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Das Ende der Fastenzeit

Seit 1000 Jahren ist die orthodoxe Liturgie in Russland - anders als in den westlichen Kirchen -unverändert. Auch an Ostern ist das so. Am Karsamstag bereitet ein Vespergottesdienst auf die Osternacht vor. Die Priester tauschen ihre dunklen Fastengewänder gegen die hellen ein. Und dann kann die feierliche Osternacht beginnen.

Von Hildburg Heider | 25.04.2011
    Schon am Palmsonntag - eine Woche vor Ostern - ist in russischen Kirchen eine gewisse Erregung spürbar, die sich noch steigern wird bis zum Jubel in der Osternacht. Bei meinem Aufenthalt in St. Petersburg wohne ich immer bei meiner Freundin Olga und gehe oft direkt gegenüber in die Verklärungs-Kathedrale: ein weißer Bau mit quadratischem Grundriss und klassizistischen Vorbauten, die an griechische Tempel erinnern. Oben leuchten fünf blaue Kuppeln. Hier wurden 1988 die Hauptfeiern zur 1000-Jahrfeier des russischen Christentums veranstaltet. Seit 1000 Jahren ist die orthodoxe Liturgie - anders als in den westlichen Kirchen -unverändert.

    Die Palmsonntagsliturgie folgt den Vorschriften des Heiligen Johannes Chrysostomus aus dem 5. Jahrhundert. Singen ist für gläubige Russen ein Gebet. Ziel des Gebets: die Vereinigung mit Gott. Nur gelegentlich beteiligt sich die Gemeinde an dem vorwiegend gesungenen Gottesdienst. Sie überlässt die heute überwiegend mehrstimmigen Gesänge den Priestern und geweihten Chorsängern.

    Als ich Mitte der 70er-Jahre zum ersten Mal die Kathedrale der Verklärung im damaligen Leningrad besuchte, herrschte eine fast konspirative Stimmung unter den Kirchgängern. Nur vereinzelte gelbe Wachskerzen brannten in den mit Sand gefüllten Ständern, und nur wenige wagten sich zu bekreuzigen. Viele Frauen standen da ohne Kopfbedeckung, das wäre heute undenkbar. Nach der Perestrojka kam Leben auch in diese Kathedrale: im April 1994 entstand diese Live-Aufnahme vom Palmsonntag. Man hört das Schwenken der Weihrauchgefäße.

    Nach den Völlereien der Butterwoche - auf russisch Maslenica - beginnt die Fastenzeit. Vater German, seit 1973 Erzpriester einer russisch-orthodoxen Gemeinde in Köln, weiht mich ein in die Bedeutung der Osterriten.

    "Wichtig ist diese Vorbereitung, durch Fasten, durch Besuch der besonderen Gottesdienste, die ja in der Fastenzeit angesetzt sind. ... Dabei geht es nicht nur, dass man auf bestimmte Speisen verzichtet. Es gibt auch das geistige Fasten, ...das Aussöhnen mit Menschen, mit denen ich Streit habe, oder die Umkehr zur Buße, zur Bereitschaft sein Leben zu ändern. Das ist eigentlich der Sinn der Fastenzeit."

    Strenggläubige Christen dürfen bis Ostern keine tierischen Produkte zu sich nehmen: weder Fisch noch Fleisch, weder Sahne noch Eier.

    "Ich glaube, dass die Mehrzahl der Gläubigen das streng hält. Das hat natürlich seine Grenzen das Fasten: wo man aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen einfach nicht auf diese Speisen verzichten kann. Wenn man auf Reisen ist, dann gilt diese feste Fastenvorschrift nicht. Aber man kann ja auf irgend-was in der Fastenzeit immer verzichten. Das muss nicht unbedingt die Speise sein."

    Sogar Supermärkte und Restaurants stellen sich in Russland auf dieses Essverhalten ein. Seit der Perestrojka besinnen sich die Russen wieder auf ihre alten vorrevolutionären Bräuche, wie sie vor allem auf dem Lande gepflegt wurden.

