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Das eherne Gesetz der Oligarchie

Der Soziologe Robert Michels hat am Beispiel der Sozialdemokratie die Elitetheorie "vom ehernen Gesetz der Oligarchie" entwickelt. Sie soll zeigen, wie parteiintern idealistische Zielsetzungen von persönlichen Machterhaltungstrategien abgelöst werden. Dieser Denkansatz hat an politischer Aktualität kaum etwas eingebüßt.

Von Christiane Bender |
    Was der SPD in vielen Phasen ihrer Geschichte gelungen ist, gelingt ihr derzeit kaum noch: Menschen für Politik so zu begeistern, dass sie bereit sind, einen großen Teil ihrer verfügbaren Zeit mit politischer Arbeit unter Gleichgesinnten zu verbringen. Deshalb denkt man in der Führung der Partei derzeit auch über eine Organisationsreform nach, wie man dem Auseinanderdriften von Parteiführung, Funktionärsmacht und zerknirschten Mitgliedern begegnen kann.

    Es ist bitter für die Genossen, dass das mediale und wissenschaftliche Interesse an den selbstquälerischen Reformversuchen der Partei spürbar abgenommen hat. Heutzutage befassen sich fast nur noch Parteienforscher quasi pflichtgemäß mit dem Schicksal der Sozialdemokratie. Das war in der fast 150jährigen Geschichte der Partei selten so. An der Wende zum 20. Jahrhundert diskutierten viele prominente Intellektuelle wie Werner Sombart, Max Weber und Robert Michels über die damals aufstrebende Partei.

    Sie beanspruchten, jenseits der weltanschaulichen Kämpfe ihrer Zeit, mithilfe moderner sozialwissenschaftlicher Verfahren Aussagen von wissenschaftlicher Objektivität zu machen. Anhand der Entwicklung der sozialdemokratischen Partei analysierten sie den Einfluss neuer politischer Macht- und Herrschaftsformen als Reaktion auf die rasante Industrialisierung und auf das Wachstum neuer sozialer Klassen und Schichten in Deutschland.

    Der Nationalökonom, Kulturwissenschaftler und Soziologe Max Weber beispielsweise sah in der "deutschen Sozialdemokratie die mächtigste und bestorganisierte aller Bewegungen, welche die Verwirklichung des Sozialismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten". Weber erkannte in ihr einen Gegenstand von kulturwissenschaftlicher Bedeutung, an dem die Lebensperspektiven von Menschen in modernen Gesellschaften ablesbar sind. Wer und was beherrscht künftig die Menschen?

    Auf diese Fragen antwortete im Jahr 1911 eine Studie, die, vielfach übersetzt, schon bald zu einem "der einflussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts" wurde. Es ist Robert Michels "Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie". Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Noch heute gehört die Studie zum Standardrepertoire der Literatur über die SPD. Der Autor befasst sich darin mit dem Innenleben der Partei und untersucht, inwieweit es ihr gelingt, die hohen Erwartungen an Demokratie in die Praxis der Organisation umzusetzen.

    Mit seinem Werk hat Robert Michels bis heute die Geschichte des politischen Denkens beeinflusst. Schon in den 20er-Jahren setzte in den USA eine intensive Rezeption ein. Da Michels seine Einsichten insgesamt auf moderne Parteien, Organisationen und Gesellschaften generalisierte, avancierte "die Soziologie des Parteiwesens" zum Klassiker von Sozial- und Politikwissenschaften, der Parteien- und Eliteforschung und der Organisationstheorie.

    Weit über die oft begrenzten Themen der heutigen Parteienforschung und Organisationstheorie hinausgehend liegt die große Faszination von Michels Studie darin, wie der Autor, leidenschaftlich und dennoch sachlich, die Ansprüche auf Sozialismus und Demokratie, die von den Parteiführern erhoben werden, mit deren Organisationspraxis konfrontiert. Dazu breitet er ein überaus reichhaltiges Wissen über parteiinterne Vorgänge aus und entwirft dabei einen Spiegel der Entzauberung von Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts.

    Als den neuralgischen Dreh- und Angelpunkt deckte Michels die Macht der Führungseliten von Parteiorganisationen über ihre Mitglieder auf. Er fasste seine Analysen im "ehernen Gesetz der Oligarchie" zusammen. Auch wenn manche Konsequenzen, die Michels zog, zurückzuweisen sind, so lassen sich aus seinen Analysen kritische Überlegungen zur demokratischen Kultur der heutigen Parteien, sprich: der SPD, ableiten.

