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Das Eigene und das Fremde

Über Jahrhunderte war die Hafenstadt an der Adria Dreh- und Angelpunkt für das wirtschaftliche und politische Geschehen Europas: als wichtigster Hafen am Mittelmeer, als Eingangstor nach Mitteleuropa, als Grenzposten in Richtung Osten. Durchlässig wie eine Membran hat Triest so manche fremde Macht über sich ergehen lassen und viele kulturelle Einflüsse aufgesogen, hat Herrscher erduldet und Fremde aufgenommen.

Mit Reportagen von Simonetta Dibbern |
    Eine junge Slowenin aus Opicina über das Leben zwischen den Kulturen:

    "Manchmal träume ich slowenisch, manchmal italienisch - das kommt ganz drauf an. Wenn Italiener aus anderen Landesteilen kommen, aus Rom oder aus Süditalien, dann freuen sie sich sogar, dass hier viele Sprachen gesprochen werden. Aber in Triest selber ist es das schon etwas anderes."

    Und ein berühmter Schriftsteller über den Umgang mit historischen, philosophischen und sozialen Grenzen:

    "Die unsichtbaren Grenzen, die es heute in Triest, sogar in einer kleinen Stadt schon gibt, zwischen diesen Schwarzen, die aus Senegal kommen, oder den Chauffeuren, die aus der Türkei kommen, aber auch das ist eine Reise natürlich. Und in dem Sinne reise ich."

    Gesichter Europas - Das Eigene und das Fremde. Triest, Stadt zwischen den Kulturen. Eine Sendung von Simonetta Dibbern.

    Schnittstelle zwischen den Weltmeeren - Der Hafen von Triest
    Weit öffnet sich die Piazza dell'Unita D'Italia zum Meer hin. Ein Hotel, einige Cafés, der Platz ist gesäumt von prächtigen klassizistischen Bauten aus der Habsburger Zeit: Die Piazza Unitá ist einer der größten und schönsten Plätze an der Adria - und das Herz von Triest.

    Rechts liegt der alte Hafen, gerade legt dort die Fähre aus Albanien an, an der Mole vier. Und links vom Platz, an der Mole Pescheria, ist die alte Fischauktionshalle zu sehen. Dahinter ragen die Kräne des neuen Containerhafens in den Frühlingshimmel. Ein wenig diesig ist es, die Sonne zu schwach, um das Meer zum Leuchten zu bringen.

    Am Ende der Mole Audace steht Walter Gostisa, er kennt jede Mole. Und er kennt fast jedes Schiff.

    "Einer fährt rein, ich glaub, der hat Kartoffeln oder Bananen aus Zypern - Kartoffeln aus Ägypten oder Bananen aus Zypern. Das fährt hier beim Fruchtterminal rein. Das andere Schiff auf der rechten Seite da draußen, das ist ein Rollerschiff."

    Walter Gostisa - 54 Jahre alt, braungebrannt, kurzes weißes Hemd, keine Sonnenbrille. Er weiß so ziemlich alles über den Hafen von Triest. Seit 28 Jahren arbeitet er hier.

    "Ja, ich bin also im Jahre 1981, Januar '81 eingestellt worden. Aber ich hab schon früher mal gearbeitet. Als man jung war, vor dem Militärdienst ist es schwer, Arbeit zu kriegen, im Hafen nicht. Also hatte ich schon einiges entladen. Ich bin auch 'Pinermaschinen' gefahren, Containerträger und so weiter. Mein ganzes Leben [war ich] hier im Hafen, eigentlich. Aber vorher hab ich auch in der Schweiz studiert."

    Daher also spricht er so gut Deutsch. Er hat die Seiten gewechselt, nach dem Studium, von der Hand- zur Kopfarbeit: als Mitarbeiter der Hafenbehörde ist es heute sein Job, den Hafen von Triest gut zu verkaufen - auf internationalen Logistikmessen, im Kontakt mit potenziellen Kunden der Terminals. Und: bei Hafentouren für ausländische Besucher.

    "Ah, jetzt kommt das UN-Schiff. Sehen Sie mal, wie groß das ist."

    Ein riesiges Schiff in der Tat, blau-weiß lackiert. Es sieht aus wie neu. UN, das steht hier nicht für die Vereinten Nationen: UN-RoRo - so heißt der Verband türkischer Transportunternehmer, die schnell reagiert haben, noch während des Balkankrieges, als der Landweg für die LKW zu unsicher geworden war. Sie haben den Seeweg ausgebaut: Heute kommen täglich zwei Schiffe aus Istanbul an im Hafen von Triest. Und jeden Tag fahren zwei wieder ab.

    "Die werden eigentlich in Flensburg gebaut, die neueste Generation von Schiffen, also das wir jetzt momentan hier haben, hat eine Tragfähigkeit von 240 LKW, jetzt wird schon ein neues gebaut, von 300 LKW, ist eine ziemlich große Schiffsflotte. Das sind praktisch die drittweltgrößten Meeresautobahnen der Welt, hier im Hafen Triest, die größte im Mediterran."

    Seit Jahrhunderten ist der Hafen von Triest ein Scharnier zwischen Ost und West, hier verlief immer schon die alte Handelsroute zwischen Orient und Okzident. Bereits die Römer hatten hier einen Hafen gebaut. Tergeste nannten sie ihre Kolonie, nach dem Wort Terg für Markt. Daraus entstand später der Name der Stadt: Triest.

    Doch es blieb ein kleiner Hafen, neben Aquileia und Venedig, bis viel später Karl VI. ihn zum Freihafen erklärte, im Jahre 1719. Damit wurde der Konkurrent Venedig abgehängt: Innerhalb kürzester Zeit vervielfachte sich das Umschlagvolumen, mit dem Hafen wuchs auch die Stadt. Und die Eröffnung des Suezkanals schließlich machte Triest zur Schnittstelle zwischen den Weltmeeren.

    "Nein, Triest ist sicherlich nicht der größte Hafen, aber es ist ein guter Hafen. Also, die Qualität, würde ich sagen, ist schon prima. Und überhaupt, jetzt, mit der Erweiterung von Europa sind wir schon zentraler geworden als die anderen. Wir hoffen natürlich ganz auf die Erweiterung von Korridor fünf, wie unsere Nachbarn."

    Der Korridor fünf: Das ist das geplante Transportwegenetz der Europäischen Union zwischen Lissabon und Kiew. Und die Nachbarn: Das sind die Häfen ein paar Küstenkilometer weiter: Koper in Slowenien und Rijeka in Kroatien.

