlich muss man jedem Athleten erst einmal Unschuld zusprechen, bis seine Schuld bewiesen ist. So geht es in diesem Falle auch. Man muss sich das schon ein bisschen im Detail angucken. Ich gehe davon aus, dass Marion Jones in der Vergangenheit überprüft wurde. So weit ich weis wurde sie das auch. Von daher kann man daraus nicht unbedingt den Schluss ziehen, zumal die Disziplinen ja doch ein wenig anders sind, die die beiden betreiben.

    Gerner: In einem Kommentar der "Süddeutschen Zeitung" dieser Tage hieß es sinngemäß, es sei ein offenes Geheimnis im Schwimmsport - der war angesprochen -, dass die Spitzenathleten dort zum Frühstück Amphetamine, zum Mittagessen Steroide und zum Abendessen eine dritte Form von leistungssteigernden Mitteln nähmen. Ticken die Athleten so, dass sie beim Gegner Doping voraussetzen und dann ähnlich handeln, ein Teil jedenfalls, oder nehmen einige Doping ohne Wissen, weil die Trainer es ihnen unterschieben?

    Baar: Ich glaube, dass die Qualität der Athleten so ist, dass sie sich nichts von Trainern unterschieben lassen. Wenn einer dopt, dann macht er das schon aus freien Stücken. Davon würde ich jedenfalls ausgehen. Ansonsten finde ich die Schlagzeile "morgens, mittags, abends" eher Bildzeitungsniveau. Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen.

    Ich glaube nach wie vor, dass man Leistung ohne Dopingmittel erzeugen kann. Natürlich ist man geneigt dazu, sich auch in Deutschland zu so etwas hinzuwenden wenn man sieht, andere haben Erfolg. Man hat immer das Gefühl, man hat das nur damit. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man Hochleistung auch ohne Dopingmittel erzeugen kann.

    Gerner: Was steigert denn die Neigung zu Doping, die Sie eben angesprochen haben? Das Geld, das im Spiel ist, die Sponsoren?

    Baar: Olympia ist natürlich ein besonderer Reiz. Das muss man sagen. Dadurch dass diese Veranstaltung eben nur alle vier Jahre stattfindet, hat es einen sehr hohen Stellenwert. Dementsprechend natürlich auch über Sponsoren und das ganze darum herum. Da kann man vielleicht schon mal irgendwie darüber nachdenken. Ich war nie in Versuchung, in der Hinsicht etwas zu machen, und ich gehe auch davon aus, dass die meisten Athleten das nicht sind. Olympia ist halt ein besonderer Reiz, aber Olympia bleibt eben nur dieser Reiz, das muss man auch sagen, wenn wir saubere Spieler haben. Wenn man jetzt anfängt, dass alle dopen würden, dann wäre Olympia damit eigentlich kaputt.

    Gerner: IOC-Präsident Samaranch hat vor Beginn der Spiele gesagt, es werden die ersten dopingfreien Spiele. Das ist jetzt nachweislich widerlegt. Ist das, was jetzt ans Tageslicht kommt, etwas Gutes für den Sport und für die Öffentlichkeit?

    Baar: Ich denke schon. Es zeigt auf jeden Fall, dass das IOC sehr daran interessiert ist, dem Problem Doping Herr zu werden. Der Spruch, dass wir saubere Spiele haben werden, da war von vornherein klar, dass wir das so nicht hinkriegen. Es wird immer irgendwelche Dopingfälle geben. Es kommt aber eben darauf an, dass man mit ganzer Energie dagegen ankämpft.

    Gerner: Der Ausschluss wegen Doping trifft jetzt in Sydney vor allem Athleten aus dem ehemaligen Ostblock. US-Athleten wie Michael Johnson und Marion Jones stehen "nur" mit Verdacht konfrontiert da. Können die einen es besser verschleiern als die anderen?

    Baar: Ich gehe davon aus, dass auch die Amerikaner und andere große Westnationen kontrolliert werden. Das würde ich so nicht unterstützen.

    Gerner: Bei Michael Johnson läuft bei Ihnen nicht ein schlechtes Gewissen mit, wenn Sie den in seinen Zeiten bei dem Alter sehen?

    Baar: Ich kann das nicht sagen. Ich bin nicht derjenige, der ihn kontrolliert, aber ich weis, dass er kontrolliert wird. Wir haben ja gar keine andere Wahl: Was sollen wir denn machen? Wir müssen die Sportler kontrollieren und müssen dann auch unserem Kontrollsystem vertrauen.

    Gerner: Aber gerade bei US-Athleten heißt es, dass sie sich mit Erfolg Kontrollen entzögen und dass es nachweislich Fälle gäbe, die Negativbefunde hätten und die bisher vertuscht worden seien?

    Baar: Das ist vielleicht auch ein Problem des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, dass dort eine solche Mentalität besteht. Das IOC kann aber nicht anders als die Spiele kontrollieren und durch die Anti-Doping-Agency versuchen, eine Harmonisierung herzukriegen. Letztendlich sind natürlich auch immer noch die internationalen Fachverbände gefordert, dort durchzugreifen.

    Gerner: Das deutsche IOC-Mitglied Roland Baar, der Ruderweltmeister vergangener Tage war das. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet

    Link: Interview als RealAudio