    Doch wer war überhaupt Robert Michels? Eine schillernde Persönlichkeit, vielseitig begabt, mit tiefen Abgründen. Von seiner Herkunft der Elite des europäischen Großbürgertums zugehörig, trieb ihn eine brennende Sehnsucht an, seinen Platz in revolutionären Bewegungen zur Überwindung der "alten Gesellschaft" des Fin de Siècle zu finden.

    Der Heidelberger Politologe Frank Pfetsch hat in seiner Dissertation über Michels gezeigt, dass dessen Suche nach der geeigneten Herrschafts- und Regierungsform durchgängig von einem plebiszitären Demokratieverständnis im Sinne Jean-Jacques Rousseaus inspiriert wurde:

    "Nimmt man den Begriff in der ganzen Schärfe seiner Bedeutung, dann hat es niemals eine echte Demokratie gegeben, und es wird sie niemals geben. Es geht gegen die natürliche Ordnung, dass die Mehrzahl regiert und die Minderheit regiert wird."

    Dieses berühmte Zitat des philosophischen Aufklärers fungiert als Schlüssel zu Michels' Analysen. Er verwendet es häufig zur Begründung seiner Kritik am Parlamentarismus. Von dieser Grundüberzeugung ausgehend beschäftigt er sich mit der Frage, welche politischen Herrschaftsformen sich künftig durchsetzen und worauf, ob auf Klassen, Rassen oder Massen, sie sich gründen werden.
    1876 wurde Michels als Sohn einer wohlhabenden Kölner Kaufmannsfamilie geboren. Man war katholisch und verfügte über weitverzweigte Wurzeln nach Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien und Spanien. Dieser Herkunft verdankte er eine romanisch geprägte Sozialisation.

    Der Ausbruch des deutsch-französischen Kriegs löste einen Schock in der Familie aus. Dennoch schlug Robert Michels freiwillig die Offizierslaufbahn im protestantisch dominierten Preußen ein, begann aber schon bald mit dem Studium der Geschichte und Nationalökonomie in Paris, München, Leipzig und Halle.

    Während seines Studiums und vieler Studienreisen nahm er Kontakte zur Linken in Frankreich und Italien auf. Er wurde ein begeisterter Anhänger der syndikalistischen Bewegung. Der Historiker Werner Conze schildert diesen Bruch in Michels' Biografie:
    "Er stellte sich aus allen traditionellen Bindungen heraus und ging [...] in die Gesellschaft der revolutionären Sozialisten, mit denen ihn die Abscheu gegen die staatlich-monarchische Autorität, der Überdruss an einem bedenkenlos konventionellen Leben in der sozial leichtfertigen Oberschicht und die Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaftsordnung verbanden."

    Die syndikalistische Konzeption des politischen Kampfes um die Übernahme der Produktionsmittel durch Generalstreik, spontane Aktionen und permanente politische Agitation – das schien Robert Michels zunächst dem Demokratieideal Rousseaus nahezukommen, das Volk solle seine Souveränität unverstellt von Fremdherrschaft, ohne Repräsentation, zum Ausdruck bringen. Später in der "Soziologie des Parteiwesens" wird er diese Vorstellung an der bei den Syndikalisten üblichen Praxis einer straffen Führerschaft als Illusionismus entlarven. Zunächst fühlte sich Michels jedoch von deren Politik des Antimilitarismus und der internationalen Solidarität angezogen. Mit Georges Sorel, dem französischen Vordenker des Syndikalismus und Gewaltmythiker, war er befreundet. Und welche Rolle spielte Michels politisch?

    In Italien schloss er sich der Sozialistischen Partei an. Von 1903 bis 1907 war er im SPD-Ortsverein im nordhessischen Marburg aktiv. Auf Parteitagen nahm er als Delegierter teil, einmal kandidierte er für den Reichstag – aber ohne Erfolg. Auf dem Internationalen Sozialistenkongress 1907 gehörte er zur italienischen Fraktion. Aber er bekam für seine syndikalistische Politik keine Mehrheiten. Seine Schriften wurden geschätzt, denn er schrieb schnell und häufig zu aktuellen und theoretischen Themen der Parteipolitik. Für sein Engagement zahlte er einen hohen Preis. Denn als Mitglied der sozialdemokratischen Partei war ihm im wilhelminischen Deutschland der Weg zu einer Professur versperrt.