    "Also ganz klar: Es ist eine Konkurrenz und wir arbeiten zusammen. Was die Zusammenarbeit angeht, das bedeutet also erstens mal: Autobahnanschlüsse zu bauen, das ist schon bereits gemacht worden. Jetzt warten wir auch noch auf den Bahnanschluss. Und wir haben also Informationen, zusammen, von den Schiffen, die herkommen, die man herlocken kann im hochadriatischen Meer - und dann soll jeder Mann so gut fischen, wie er kann."

    Einen der größten Fische hat sich der Hafen Triest schon vor mehr als 40 Jahren an Land gezogen: 1966 wurde die transalpine Ölpipeline in Betrieb genommen; unter der Stadt führt sie durch und dann quer durch die Alpen bis nach Ingolstadt und Wien. Das Erdöl kommt per Tanker, aus dem persischen Golf natürlich, aber auch aus Russland. Im Hafen von Triest wird es umgeschlagen - 35 Millionen Tonnen Erdöl pro Jahr.

    "Bisher", sagt Walter Gostisa, während er sein Auto durch das Hafengelände lenkt, der Dienstwagen der Hafenbehörde, ein weißer Fiat Punto: "Bisher", sagt er, "gab es keine Probleme, Gott sei Dank. Ein leckgeschlagener Öltanker wäre eine Katastrophe, hier im nördlichsten Zipfel der Adria."

    Und dann hält er an, an der Mole am alten Hafen und schaut ins Wasser:

    "Diese winzigen kleinen Fische, die heißen Schlepper, also ich könnt das übersetzen, Schlepper – Umkipper; deshalb eben, weil sie so klein sind. Schauen Sie, der hat einen Sepia gefischt soeben."

    Ein Tintenfisch - eine nackte Krake, eine mediterrane Delikatesse. Von einem Fischer per Angel mal eben aus dem Hafenbecken gezogen. Und gleich darauf fischt er noch einen.

    "Und das alles da im Hafen drin. Schon komisch: Normalerweise - ich hab das mal gesehen in Genua - zehn Kilometer vor und nach dem Hafen kann man nicht mal baden, ist sogar Badeverbot. Und hier ist das so schön da."


    "Es gibt Städte, die an einer Grenze liegen, und wieder andere, die die Grenzen in sich tragen und von ihnen bestimmt sind. Das sind solche Städte, denen die politischen Ereignisse einen Teil ihrer Wirklichkeit rauben, wie zum Beispiel das Hinterland, die feste Verbindung mit dem Rest des nationalen Territoriums. In Triest führte all dies zu dem widersprüchlichen Gefühl, zugleich im Zentrum und an der Peripherie zu leben. Triest war eine Stadt, die sich für so besonders italienisch hielt, dass sie sich häufig vom Rest der Nation unverstanden fühlte und sich demgemäß als das echtere Italien vorkam - als begänne jenseits des Isonzo das offizielle und demnach weniger echte Italien. Diese Stadt war zugleich stolz und argwöhnisch gegen ihre vielerlei nationalen Elemente, das deutsche oder das deutsch-österreichische, das griechische, das serbische, das armenische. Vor allem aber das slowenische. Letzteres wurde von den einen verdrängt und von den anderen überbetont, etwa so, wie man es mit einem heimlichen Doppelgänger tut. Ein Mutterschoß, aus dem man flieht und von dem man doch nie loskommt, eine Stadt, die einen darauf fixiert, ständig schlecht von ihr zu reden, vor allem aber ständig von ihr zu reden."

    Slowenen in Triest - Mit der Tram nach Opicina
    Die Piazza Oberdan, im nördlichen Zentrum der Stadt. Ein schmuckloser Platz, staubig und laut, eingerahmt vom mächtigen klassizistischen Gebäuden. Heute ist der Platz mit dem Kreisverkehr vor allem ein Verkehrknotenpunkt. Neun verschiedene Busse fahren von hier ab - und die Straßenbahn nach Opicina. Triest liegt unten am Meer, der Stadtteil Opicina 300 Meter weiter oben, auf dem Karst.

    Die Tram, ein einzelner Waggon, ruckelt heran, gestrichen in weiß und dunkelblau, ein altmodisch elegantes Gefährt, eine Touristenattraktion - aber auch ein ganz normales Verkehrsmittel für die Menschen, die unten in Triest arbeiten und oben in Opicina leben.

    Eine alte Frau mit vollen Taschen steigt ein: ein Großvater mit seinem Enkel, ein paar Touristen auch und eine schmale junge Frau, mit langen schwarzen Haaren, Tasche und Jacke hat sie unter den Arm geklemmt, sie fingert die Fahrkarte aus der Hosentasche und steckt sie in den Entwerter.

    "Alle 20 Minuten fährt die Tram ab", sagt der Fahrer vorne in seiner Kabine. Er hat eine Sieben-Stunden-Schicht, das heißt: sieben Fahrten den Berg hinauf, sieben wieder runter. "Eine gute Arbeit", sagt er.

    "Es ist besser, als Bus zu fahren, viel entspannter. Und dazu diese herrliche Aussicht. Als Busfahrer muss man nur noch einen extra Führerschein machen, wenn man hier arbeiten will."

    Und dann noch einen für das steile Stück, wo ein zusätzlicher Wagen angehängt wird, der die Straßenbahn in eine Schienenseilbahn verwandelt. Er selbst wohnt oben, in Opicina - oder Opcine, wie die Slowenen sagen. Ist es wahr, dass das fast ein slowenisches Dorf ist?

    "Ja, das stimmt. Doch Opicina ist immer noch ein Stadtteil von Triest. Aber die Grenze ist nicht weit, höchstens zehn Kilometer."

    Der Wagen ächzt und stöhnt, während er sich den Berg hinaufmüht. Auf einer der Holzbänke sitzt die junge Frau mit den schwarzen Haaren, sie schaut aus dem Fenster, der Pony fällt ihr ins Gesicht.

    "Ja, ich bin Slowenin. Italienische Staatsbürgerin natürlich, mit italienischem Pass. Aber im Herzen bleibe ich Slowenin."

    Janeia Carli, 31 Jahre: Vormittags arbeitet sie als Sekretärin unten im Zentrum, mittags fährt sie nach Hause, oben in Opicina. Unten spricht sie italienisch, oben slowenisch. Ihre Familie hat immer schon in Triest gelebt.

