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Das Einwanderer-Leben als Spiel

Adventure-Games, zu deutsch Abenteuerspiele, heißen Videospiele, bei denen es um besonders kniffliche Rätsel geht, die im Rahmen einer vorgegebenen Handlung auftauchen. In Madrid setzt jetzt erstmals eine Künstlergruppe ein solches Videospiel im Rahmen der Jugendsozialarbeit für jugendliche Einwanderer ein. Im Mittelpunkt steht der Alltag in der Illegalität.

Von Hans-Günter Kellner |
    David Sanchez hat Probleme, der Computer im Madrider Jugendzentrum für arabische Einwanderer hängt sich immer wieder auf. Als alles wieder funktioniert kann David Sánchez der jungen Marokkanerin Leila das Videospiel Bordergames erklären. Aber im Grunde erklärt es sich von selbst:

    Willkommen in Lavapiés, dem herrlichsten Stadtteil in Madrid, sagt ein Marokkaner zu Beginn des Spiels und erklärt die Regeln. Protagonist des Spiels ist ein junger Einwanderer, der gerade im Viertel angekommen ist. Die Abenteuer, die er zu bestehen hat, sind Gespräche. Seine Zukunft im Viertel hängt von den Antworten ab, die er gibt. So läuft er gleich nach Verlassen der U-Bahn der Polizei in die Arme, die ihn um seine Papiere bittet. Er hat aber keine. Das Spiel bietet drei Antworten an: Gibt er an, dass er auf dem Weg zum arabischen Jugendzentrum ist, hat er die Hürde überwunden. Programmiert wurde das Spiel von einer Madrider sozialen Künstlergruppe um David Sánchez. Er erklärt, worum es letztendlich geht:

    " Wir wollten mit dem Spiel ein neues Werkzeug zur Kommunikation schaffen. Das Spiel wird nichts kosten. Wir haben einen Spieleeditor geschaffen, mit dem die Einführung neuer Personen und Situationen problemlos möglich sein wird. Jeder kann sich das Spiel in Kürze im Internet runterladen und beliebig verändern, oder auch im Internet spielen. Die Jugendlichen entscheiden, wie sich die Handlung künftig entwickelt. "

    Noch ist die Technik nicht vollständig ausgereift, aber das Ziel ist klar. Jugendliche Einwanderer in Madrid sollen von ihrem Alltag erzählen. Ein Alltag, der sich vor allem in der Illegalität abspielt. Während der außerordentlichen Legalisierungsaktion der spanischen Regierung erhielten im Sommer zwar 700.000 Immigranten Papiere. Doch heute ist es in Spanien fast unmöglich, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Der Marokkaner Tarik Al Idrissi war selbst illegal, kam vor sieben Jahren auf einem Fischerboot nach Spanien. Auch er gehört zu den Initiatoren des Spiels:

    "Der Protagonist trifft Landsleute, die ihm von den verschärften Kontrollen auf den Baustellen und den hohen Strafen für Arbeitgeber erzählen, die Illegale beschäftigen. Am Ende schafft er es dann doch irgendwie. In einer anderen Situation wird er von Drogenhändlern angesprochen, die Minderjährige als Kleindealer anwerben, weil diese nur begrenzt straffähig sind. Er kann damit Geld verdienen, kommt aber später ins Gefängnis. Er kann das Angebot aber auch ablehnen. Es geht um den harten Alltag. Dinge, von denen viele Leute in Marokko nichts wissen. "

    Es sind längst nicht die schlimmsten der Grenzsituationen, von denen Bordergames erzählt. Tarik berichtetn von der steigenden Tendenz von arbeitslosen jugendlichen Einwanderern, Klebstoff zu inhalieren. Im Spiel kommt das jedoch nicht vor. Trotzdem zeigte sich jüngst bei einer Messe für Videospiele in Madrid so mancher kommerzielle Aussteller empört, sagt Tarik. Er kritisiert hingegen eine ganz andere Art von Videospielen - Kriegsspiele, in denen der zweite Weltkrieg täuschend echt nachgespielt wird. Die jungen Marokkaner denken hingegen in ganz andere Richtungen, wenn sie von einer Weiterentwicklung ihres Spiels reden. Bisher bleibt der Protagonist in Lavapiés, er hat keine Vorgeschichte, und auch keine goldene Zukunft. Der 18-jährige Abdulah Elauri hat ganz konkrete Vorstellungen:

    " Wir möchten die Geschichte des Jungen von Anfang an erzählen. Wie er sein Dorf verlässt, auf der Achse eines Lastwagens versteckt auf einer Fähre nach Spanien kommt. Ich habe viel in Spanien erlebt. Es gibt auch viele schöne Dinge. Aber im Grunde ist es eine traurige Geschichte. Dieser Junge aus unserem Spiel lässt seine ganze Familie zurück. Er muss aufpassen, dass ihn die Polizei nicht erwischt. Die schickt ihn sonst nach Marokko zurück. Und dann ist der Traum aus. "