    Michels setzte seine Hochschulkarriere außerhalb Deutschlands fort. An der Universität Turin wurde er bei dem Professor für Politische Ökonomie, Achille Loria, habilitiert. In jener Zeit war er schon nicht mehr Mitglied in sozialistischen Parteien. Inzwischen hatte er sich intensiv mit Gaetano Moscas Begriff der politischen Klasse und Vilfredo Paretos Theorie der Eliten auseinandergesetzt. Beide Theorien nutzte er, um seine politischen Erfahrungen zu verarbeiten. Welches sind die zentralen Themen und Thesen des Werks?

    Das Ausgangsszenario seines Werkes ist die Situation europäischer Kernländer mit absolutistischen Traditionen im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In Deutschland beherrschte der Adel noch immer den Staat. Auch nach der Reichsgründung kam der Prozess der Beteiligung aller Klassen an der Regierung nicht voran. Nach wie vor wurden Sozialdemokraten verfolgt und als Partei verboten.

    Michels sieht das Problem: Die Aristokratie kann nicht mehr allein aufgrund ihrer durch Geburt garantierten Privilegien ohne Unterstützung durch die Parteien und die Bevölkerung regieren. Die Wahlkämpfe zur Besetzung der Parlamente zwingen die Aristokratie dazu, sich mit dem Bürgertum und sogar mit den Massen zu verbünden. Aber das Bürgertum, insbesondere in Deutschland, verspielt seine historische Chance, Freiheit und Demokratie zu erkämpfen und lässt sich vom Adel "aufsaugen".

    "Das deutsche Bürgertum feudalisiert. Hier hat die Emanzipation [...] das Resultat gehabt, [...] den Adel zu stärken, indem sie ihm neues Blut und neue ökonomische Kräfte zuführte. Die Reichgewordenen kennen keinen höheren Ehrgeiz, als sich möglichst unverzüglich mit den Vornehmen zu verschmelzen, um aus der Zugehörigkeit zur alten herrschenden Klasse herzuleiten, die nun nicht mehr als erworbene, sondern vielmehr als ererbte dargestellt werden kann. Auf diese Weise sehen wir, wie das Prinzip der (wenn auch fiktiven) Erbschaft [...] den Prozess der Eingewöhnung der jung emporkommenden Kräfte [...] beschleunigt."

    Diese Passage von Michels ist auf das Verhalten des Bürgertums und seiner Parteien im industriellen Zeitalter gemünzt. Sie markiert einen Vorgang, den Eliteforscher wie der Franzose Pierre Bourdieu als soziale Vererbung von ökonomischem und kulturellem Kapital beschreiben. Für Michels ist entscheidend, dass den Massen zwar Emanzipation und Demokratie versprochen, tatsächlich aber autoritär regiert wird. Die Demokratie degeneriere bereits zur Oligarchie, zur Herrschaft von wenigen über die vielen, bevor sie überhaupt beginne. Umso schwieriger sind die Voraussetzungen für die Arbeiterschichten, politische Partizipation zu erlangen. Gelingt es wenigstens den sozialistischen Parteien, in ihrem Innern Demokratie zu verwirklichen?

    In einer der wichtigsten Thesen der Soziologie des Parteiwesens wird darauf hingewiesen, dass Menschen in modernen Gesellschaften starke Parteien und andere Organisationen benötigen, um ihre Interessen zu vertreten, vor allem, wenn gesellschaftliche Veränderungen angestrebt werden. Michels bezeichnet Parteien als "militärische Kampforganisationen", als "Waffe(n) der Schwachen im Kampf mit den Starken". Aber, so argumentiert Michels weiter, das Prinzip der Organisation bedeute, auf Demokratie zu verzichten.

    "Das Prinzip der Organisation muss [...] als die conditio sine qua non der sozialen Kampfesführung der Massen betrachtet werden. Aber das politisch notwendige Prinzip der Organisation, welches die Scylla der den Gegner begünstigenden Organisationslosigkeit der Massen vermeidet, birgt alle Gefahren der Charybdis in sich. In der Tat, die Quelle, aus der sich die konservativen Wasserläufe in die Ebene der Demokratie ergießen, um dort bisweilen verheerende Überschwemmungen zu verursachen, die die Ebene bis zur Unkenntlichkeit entstellen, heißt Organisation."