    "Sie sind alle von hier, auch meine Großeltern waren schon hier während der Habsburger Zeit: Das merkt man auch an der Sprache zum Beispiel. Wir haben viele deutsche Wörter in unserem slowenischen Dialekt, zu einem Glas zum Beispiel sagen wir auch: Glas. Das ist natürlich ein Relikt von den Österreichern. Ich weiß gar nicht, ob irgendeiner von meinen Vorfahren mal einen Italiener geheiratet hat, ich glaube nicht. Zu Hause sprechen wir jedenfalls alle slowenisch. Die Sprache hält uns ja auch zusammen."

    Italienisch hat sie durch das Fernsehen gelernt und in der Schule, und das, sagt sie, hat auch Vorteile. Denn da hat sie Hochitalienisch gelernt und nicht den Triestiner Dialekt.

    "Manchmal träume ich in slowenisch, manchmal in italienisch - das kommt ganz drauf an. Und natürlich habe ich auch ein paar italienische Freunde. Probleme gibt es eigentlich nicht zwischen Italienern und Slowenen, obwohl ich immer das Gefühl habe, dass die Triestiner ein bisschen reserviert sind. Wenn Italiener aus anderen Landesteilen kommen, aus Rom oder aus Süditalien, dann freuen sie sich sogar, dass hier viele Sprachen gesprochen werden. Aber in Triest selber ist das schon etwas anderes."

    Sie kennt keinen einzigen Italiener, der auch slowenisch spricht.

    An blühenden Gärten vorbei führt die Strecke - steil bergauf. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf die Stadt unten, auf den Hafen, auf das Meer; eine schöne Fahrt. Das sagt auch Janeia.

    Die Narben der Geschichte sieht man von hier oben nicht. Und auch die vielen Brüche, die Grenzen und Verwerfungen, die der Stadt und ihren Bewohner übel mitgespielt haben, bleiben unsichtbar. Und doch sind sie Teil der Triestiner Identität.

    "Ja, das kann man so sagen: Es gibt eine italienische und eine slowenische Version der Geschichte. Tito zum Beispiel: Nicht alle Slowenen verehren ihn als Held, aber viele tun das immer noch, weil er uns befreit hat, von den Faschisten, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch ich bin mit so einem eher positiven Gefühl aufgewachsen. Für die Italiener dagegen war Tito ein Eroberer, ein Mörder auch, der brutal aufgeräumt hat in den 40 Tagen seiner Besatzung."

    Am 29. April 1945 war Marschall Josip Tito mit seinen kommunistischen Partisanen in Triest einmarschiert, um die politischen Karten an der Adria neu zu mischen: Schließlich gehörte Triest erst seit dem Ende des Ersten Weltkriegs zu Italien - bis dahin, mehr als 500 Jahre lang, war die Stadt Teil des habsburgisch-österreichischen Kaiserreichs gewesen, seit dem Ende des 14. Jahrhunderts. Italiener, Slawen und Deutsche hatten hier zusammengelebt, dazu unzählige Einwanderer aus allen Teilen der Welt.

    Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war Triest eine kosmopolitische Stadt gewesen, wo zwar italienisch die allgemeine Umgangssprache war, wo aber jedes Volk und jede Kultur seine eigene Sprache und seine eigene Religion hatte und auch öffentlich ausübte - kaum eine Stadt Mitteleuropas versammelt bis heute so viele verschiedene Gotteshäuser im Zentrum der Stadt wie Triest. Das Zusammenleben war nicht immer ohne Konflikte gewesen - die Störung des triestinischen Gleichgewichts jedoch kam zumeist von außen. Und mit dem Anschluss an Italien geriet die Balance ins Kippen: Denn die nationalen Kräfte wollten die gesamte Bevölkerung italienisieren, slowenische Namen und auch die slowenische Sprache wurde verboten, Mussolini schließlich forderte gar, die Slowenen auszurotten wie Wanzen - damals immerhin fast die Hälfte der Triestiner Bevölkerung.

    Und so kam Titos Einmarsch zumindest für sie wie ein Befreiungsschlag - mit ungeheurer Brutalität nahm er Rache an Faschisten, an Kommunistenjägern und an allen Vertretern der "Italianità", die er fassen konnte. 40 Tage lang wüteten Titos Schergen, bis sie die Stadt auf Druck der Alliierten wieder verließen.

    Was damals genau geschah, wie viele Menschen erschossen und zu Tausenden in die Schluchthöhlen im Karst geworfen wurden, in die Foibe - das ist bis heute nicht geklärt, sagt Janeia und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Und es lässt sich wohl auch nicht mehr klären. Nur ganz selten brechen die Wunden auf, sagt sie dann und erzählt eine Geschichte, ganz leise, als ob sie sich schämt.

    "Auch mir ist das mal passiert, hier in der Tram. Ich bin mit meiner Freundin zur Schule gefahren. Wir haben slowenisch gesprochen. Da kam eine Frau auf uns zu und hat uns beschimpft, auf italienisch: Dass wir daran schuld sind, dass ihre Familie damals umgebracht wurde, erschossen von Tito und in die Foibe geworfen. Zum Glück hat sich dann eine andere Italienerin eingemischt und uns in Schutz genommen, wir konnten uns nicht wehren. Wir waren ja grade mal 15 Jahre alt."

    Endstation Opicina: Janeia klemmt sich die Tasche unter den Arm und verabschiedet sich. Und der Tramfahrer wechselt die Kabine, geht einmal quer durch den Waggon, von hinten nach vorn: In ein paar Minuten wird er wieder hinunterfahren, zur Piazza Oberdan.


