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Das Eis und das Walross

Klimaforschung. - Der Klimawandel macht sich in keiner anderen Weltregion so deutlich bemerkbar wie in der Arktis. Eines der deutlichsten Anzeichen ist das arktische Meereis, das sich immer stärker zurückzieht. Es hinterlässt dunkle Wasserflächen, die sich stärker erwärmen als das weiße Eis und so zu einer weiteren Erwärmung der Arktis beitragen: ein Teufelskreis, der immer neben den symbolträchtigen Eisbären auch andere Tiere in Bedrängnis bringt.

Von Monika Seynsche |
    Ein Eisbrecher malmt sich seinen Weg durch tennisplatzgroße Eisschollen nördlich der Beringstraße zwischen Russland und Alaska. Jeden Sommer fährt die "Sir Wilfried Laurier" von der kanadischen Westküste aus in die Arktis um dort Fahrrinnen ins Meereis zu brechen. Und jeden Sommer sind Jackie Grebmeier von der Universität von Maryland und ihre Kollegen an Bord dieses Eisbrechers. Die Biologin untersucht, welche Folgen der Klimawandel für das Leben in der Beringsee und im arktischen Ozean hat.

    "2008 haben wir zum ersten Mal gesehen, dass Walrosse an Land kommen. Das kommt in letzter Zeit immer häufiger vor. Die Tiere finden ihre Nahrung am Grund der flachen Küstengewässer. Aber sie müssen sich zwischen diesen Tauchgängen ausruhen und dafür brauchen sie Eisschollen über ihren Nahrungsgründen. Wenn das Eis weg ist, müssen sie woanders rasten und so kommen sie an Land."

    Walrosse ernähren sich in erster Linie von Muscheln und anderen Schlickbewohnern am Grund des Meeres. Da sie nicht tiefer als 100 bis 150 Meter tauchen können, sind sie auf Rastplätze angewiesen, die in der Nähe von flachen Meeresgebieten liegen.

    "Wenn sie an Land rasten, müssen sie weit hinausschwimmen, um zu fressen. Anstatt also 60 Meilen vor der Küste auf einer Eisscholle zu rasten und einfach nur senkrecht zu ihrem Futter tauchen zu können, müssen sie jetzt erstmal von der Küste dort hinausschwimmen, denn die Nahrungsbedingungen direkt vor der Küste sind nicht berauschend. Erst weiter draußen sorgt das nährstoffreiche Wasser aus dem Pazifik für reichhaltige Nahrung."

    Der gestiegene Energieaufwand bei der Nahrungssuche ist aber nicht das einzige Problem der Walrosse. Tausende von ihnen drängen sich jetzt auf den schmalen Stränden an der russischen Arktisküste. Aber mit ihren gewaltigen Leibern sind die Tiere nicht dafür gemacht, an Land zu leben.

    "Die Walrossbabys werden von den großen Tieren erdrückt. Sobald die erwachsenen Walrosse etwa durch Jäger oder andere Störungen in Panik geraten, trampeln sie ihre Babys tot."

    Auf den Eisschollen können sich die Tiere verteilen und sind an jeder Stelle nah am Wasser. An Land aber sind die günstigen Plätze in der Nähe der Brandung begrenzt und in der Enge kostet jede Aufregung einige Jungtiere das Leben. Und dieses Jahr könnten noch mehr Walrossbabys sterben als in den vergangenen Jahren.

    "2010 könnte wieder ein Rekordjahr werden. Das Meereis hat sich jetzt schon stärker zurückgezogen als zur gleichen Zeit im Jahr 2007, dem bisherigen Rekordjahr. Genau werden wir das im September wissen, wenn das Meereis seine minimale Ausdehnung erreicht hat. Aber so wie es im Moment aussieht, werden die Walrosse dieses Jahr wieder massive Probleme bekommen. Denn sie brauchen Rastplätze. Aber sie können dem Eis nicht in die Hocharktis folgen."

    Denn dort schwimmt das Eis über viele Tausend Meter tiefem Wasser. Kein Walross der Welt kann so tief tauchen, um Nahrung zu finden.