    In vielen Passagen seines Buches löst sich Michels von dem Phänomen Sozialdemokratie und verallgemeinert seine Thesen auf Parteien, auf Organisationen, ja auf die Gesellschaft insgesamt. Bis heute wird Deutschland in der Politikwissenschaft als klassischer Fall eines "(neo)korporatistischen Regimes" bezeichnet, in dem die Durchsetzung sozialer Interessen von dahinterstehender Organisationsmacht abhängt, sei es von Gewerkschaften, von Kirchen oder von Wohlfahrtsverbänden.

    "Anstatt dass die Partei mit wachsender Kraft und Stärke ihrer Organisation an revolutionärer Dynamis gewinnt, können wir heute gerade die entgegen gesetzte Beobachtung machen: Es besteht eine innere Beziehung zwischen dem Wachstum der Partei und dem Wachstum an Vorsicht und Ängstlichkeit in ihrer Politik."

    Diese Beobachtung münzte Michels vor allem auf die Sozialdemokratie. Die vorwurfsvolle Äußerung vom "Wachstum an Vorsicht und Ängstlichkeit" richtete er besonders gegen August Bebel, an anderen Stellen bezeichnete er ihn als "Mehrheitspolitiker", der den Minderheiten Schwung und Elan raube, oder er warf ihm vor, "weit mehr Sozialdemokrat als Sozialist" zu sein. Im Nachruf zu Bebels Tod aber würdigte er dessen Buch "Die Frau im Sozialismus", sein unermüdliches Wirken, sein staatsmännisches, dennoch bescheidenes Auftreten und seine Fairness.

    Als Michels seine Studien betrieb, hatte die SPD fast eine Million Mitglieder. Sie war keine Honoratiorenpartei, sondern eine Klassenpartei, die sich schon allmählich zur Massenpartei, zur Catch-all-Partei, entwickelte. Über zwei Jahrzehnte war und blieb August Bebel der von den Mitgliedern verehrte Vorsitzende. Von seiner Partei forderte er Gefolgschaft und geradezu militärisch anmutende Disziplin ein. Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter charakterisiert die Partei als überaus organisationstüchtig, aber ohne Einfluss auf das politische Geschehen im Kaiserreich, ohne Macht im Staat.

    Viele Mitglieder, vor allem aus den Arbeiterschichten, wie Michels belegt, verdankten ihrer Partei soziale Existenzchancen. Nur innerhalb der Partei konnten sie ihren Überzeugungen Ausdruck verleihen, vielen Aktivitäten in der Freizeit mit Gleichgesinnten nachgehen, Bildungs- und Kulturgüter erwerben, die ihnen außerhalb der Partei im Kaiserreich verschlossen blieben. Kein Wunder, dass die Partei, wie Michels kritisch vermerkt, Selbstzweckcharakter annahm. Aber welche Alternativen hätte es für die Parteigänger gegeben? Sicherlich: Man war mehr in der Theorie revolutionär als in der Praxis. In seiner "Biografie einer Partei" skizziert Franz Walter, dass sich die von Michels identifizierten Organisationstendenzen parteiintern erst durchsetzten, als die Machtübernahme im Staat vorbereitet wurde. Walter schreibt:

    "Erst jetzt (zwischen 1900 und 1914) wandelte sie sich vom Wahlverein zur schlagkräftigen Massenpartei: Das Netz der Kultur- und Umfeldorganisationen war dichter als je zuvor, der Ausbau des Parteiapparats weit vorangeschritten [...]. Zudem vollzog sich in der Parteielite ein einschneidender Generationswechsel; der Typus Ebert [...] kam nach oben und wurde allmählich wichtiger als der Typus Bebel ... . Der Organisator und Sekretär löste gewissermaßen den Agitator und Tribun ab."

    Wie begründet nun Michels seine These vom Demokratiedefizit starker Parteiorganisationen?

    Verantwortlich dafür seien vor allem die Führungseliten. Zwar verdankten sie ihre Positionen der Wahl, aber als einmal gewählte Inhaber von Führungspositionen nutzten sie ihre Macht aus, um die eigene Position zu stärken und damit die Mitglieder zu schwächen. Je mächtiger die Organisation, desto mächtiger die Führer und ihre Stäbe und desto schwächer die Basis. Eine verkehrte Welt entstünde:

    "Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden."