    "Unsere Stadt ist ein weißer Fächer. Von der Küste bis in die Höhen. Am Küstenstreifen sind die Häuser aufgefädelt. Und auf den Hügeln Schwärme von Föhren wie eine Reihe versammelter Reiter. Irgendwo lassen sie sich hinabfallen, und die hoch aufgerichteten Reiter gehen im Gänsemarsch. Durch die schütter gewordenen Föhren sehen wir den Karsthimmel. Mit der Bora, dem Wind aus dem Karst, haben sich die kleinen Häuser über den Hügel gestülpt und sind dem Wasser entgegengeeilt. Dort, wo sie ermüdet zum Stehen kamen, gaben wir ihnen besondere Namen: Sveti Ivan, Riokol und Skedenj, Rojan und Barkovlje. Fünf Vorstädte, wie sie nicht so leicht eine Stadt hat. Kinder der Sonne sind wir, und deshalb haben uns unsere Väter Heimstätten geschaffen, alle an der Küste. An ihnen reifen wir: Ihre Fassaden leihen dem Meer ihren Anblick. Wir treten ein in das Spiel der Möwen hoch über den sich wiegenden Schiffsmasten. Wir lieben die Netze, die auf Gestellen trocknen. In den Booten stehen Fischer und lösen die silbrige Beute aus dem Geflecht. Wir träumen nicht und sind auch keine Schwarzseher. Das Leben ist in uns. Und die Geräusche gerade dieser Stadt sind uns lieb, ein Geräusch wie die Stimmen versammelter Menschen unter der südlichen Sonne."

    Slowenen in Triest - Der Schriftsteller Boris Pahor über seine Heimatstadt
    Der Schriftsteller empfängt seine Besucher nur ungern zu Hause. Der Ort, an dem er Interviews gibt, ist die Bar Luksa an der Hauptstraße in Prosecco. Auch dies: ein Stadtteil von Triest, oben auf dem Karst gelegen, zwischen Opicina und der Steilküste. Prosecco - oder: Prosek, wie die meisten hier sagen. Die Kellnerin spricht slowenisch - genauso wie der ältere Herr an dem Tisch im Hinterraum: Er trägt einen feinen grauen Anzug, darunter eine wollene Weste, obwohl es fast schon Sommer ist. Hinter der dicken schwarzen Brille blitzen wache Augen.

    "Die Sprache ist das Fundament der menschlichen Identität. Die ethnischen Grenzen sind nicht mehr wichtig in Europa, aber jede Kultur muss ihr eigenes Gesicht behalten und ihre eigene Sprache. Denn man kann den anderen nicht verstehen, wenn man seine eigene Identität nicht kennt."

    Boris Pahor, der wichtigste slowenische Schriftsteller der Stadt, 95 Jahre ist er alt. In Triest wurde er geboren, an der Piazza Oberdan. Als Junge hat er miterlebt, wie nebenan das slowenische Kulturzentrum Narodni Dom angezündet wurde, 1920 von den italienischen Faschisten. Als er auf die Oberschule kam, durfte er plötzlich nicht mehr slowenisch sprechen.

    "Das habe ich nicht verstanden als Kind, dass man seine Sprache wechseln muss, dass so etwas überhaupt geschieht. Ich war total verwirrt, musste eine Klasse wiederholen - und als ich mich wieder gefangen habe, habe ich auch bald im Widerstand gekämpft, für meine slowenische Identität, gegen die Faschisten."

    1944 wurde er verraten und der Gestapo ausgeliefert, dann in die Konzentrationslager von Dachau, Struthof, schließlich Bergen-Belsen deportiert, eine 14-monatige Leidenszeit, die er wie durch ein Wunder überlebt und die ihn geprägt hat. Die Erlebnisse im KZ hat Boris Pahor in seinem berühmtesten Roman verarbeitet: Nekropolis; ein Roman, der wie die meisten seiner Bücher, erst nach der Übersetzung ins Französische und ins Deutsche auch in Italien wahrgenommen wurde. Besonders seine Heimatstadt Triest hat sich lange schwergetan mit Boris Pahor - trotzdem hat er nie überlegt wegzugehen.

    "Ich liebe meine Stadt, eine schöne Stadt mit dem Meer, den Bergen. Aber wenn Triest wieder Mittelpunkt sein will, dann wird es eine mehrsprachige Stadt sein, das, was die Italiener nicht möchten. Seit Kriegsende wehren sie sich dagegen, aber Europa wird stärker sein. Und auch Slowenien wird irgendwann begreifen, dass wir noch immer ein slowenisches Triest haben - oder besser: ein europäisches Triest. Achten wir einander, lieben wir einander, aber behalten wir jeder sein eigenes Gesicht. Das kann nur die einzige Antwort sein auf den Pluralismus, den multikulturellen Weg."

    Die Augen von Boris Pahor blitzen immer noch, Augen, voller Erinnerungen und voller Visionen. Viel hat er noch zu erzählen - doch jetzt, sagt er: Jetzt sei er ein bisschen müde. Den Kaffee hat er ausgetrunken, die Tasse mit zwei Fingern zurückgestellt auf die Untertasse. Morgen kommt wieder ein Besucher, ein Journalist aus Paris, mit ihm wird er natürlich französisch sprechen, sagt er noch, während er seinen Hut aufsetzt:

    "Ich bin schon ein bisschen international, nach dem Krieg habe ich in Frankreich studiert, in Bordeaux. Und Französisch ist fast meine zweite Muttersprache geworden. Vielleicht mögen die Franzosen mich deshalb so gern: Weil ich so spreche wie die Leute auf der Straße in Südfrankreich."

    Und dann nimmt er seinen Stock und verlässt die Bar Luksa. Langsam geht er, aber nicht wie ein müder alter Mann, sondern wie einer, der noch viel Zeit hat - Boris Pahor; in zwei Monaten wird er 96 Jahre alt.


    "Es gibt einen enormen Sinn für Ewigkeit in dieser Stadt, als wäre sie unsterblich und ihre Bewohner würden für immer leben.

    Wir Jungen beklagen uns darüber, dass es zu wenig Abwechslung gibt und immer öfter hauen wir ab, in den Ferien, auf der Suche nach einem anderen Meer, nach einer anderen Sonne, nach einer anderen Wirklichkeit. Und merken erst dort, wo auch immer, dass es dasselbe Wasser ist, in dem wir baden, dieselbe Sonne, die uns bräunt, dieselbe Luft, die wir atmen. Und beim Streifzug durch die Straßen von New York, Paris oder London, meint man, dass hinter der nächste Ecke die Piazza della Borsa auftauchen müßte oder das Teatro Romano oder San Giusto, oder auch nur eine Via Fabio Svevo.

    In jeder Stadt der Welt gibt es ein Stück Triest, ein Stück dieser weiten, vielfältigen, wunderschönen Stadt: die Stadt des Herzens. Jeder, sei er Fremder oder Triestiner, hat sie ins sich und trägt sie mit sich, egal wohin er geht. Und immer scheint es, als bräuchte man nur die Faust zu schließen und wieder zu öffnen und heraus käme: eine Piazza Unita an Heiligabend. Ein Schloß von Miramare am Abend des Valentinstags. Oder einfach: ein Sonnenuntergang hinter dem Monte Grisa.

    Auch wenn Du das nicht kennst, wenn du gerade erst angekommen bist an irgendeinem Punkt dieser wunderbaren Stadt, spürst du, dass Triest auch dir gehören kann."

    Die neuen Einwanderer von Triest - Besuch bei der Migrantenorganisation Cacit
    Piazza Ponterossa, am Canale Grande von Triest: Flache Fischerboote dümpeln vor sich hin. Ein junger Senegalese schlendert über den Platz, einen Stapel Bücher unter dem Arm, die er zum Verkauf anbietet. Ein kleiner Markt, ein Blumenstand, und einer für Obst und Gemüse, der offene Lieferwagen hat ein slowenisches Kennzeichen. Rechts: die serbisch-orthodoxe Kathedrale mit goldenen Kuppeln. Geradeaus: die katholische Kirche Sant Antonio Taumaturgo, ein wuchtiger neo-klassizistischer Bau.

    Das griechisch-orthodoxe Gotteshaus ist von hier aus nicht zu sehen, es liegt direkt an der Uferstraße, höchstens 100 Meter entfernt. Und auch die Synagoge, eine der größten Europas, steht nur ein paar Straßen weiter, in der Via San Francesco d'Assisi.

    In derselben Straße hat auch Cacit seine Räume: ein Verein, der sich um die Belange der neuen Einwanderer kümmert, in einem schlichten Bürogebäude im ersten Stock.

    Drei Kinder sitzen am Tisch, zwischen sechs und zehn Jahre alt. Azzar, der Mittlere, hat vor sich einen selbstgemalten Comic liegen - und erzählt die Geschichte dazu, etwas stockend, so als ob seine Fantasie schneller ist, als die Zunge in Italienisch.

    Azzars Vater kommt aus Somalia, die Familie ist noch nicht lange in Triest.
    Die Frau im rosafarbenen T-Shirt hört ihm geduldig und aufmerksam zu. Sie ermuntert ihn und lobt ihn immer wieder.

    Olga Calco, Ende 30 - die große Sonnenbrille hat sie in die Haare geschoben, wie eine Italienerin. Aber sie lebt erst seit einigen Jahren hier. Aus Venezuela ist sie gekommen, der Liebe wegen:

    Ihr Mann ist aus Triest. "Das erste Jahr war schwer", erzählt sie. Inzwischen spricht sie fließend italienisch, hat sich an das Essen gewöhnt und ans Klima auch. Früher war sie Lehrerin. Es macht ihr Spaß, mit Kindern zu arbeiten, zwei Nachmittage in der Woche kommt sie zu Cacit, um Kindern wie Azzar bei den Hausaufgaben zu helfen. Der will seine Geschichte zu Ende erzählen und zupft sie am Ärmel.

    Cacit: "Coordinamento delle Associazoni e delle Comuntà degli Immgrati della provincia di Trieste" - eine Art Koordinierungsstelle für die verschiedenen Vereine von Migranten in der Region; eine Begegnungsstätte und ein Kulturzentrum. Die Region Friaul-Julisch-Venetien unterstützt die Arbeit von Cacit, indem sie Miete und Strom bezahlt. Alle, die hier arbeiten, tun dies ehrenamtlich und aus Leidenschaft. So wie die Soziologin Melita Richter Malabotta. Auch sie ist eine Zugezogene. Das ist bereits am Namen zu erkennen:

    "Mein Familienname ist Richter, mein Urgroßvater kam aus dem Sudetenland. Er ist nach Zagreb gegangen, als es noch keine Grenzen gab. Dort bin ich geboren. Melita ist griechisch, keine Ahnung, wie der nach Zagreb gekommen ist. Und Malabotta ist der Name meines Mannes, er ist aus Triest."

    Sie arbeitet von zu Hause aus, die offenen Fenster lassen ein bisschen Sonne ins Zimmer und den Gesang der Vögel. Seit 30 Jahren lebt Melita Richter hier. Vorher ist sie gependelt zwischen Zagreb und Triest, 270 Kilometer. "Das ist doch keine Entfernung", sagt die agile Frau Mitte 50 und lacht. Sie hatte sich entscheiden müssen zwischen einer Karriere an der Uni in Zagreb und, wie sie sagt: dem Leben selbst.

    "Die Geschichte ist ganz einfach: Ich war verliebt; eben: in einen Triestiner. Dadurch war ich auch schnell integriert, auch im Alltag. Ich habe Kollegen an der Uni, Dozenten für Serbisch oder Kroatisch, die mir erzählt haben, dass sie noch nie in einem Haus von Triestinern waren. Die Triestiner selbst bleiben lieber unter sich. Das ist schon ein Zeichen von Verschlossenheit."

    Fremdenfeindlich seien die italienischen Triestiner nicht, sagt die Soziologin. Auch nicht rassistisch. Aber eben auch nicht neugierig. Melita Richter Malabotta ist eine Chronistin der Stadt. Und sie setzt sich ein, für den interkulturellen Dialog: als Wissenschaftlerin an der Universität, und als Kulturvermittlerin an Grundschulen.

    "Triest hat nicht mehr Immigranten als andere Städte Italiens, etwa sieben Prozent der Bevölkerung sind es, auch in Triest. Während des Jugoslawienkrieges sind natürlich viele Menschen hergekommen, vor allem aus Bosnien. Aber auch Serben - sie hatten zwar keinen Krieg, sie sind geflohen vor der Unsicherheit. Der Ort, wo sich die Kulturen heute treffen: Das sind die Schulen. Vor allem in den Grundschulen: Da sitzen die kleinen Chinesen neben Serben, Albanern und Rumänen. Auch viele Kinder aus dem Maghreb oder aus dem Senegal, einige bereits in der zweiten Generation. Und das funktioniert gut in den Schulen. Diese junge Senegalesin, die bei dem Literaturprojekt mitgemacht hat, ist ein gutes Beispiel dafür."

    Sie steht auf und holt ein Buch aus dem Regal: ein schlichter weißer Band mit dem Titel "Migrazioni e paesaggi urbani" - "Wanderungen und Spaziergänge durch Triest". Es ist das jüngste Projekt von Melita Richter Malabotta zusammen mit dem Verein Cacit: 50 Autoren schreiben über ihre Stadt. Autoren aus mehr als 20 Nationen, die alle in Triest leben.