    Hier variiert Michels wieder Rousseaus Verständnis von Souveränität, die nur unmittelbar vom Volk ausgeübt werden kann oder durch Repräsentation gefährdet wird.

    Als Kern des Problems konstruiert Michels ein Dilemma, das nicht durch böse oder gute Absichten Einzelner entsteht oder aufgelöst werden kann. Das Dilemma hat zu tun mit dem Charakter von Organisationen, vor allem mit der Macht, die durch die Organisation selbst entsteht. Die Parteiführer erhalten mehr Macht und Mittel als alle anderen Mitglieder. Diese Macht gibt ihnen die Möglichkeit, die Machtmittel mikropolitisch, wie wir heute sagen würden, zu nutzen, um die eigenen Positionen zu festigen.

    Das scheint im Interesse der Partei zu sein. Schließlich schwächt ein häufig wechselndes Führungspersonal das Ansehen der Partei. Aber in dem Maße, wie der Partei die Stärke und Geschlossenheit der Organisation zugutekomme, so pointiert Michels, vergrößere sich die Machtasymmetrie zwischen Führung und Mitgliedern. Er bezeichnet dies als das "eherne Gesetz der Oligarchie", das Gesetz der Herrschaft der Wenigen über die Vielen. Die "Oligarchen" bauen ihre Position aus, kooptieren ihre Stäbe und schließen sich nach unten zu den Mitgliedern ab. Wie gelingt es den Führern, nach Michels ihre Macht zu festigen?

    Die Führer nutzten die Komplexität der Organisation für ihre Interessen. Je stärker Organisationen wachsen, desto komplexer und für die Mitglieder unübersichtlicher kristallisieren sich arbeitsteilige Strukturen heraus, um die Aufgaben zu bewältigen. Dabei wachsen die Herausforderungen an die Führung, die Organisation "technisch" zu steuern. Mit zunehmendem Wachstum entwickeln sich Parteien zu riesigen Bürokratien mit sogenannten "Parteibeamten".

    Zwar bedeute Bürokratisierung, dass Beziehungen und Entscheidungen versachlicht und der persönlichen Willkür entzogen würden. Vorgänge würden nach Satzung und Gesetz gesteuert, Abläufe kontrolliert und Positionen nach professionellen Gesichtspunkten besetzt. Aber dadurch würde das Innenleben von Parteien komplexer und komplizierter, für Mitglieder ohne Funktion undurchschaubar – eine Situation, die die Funktionsträger zum Ausbau ihrer Macht nutzten. Als "Geheimsache" der Abstimmung der Mitglieder entzogen, fielen parteirelevante Entscheidungen in den "Dunkelkammern der Kommissionen". Die Bürokratie werde zum Mittel des Machterhalts herrschender Cliquen, die sie durchschauen und für eigene Zwecke verwenden.

    Auch für Max Weber erfährt das Leben der Menschen durch bürokratische Zwänge einen zunehmenden Sinnverlust. Er erkennt frühzeitig, dass der Sozioalismus durch Bürokratisierung zu einer Entmündigung der Individuen führen werde.

    Zudem verschaffe die Professionalisierung von Parteiarbeit den Führungskadern Vorteile: Die Gewerkschaften und die linken Parteien fungierten, wie Michels sich ausdrückt, als "Klassenerhöhungsmaschinen". Arbeiter stiegen in die Führung auf, deren sozioökonomische Lage aufs Engste mit der Organisation der Partei verbunden ist. Bot ihnen das wilhelminische Deutschland kaum Chancen, sich aus ihrer prekären sozialen Lage zu befreien, so konnten sie innerhalb ihrer Organisationen sozial aufsteigen, Bildung und Ansehen erwerben. Gerade die Funktionäre, deren materielle Existenz von der Stabilität der Organisation abhängig sei, hätten ein ausgeprägtes Interesse, die Partei nicht in Abenteuer und in Experimente zu stürzen. Solche sozioökonomischen Koordinaten, nach denen die etablierten Eliten handelten, trügen mit dazu bei, die Parteiorganisation in den Staat zu integrieren und die revolutionären Ideale zu opfern.