    "Wir wollen dem Fremden eine Stimme geben. Eine Art öffentlicher Raum soll dieses Buch sein, ein Forum, wo verschiedene Stimmen zu hören sind. Denn das ist das Wichtigste, damit nicht irgendwann wieder Ghettos entstehen."

    Es ist bereits das dritte Buchprojekt dieser Art: "Sprache und Identität", so hieß der erste Band. Und der zweite "sapori, incontri, fragranze" - "kulinarische Begegnungen in Triest": ein Rezeptbuch der besonderen Art und ein Porträt dieser Stadt. Denn in der Triestiner Küche haben viele Kulturen ihre Spuren hinterlassen: die Österreicher Palatschinken und den Kren, den Meerrettich, der über gekochten Schinken geraspelt wird. Die Ungarn den Gulasch und das Sauerkraut, die Slowenen ihre Wild- und Wildschweingerichte, die portugiesischen Seefahrer haben den Stockfisch mitgebracht, den Baccalá. Die Araber Safran und süßes Gebäck. Und die Süditaliener Limonen, Kapern und Oliven.

    Aus der Küche der Familie Malabotta zieht ein Duft von gebratenem Fleisch mit Knoblauch, Salbei und Rosmarin. Gleich gibt es Mittagessen.

    "Als Modell sehe ich Triest nicht, dafür fehlt noch viel, vor allem auf politischer Ebene. Auch in den Institutionen muss noch viel daran gearbeitet werden, dass man wirklich von einem Zusammenleben der Kulturen hier sprechen kann."

    Doch im Alltag gäbe es viele positive Beispiele, in den Schulen etwa. Da zeige sich Triest in der Tat als kultureller Schmelztiegel.

    "Auf jeden Fall könnte Triest ein Modell für Konfliktfreiheit sein. Denn obwohl hier so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft leben, viele auch aus Ex-Jugoslawien, aus Serbien, Kroatien und Bosnien: Es hat noch nie Schwierigkeiten gegeben, keine Gewalt, keine Angriffe aus ethnischen Beweggründen. Und das ist sicher eine gute Sache, ohne Zweifel."


    Kommerz, Konsum, Kultur - Kaffeehauptstadt Triest
    Eine riesige Fabrikhalle, gleich neben dem Hafengelände: LKW rollen heran und werden entladen, Gabelstapler rollen durch die Halle, daraufgeschichtet: braune Jutesäcke. Ein säuerlicher Geruch liegt in der Luft - Cafe Cruda: Rohkaffee; aus der ganzen Welt.

    Alessandro, Ende 30, Brille, schwarze Locken, Cargohose, Turnschuhe: Er überwacht die Reinigung der grünen Kaffeebohnen. Sack für Sack wird in einen überdimensionalen Filter geschüttet, ein stählernes Ungetüm. Unten kommt die Auslese wieder heraus und wird wiederum sackweise abgefüllt. In dem Trichter und von außen ist nichts zu sehen: eine elektronische Lichtschranke, damit werden die schlechten Bohnen aussortiert; und alles andere, was hier nicht reingehört. "Heute kommt das selten vor. Aber noch vor zehn Jahren", sagt er, "waren öfter mal Tiere in den Säcken, Mäuse, Schlangen, einmal sogar ein Leguan".

    Mehr als sieben Millionen Kaffeesäcke kommen jedes Jahr im Hafen an - Triest ist der Hauptumschlagplatz des italienischen Kaffeehandels. Und ein großer Teil des Kaffees bleibt in der Stadt: Die Triestiner trinken fast doppelt soviel Kaffee wie alle anderen Italiener; Espresso natürlich. Dazu unzählige Varianten mit manchmal verwirrenden Namen: Der Macchiato heißt hier Cappuccino, mit einem winzigen Klecks Milchschaum drauf und der Cappuccino wird meistens im Glas serviert: capo in bi.

    Dass aus dem orientalischen Getränk mit dem arabischen Namen eine Triestiner Tradition geworden ist, dass sie also sich den fremden "qawa" zueigen gemacht haben - dafür gibt es viele mögliche Erklärungen: die Wiener Kaffeehaustradition, ein Relikt der Habsburger Zeit also. Oder: der bis heute währende Stolz, der Konkurrentin Venedig den Rang als Kaffeehauptstadt abgelaufen zu haben, damals im 18. Jahrhundert: Jede Tasse eine Erinnerung an diesen Triumph. Und, nicht zu vergessen: die positive Nebenwirkung des Koffeins auf kühle Rechner. Triest ist eine Unternehmerstadt. Kultur und Kommerz treffen hier in vielen Bereichen aufeinander.

    Auch was den Kaffee angeht: Drei namhafte Kaffeehersteller gibt es in der Stadt: San Giusto, Hausbrandt und illy caffé. Sie haben nicht nur hauseigene Röstereien - auch die Auswahl der Bohnen ist um einiges feiner, als in den großen Kaffeeterminals im Hafen. Hier wird zwar auch mit optischen Geräten gearbeitet, aber auch mit den Augen und mit der Nase.

    "Man kann es riechen, wenn eine Bohne schlecht ist", sagt Silvia. Sie arbeitet im Labor von Illycaffé. Sechs kleine Säckchen hat sie schon geprüft und abgefüllt - jede Bohne wird einzeln erst unter die Lupe und dann unter die Nase genommen. Zur olfaktorischen Kontrolle wird manche Bohne anschließend auch noch mit feinem Schleifpapier bearbeitet und noch einmal mit der Nase geprüft.

    Natürlich geht es nicht um die einzelne Kaffeebohne, sondern um die Qualität des Kaffees an sich - die Verträge mit den Kaffeebauern in Äthiopien, Brasilien und Indien werden für jede Erntesaison neu geschlossen; aber nur, wenn die Qualität stimmt.

    Silvias Chef sitzt am Computer im Büro nebenan. Der Leiter der Qualitätskontrolle: Bruno Makollé, Anfang 30, Doktor der Biochemie, geboren in Kamerun. Er hat in Triest studiert. Auch er hatte sich verliebt.

    "Es ist eigentlich eine komische Geschichte. In Kamerun, das ja sowieso schon zweisprachig ist, englisch und französisch, muss jeder Gymnasiast eine dritte Sprache lernen: Deutsch oder Spanisch. Ich habe Spanisch genommen. Und dann habe ich im Fernsehen eine Sendung gesehen, wo das Spanisch seltsam klang - als ich gemerkt habe, dass das gar nicht spanisch war, sondern italienisch, hatte ich mich schon längst in die Sprache verliebt. Und darum bin ich nach Italien gekommen."

    Natürlich, sagt Bruno Makollé, sei es ein bisschen seltsam, dass er hier in Italien mit einem Produkt seiner Heimat zu tun hätte, theoretisch jedenfalls. Auch in Kamerun wird Kaffee angebaut. Zwar wird nicht soviel Kaffee getrunken wie in Italien, aber es wachsen dort die beiden wichtigsten Sorten: Arabica und Robusta. Aber bisher, sagt er, entspricht die Qualität noch nicht den Ansprüchen seines Arbeitgebers, leider. Er arbeitet daran. Denn: Der Rohstoff Kaffee sei ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Kontinente im 21. Jahrhundert zusammenarbeiten können.

    "In dieser globalisierten Welt, in der wir heute leben, muss ich immer wieder an das alte Sprichwort denken: dass die rechte Hand der Linken hilft. In diesem Fall hilft Afrika zuerst mal Europa, mit dem Rohstoff, in diesem Fall Kaffee, der dann hier in Europa verfeinert und verkauft wird. Und andererseits unterstützt Europa den afrikanischen Kontinent oder auch andere unterentwickelte Regionen der Welt mit Wissen ganz anderer Art; mit ökonomischem Know-how, oder mit ökologischem. Ich sehe eben vor allem diese große Chance in der Globalisierung: dass dadurch tatsächlich eine echte Partnerschaft möglich wird, die Afrika helfen kann, vorwärts zu kommen."

    Er selbst trinkt inzwischen fast soviel Kaffee wie die Triestiner, sagt Bruno Makollé: zehn bis zwölf Tassen am Tag. Auch in seinem Büro steht eine Espressomaschine, gleich hinter seinem Schreibtisch.


    "Das Kaffeehaus ist eine platonische Akademie, sagte Anfang dieses Jahrhunderts Hermann Bahr - und er sagte auch, dass er sich wohl fühle in Triest, dennn in dieser Stadt habe er den Eindruck nirgends zu sein. In dieser Akademie wird nichts gelehrt, aber man lernt Geselligkeit und Ernüchterung. An diesen Tischen ist es nicht möglich, Schulen zu begründen, Lager zu bilden, Anhänger und Nacheiferer zu mobilisieren, eine Gefolgschaft zu rekrutieren. An diesem Ort ist kein Platz für die falschen Meister, die mit falschen Erlösungsverheißungen den verführen, der von einem ängstlichen und unbestimmten Verlangen nach müheloser und unmittelbarer Erlösung erfüllt ist. Schreiben, sich unterbrechen, plaudern, Karten spielen. Die Stunden fließen angenehm dahin, sorglos, fast glücklich."

    Grenzerfahrungen und Grenzüberschreitungen - Der Schriftsteller Claudio Magris über seine Heimatstadt
    Von außen sieht es ziemlich unscheinbar aus, das legendäre Café San Marco, das Zentrum der Dichter von Triest. Auf der Via Cesare Battisti rauschen die Autos vorbei, Busse - und natürlich Motorroller. Vor den Fenstern hängen weiße Gardinen, ein bisschen vergilbt sind sie.

    Die große Schwingtür steht offen - ein Eingang in eine andere Welt. Die hohen Wände sind holzgetäfelt, in den Regalen stehen Bücher. Likörflaschen vor einem riesigen Spiegel. Schlichte Tische und Stühle im Wiener Kaffeehausstil, abgewetzte schwarze Lederbänke - ein Besuch im San Marco ist eine Reise in die Vergangenheit: 1914 wurde das Café eröffnet. Es ist nicht das älteste Traditionscafé der Stadt, aber das einzige, das offensichtlich allen Modernisierungen widerstanden hat.

    Der große Ecktisch rechts hinten am Fenster ist meistens reserviert, so auch heute: "Magris" steht auf dem gefalteten Papier - Claudio Magris. Der berühmte Schriftsteller aus Triest ist viel unterwegs, in Europa und in der ganzen Welt. Doch wenn er in seiner Heimatstadt ist, verbringt er ganze Tage hier. Das San Marco ist seine Schreibstube. Und der Ort, wo er Interviews gibt.

    "Ich muss sagen, ich spreche ungern über Triest."

    "Das haben Sie schon gesagt."

    "Ja, Ja."

    "Dann sprechen wir erst übers Reisen."

    "Ja."

    Claudio Magris, vor kurzem ist er 70 Jahre alt geworden; Professor für deutsche Literatur in Turin, ein überzeugter Europäer, nicht nur, weil er neben italienisch auch deutsch und französisch spricht. Mit federndem Gang ist er ins Café gekommen, die lederne Aktentasche in der rechten Hand schwenkend: pünktlich auf die Minute.

    Verabredet war: nicht über Triest zu sprechen. Denn über seine Heimatstadt habe er schon alles geschrieben. Und alles gesagt. Also beginnt er: mit dem Reisen.

    "Ja viel unterwegs, nicht weil ich nicht gern bei mir, zu Hause in Triest bin, sondern weil: Erstens liebe ich Reisen und mit Reisen mein ich nicht, was auch allzu oft passiert, dass man nach München oder Paris fliegt, um dort einen Vortrag zu halten oder... das ist keine Reise. Reisen ist eigentlich ein bummeln, bummeln. Das heißt, wenn man nicht genau weiß, wohin man geht. Und in dem Sinn natürlich ist die Reise auch, auch die kleine Reise, ein Prüfstein, um unsere Fähigkeit oder Unfähigkeit auf die Probe zu stellen, den anderen zu begegnen, Angst vor dem Neuen zu haben, natürlich nicht nur in fernen Ländern mit ganz anderen Gewohnheiten, auch im Alltag natürlich."

    Claudio Magris winkt der Kellnerin - sie nickt nur und scheint genau zu wissen, was der Stammgast bestellen will, denn sie kommt gar nicht an den Tisch heran. Magris zitiert Dante, mit einem seiner Lieblingssätze.

    Unsere Heimat ist die Welt, wie das Meer für die Fische. Geboren wurde er in Triest, 1939 in eine kosmopolitische, antifaschistische Familie. Der Vater Italiener, aus dem Friaul.