    "Die Revolutionäre der Gegenwart sind die Reaktionäre der Zukunft."

    Sie kreierten einen "Staat im Staat" und nutzten ihre Position, um sich "nach unten", von Angehörigen ihrer Herkunftsschicht und von einfachen Mitgliedern abzugrenzen. Die Kompetenz- und Wissensvorsprünge, die das durch die Partei geschulte Führungspersonal erworben hat, seien von den übrigen Mitgliedern kaum aufzuholen. Aufgrund der "ideologischen Hegemonie der Eliten" gelänge es ihnen, ihr Verständnis von Politik als "Gesamtinteresse" auszugeben und Abweichler zu verunglimpfen:

    "Jede neue oppositionelle Strömung in der Partei wird als Demagogie zu diskreditieren versucht, der direkte Appell mit der Parteiherrschaft unzufriedener Elemente an die Massen [...] wird, trotzdem er unzweifelhaft als das Grundrecht aller Demokratie anzusehen ist, als unschicklich verworfen oder gar als Einmischung oder boshafter Versuch der Untergrabung der Parteidisziplin und Verhetzung gebrandmarkt [...]. Das Zauberwort, mit dem mächtige Führer von jeher ihnen lästige Erscheinungen bannten, heißt: das Gesamtinteresse."

    Den Eliten der Partei gelänge es, die kulturellen und materiellen Ressourcen der Partei zu bündeln. Sie scharten Stäbe mit Personen um sich, denen sie besonders vertrauen und deren Konformität mit Aufstiegschancen belohnt werde. Aus diesen Stäben werde der Nachwuchs rekrutiert. Kooptation nicht Wahl setze sich als Modus der Zusammensetzung der Führungseliten und ihres Nachwuchses durch und schlösse auf lange Zeit aus, dass Gegenströmungen in der Partei zum Tragen kämen. Im weitesten Sinne würden, wie wir heute sagen, Netzwerke aufgebaut. Der inner circle verschließe sich anderen Einflüssen, die Personen und damit die Macht zirkulierten nicht. Warum erobern die Mitglieder ihre Macht nicht zurück, proben keine Aufstände?

    In seinen Analysen greift Michels auf die Sozialpsychologie von Gustave Le Bon zurück, dessen pessimistische Theorien um die Jahrhundertwende äußerst einflussreich waren. Das industrielle Zeitalter bringe kein souveränes Volk, sondern entindividualisierte Massen hervor, die zur vernunftgesteuerten politischen Willensbildung nicht in der Lage seien. Schon Le Bon konzipiert die Figur eines charismatischen Führers, der die Massen durch die Beherrschung ihrer unbewussten Affekte zur Gefolgschaft veranlasst. Ähnlich wie der Franzose betrachtet auch Michels die Parteibasis zumeist als initiativlose träge Masse, bereit, sich leiten zu lassen und dankbar gegenüber der Führung. Die Masse nähme ihre zunehmende Entmachtung willenlos hin.

    Damit konstruiert Michels ein schier auswegsloses Szenario: Machthungrige Oligarchen in starken Organisationen stehen einer lethargischen und verführbaren, willenlosen Masse gegenüber. Kann es für dieses Szenario überhaupt noch eine demokratische Lösung geben?

    Über weite Strecken liest sich die "Soziologie des Parteiwesens" als Aufklärung über kaschierte Machtverhältnisse und ideologische Legitimationsmuster, schließlich fordert Michels, "die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit auf ein geringstmögliches Maß zu reduzieren". In seinem Szenario ist jedoch kein Ausweg zu erkennen. Es wird nicht klar, welche Kräfte in der Partei für mehr Transparenz, für demokratische Kontrolle, für konsequente Durchführung der Wahlen des Führungspersonals, insgesamt also für eine demokratische Parteiverfassung sorgen könnten. Solche Vorschläge setzen die Annahme voraus, dass die Masse nicht vollständig beherrschbar, sondern fähig ist, sich auf rationale Weise zu emanzipieren.

    Michels hat sein Hauptwerk Max Weber, dem zwölf Jahre älteren Kollegen und Förderer, gewidmet. Die Freundschaft der beiden und ihr gegenseitiger Respekt führten zu einer engen Zusammenarbeit. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs standen sich die ehemaligen Freunde als nationalistisch eifernde Intellektuelle feindlich gegenüber. Der Kathedernationalist Weber warf dem ehemals internationalistisch gesonnenen Michels vor, seinem "Heimatland in der Zeit schwerster Todesnot in den Rücken gefallen zu sein."

    Robert Michels war von Turin aus italienischer Staatsbürger und Nationalist geworden. Seit 1914 lehrte er fast fünfzehn Jahre an der Universität Basel, dann an Universitäten in Rom und in Chicago. Die Chance, die in Deutschland mit der Weimarer Verfassung gegeben war, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, erkannte er nicht. Nach Benito Mussolinis "Marsch auf Rom" im Jahre 1922 schloss er sich der faschistischen Partei an. In Mussolini sah er den "charismatischen Diktator", dem es gelang, Eliten und Massen untrennbar miteinander zu verschmelzen. Nachdem Michels offen für das faschistische Regime eintrat, verhalf ihm der Duce 1928 zu dem lang ersehnten Ruf an die Universität und Parteihochschule in Perugia, von wo er seine Propagandatätigkeit für das faschistische Regime bis zu seinem Tode 1936 in Rom fortsetzen konnte.

    Wie Vilfredo Pareto vertrat Michels nun die These, dass die Regierenden die Zustimmung der Mehrheit, nicht aber deren Mitwirkung benötigten. Die Entmachtung der Masse und der Minderheiten, über die er einst geklagt hatte, wurde Programm. Die faschistische Führungselite verfügte nun nicht mehr nur über die Macht der Partei und der Bewegung, die einst ähnlich lose organisiert, wie die Syndikalisten damit begonnen hatten. Mit der Übernahme der Staatsmacht konnte sie zudem Gewalt über ein ganzes Volk ausüben und das Land in den Bürgerkrieg treiben. Die Freiheitsrechte des Individuums und der Minderheiten, die Michels mit Bezug auf Rousseau einst so wichtig waren, wurden vollständig abgeschafft. Wer davon Gebrauch machte, bekam den Terror der Führung zu spüren.

    In Deutschland ist die Rezeptionsgeschichte durch Michels Metamorphose vom "radikalen Sozialisten zum italienischen Faschisten" belastet. Auseinandersetzung mit seinem Hauptwerk ist dennoch geboten und dringend erforderlich. Michels' These von der "Tendenz zur Oligarchie" mächtiger Organisationen hat, betrachtet man die sogenannten Eliten in Parteien und Institutionen, an aktueller Brisanz nicht verloren.

    In seinem Buch "Postdemokratie" beschreibt der britische Soziologe Colin Crouch den Machtgewinn von Parteieliten – sein Beispiel sind Politiker der Labour-Party –, die sich immer weniger ihrer Basis verpflichtet fühlten, während sie als Abgeordnete und Minister engste Beziehungen zu den Medien, zur Wissenschaft und zur Wirtschaft pflegen. Ihrem Selbstverständnis nach verdanken sie nicht ihren Wählern und den Mitgliedern ihrer Partei ihre Macht, sondern diesen Netzwerken, deren Spiel sie spielen. Die demokratische Legitimation der Politik wird auf diese Weise ausgehöhlt, Teile der Bevölkerung sehen sich berechtigt, außerhalb von Parteien und Parlament nach Lösungen für ihre Probleme zu suchen.

    Tatsächlich findet inzwischen auch eine Entkoppelung von Parteiführung und Mitgliedern, von Funktionären und Wählern in der deutschen Sozialdemokratie statt. Die Nähe, die die Spitze der SPD als Milieupartei zu ihren Wählern hatte, ist größtenteils verloren gegangen. In der Vergangenheit fühlten sich die Parteimitglieder durchaus von ihren Funktionären und ihren Spitzenpolitikern repräsentiert und "lernten" an und mit ihnen, ihre eigene Lage in einem größeren sinnhaften Zusammenhang der Entwicklung der Demokratie zu begreifen. Sie besaßen eine politische Heimat, auch wenn Krisen ihre sozioökonomische Lage bedrohten. Die wachsende untere Schicht, die wohl auch künftig prekäre Lebensverhältnisse fürchten muss, bedarf nach wie vor der Solidarität einer Partei. Ob den Möchte-Gern-Eliten der Partei nach dieser Solidarität noch der Sinn steht, wenn sie einmal wieder politische Macht erlangen, ist eher mit Skepsis zu beurteilen.