    "Die Familie meiner Mutter war typischer unter diesem Gesichtspunkt: eine Familie dalmatinisch-griechischer Herkunft, mit einem kroatischen Zweig. Ich hab einen kroatischen Cousin, das bedeutet, dass: Mitte des 19. Jahrhunderts haben sich zwei Brüder entschlossen, der eine sich als Italiener zu fühlen und der andere als Kroate und auch mein Großvater, ein bisschen Genie und ein bisschen auch Chaos, der sprach fließend auch kroatisch und meine Mutter hat auch deutsch natürlich gesprochen."

    Deswegen spricht er so gut deutsch. Und deshalb hat er später deutsche Literatur studiert, in Turin. Es war auch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seiner Heimatstadt, bei der Lektüre von Italo Svevo und Umberto Saba entstand der Wunsch, sich mit der Geschichte der Habsburger zu beschäftigen, jener Ära, in der Triest eine kosmopolitische, eine europäische Stadt war.

    Die Kellnerin hat ein Glas Prosecco mit Orangensaft gebracht, dazu eine Schale mit Erdnüssen und eine mit Kartoffelchips - das gibt es hier in jeder Bar zum Aperitif.
    Der Professor nimmt einen Schluck und spricht dann doch über Triest, über das Gefühl der Unsicherheit, mit dem er aufgewachsen ist, zwischen zwei, nein: zwischen vielen Grenzen. Erst 1954, nach Jahren der provisorischen Regierung durch die Alliierten, wurde Triest wieder italienisch, da war er 15. Heute sei Triest ihm wieder eine gute Basis geworden für seine Reisen. Jedes Jahr im Frühjahr wetteifert er mit seinem Nachbarn, wer sich als erster ins Meer wagt. Dieses Mal hat er gewonnen, Mitte April. Und auch heute morgen, natürlich, war er schon schwimmen.

    "Triest war die Welt der Kindheit, das heißt, die Welt von den Geschichten, die man in der Familie gehört hat, auch die Welt vor der Geburt. Und in dem Sinne aber Triest ist physisch wichtig natürlich, auch das Meer, der Karst, auch die Grenze in Triest hat mich sehr geprägt, diese Grenze, die natürlich der Eiserne Vorhang war."

    Er nimmt einen Schluck aus dem Glas und greift in die Schale mit den Nüssen.

    "Jetzt ist es sehr leicht für mich oder einen Triestiner über die Grenze zwischen Italien und Jugoslawien oder Triest und Slowenien zu gehen, Grenzen die auch natürlich Blut gekostet haben; und Vorurteile und Hass - und die sehr wichtig im guten und im negativen Sinne gewesen sind. Aber eigentlich: die unsichtbaren Grenzen, die es heute in Triest, sogar in einer kleinen Stadt schon gibt, zwischen diesen Schwarzen, die aus Senegal kommen, oder den Chauffeuren, die aus der Türkei kommen, aber auch das ist eine Reise natürlich. Und in dem Sinne reise ich. Und wenn man reist, hat man das Gefühl, auch ein bisschen gegen die Zeit zu kämpfen."

    In die lokale Politik mischt er sich heute nicht mehr gerne ein - einer der wenigen Momente, in denen er Sympathie empfand für Robert Dipiazza, den derzeitigen Bürgermeister von der rechtsnationalen PDL, war, als dieser den slowenischen Schriftsteller Boris Pahor "unseren Schriftsteller" nannte. Das war ein großer Tag, sagt Claudio Magris.

    "Ich denke. Ich bin wirklich ein europäischer Patriot. Denn ich glaube, dass Europa unsere einzige Möglichkeit ist. Ganz konkret: Die Probleme sind heute europäisch. Aber es ist die einzige, die einzige, die einzige Möglichkeit. Für mich ist es absurd, dass es ein anderes Gesetz zum Beispiel gegenüber der Migration gibt, ein ganz anderes Gesetz in München und Triest, es ist genauso sinnlos, als wenn wir ein Gesetz in Triest und ein anderes in Venedig finden."

    Es ist fast Mittag, der Aperitif ausgetrunken, auch die Schale mit den Erdnüssen ist so gut wie leer. Um eins hat er einen Besuch im Krankenhaus versprochen. Der Zeitplan ist eng für Claudio Magris, wenn er in Triest ist. Trotzdem nimmt er sich Zeit nachzudenken; über Neoliberalismus und Unternehmertum im alten Sinn. Und über die Frage, welcher Wert ihm besonders wichtig ist.

    "Sehr schwierig. Ich würde vielleicht sagen: il rispetto. Der Respekt. Oder vielleicht ist eine Voraussetzung für andere Werte. Denn man kann natürlich treu, loyal, auch hilfsbereit sein, wenn man respektiert. Zum Beispiel: Wenn ich die göttliche Komödie oder den Hamlet geschrieben hätte, dann würde ich sagen: Ich bin der Größte. Punkt. Leider hab ich den nicht geschrieben. Aber ich wüsste ganz genau, dass in fünf Minuten für einen Moment, ich der Dummkopf sein kann. Und in dem Sinne, Respekt bedeutet auch die völlige Freiheit von jedem Stolz."

    Und dann steckt er den Kugelschreiber zurück in die Brusttasche seines karierten Hemdes. Wieder winkt er der Kellnerin, gleich wird sie mit der Rechnung kommen. Caffé San Marco wird darauf stehen, in geschwungenen Lettern, Via Cesare Battisti, Triest: ein Kaffeehaus mit Geschichte; und die Schreibstube von Claudio Magris.

    Und dann erzählt er ganz zum Schluss, in bestem Triestiner Dialekt, warum dieser Ecktisch sein Lieblingsplatz ist, hier in Triest.

    "Hier bin ich allein und doch unter Menschen. Wie auf einem Floß, nach einem Schiffbruch, nur das Allernötigste habe ich hier bei mir. Konzentriert auf meine Arbeit, aber nicht einsam. Die Menschen an den Tischen ringsherum sind eine Art Familie für mich. Dieser Ort ist wie geschaffen für einen, der immerfort unterwegs ist, für einen Nomaden wie mich, der nach Hause kommt. Oder wie wir Triestiner sagen: ins Lokal."

    Das Eigene und das Fremde. Das waren Gesichter Europas an diesem Samstag: Triest - Stadt zwischen den Kulturen. Eine Sendung von Simonetta Dibbern. Redaktion: Thilo Kößler.