    "Es sind vielfach Bräuche, die aus der Volksfrömmigkeit erwachsen sind. Die sind natürlich unterschiedlich in Griechenland, im vorderen Orient oder in Rußland. Da gibt es schon kleine Unterschiede. Aber das ist nicht so wesentlich."

    Am Karsamstag färbt und bemalt man in Russland die Eier - daher wird dieser Tag auch "Färbesamstag" genannt. Dieser harmlose heidnische Osterbrauch stammt aus dem 12. Jahrhundert und wurde während des Sowjetregimes nur heimlich praktiziert.

    Am Karsamstag bereitet ein Vespergottesdienst auf die Osternacht vor. Er wird nach dem Ritus des Heiligen Basilius abgehalten. Sie beginnt mit einem Lobpreis Gottes.

    "Normalerweise beginnt der Ostergottesdienst mit der Vesper und der Basiliusliturgie, die vorgezogen am Vormittag des Samstag gefeiert wird. Das geschieht aus praktischen Gründen. Denn diese Vesper und Basiliusliturgie ist die eigentliche Osterliturgie. Denn das Entlassungsgebet des Priesters enthält schon den Hinweis auf die Auferstehung."

    Vor der Vesper haben die Priester ihre dunklen Fastengewänder gegen helle getauscht. Dicht gedrängt stehen die Gläubigen vor der prächtig bunten Ikonenwand und lauschen dem vorösterlichen Festgebet. Es beginnt mit dem Lesen der Apostelgeschichte. Danach wird das Grabtuch Christi auf den Altar gelegt, wo es bis Himmelfahrt liegen bleibt. Nach Mitternacht beginnt die eigentliche Osterliturgie.

    Sitzbänke gibt es nicht in orthodoxen Kirchen. Um nicht stundenlang stehen zu müssen, gehen die meisten in der Kirche umher: kaufen die dünnen Wachskerzen und stellen sie in die Sandschalen vor den Ikonen. Immer wieder bekreuzigen sich die Menschen - tippen zuerst auf die rechte, dann erst auf die linke Schulter - und murmeln "Gospodi, pomilyj!"

    "Gospodi, pomilyj ist der Ruf um göttliches Erbarmen als Antwort auf eine Ektenie oder Litanei repondiert das Volk 'Herr, erbarme dich'."

    Der Ostergottesdienst beginnt in der Samstagnacht. Die breiten Flügeltüren, die sonst den Altar den Blicken der Gläubigen entziehen, sind nun weit offen und werden es acht Tage lang bleiben. Wenn der Chor das Troparion "Deine Auferstehung" anstimmt, setzt sich die Gemeinde in Bewegung und folgt mit brennenden Kerzen in der Hand der Kreuzprozession. Dreimal wird die Kirche umrundet. Jetzt hat Ostern begonnen! In jeder Kirche gibt es eine Osterikone, auch in der winzigen Kölner Maria-Ablass-Kapelle, in der die russisch-orthodoxe Gemeinde beheimatet ist.

    "Die eigentliche Auferstehungsikone ist eigentlich die Fahrt in den Hades, in die Unterwelt. Christus erlöst ja die ganze Schöpfung, also auch die, die schon gestorben waren, werden von ihm erlöst. Und diese Darstellung hier: das sind die Apostel, die Frauen am Grab, alles, was im Ostergeschehen irgendwie vorkommt. Das ist auf dieser Art der Ikone dargestellt."

    Christus in der Bildmitte steht über dem zerbrochenen Kreuz und streckt den Verstorbenen in der Unterwelt die Rechte entgegen. Auf der anderen Bildseite sieht man Maria Magdalena und die Apostel und alttestamentarische Vorgänger. Ein stilisiertes Gebirge deutet an, dass die Auferstehung im Freien geschieht.

    "Und zwar ist das der Gruß, den man wiederholt zu Ostern, den die Frauen am Grab empfangen haben: 'Gehet hin, er ist nicht tot. Er lebt. Gehet hin und verkündet den Jüngern: er ist auferstanden!' Das ist praktisch dieser Ostergruß, der die ganze Osterzeit ausgetauscht wird. Das heißt also. Man begrüßt sich mit 'Christos voskrese'. Und das wird ausgetauscht bis Abend vor Himmelfahrt. In der ganzen österlichen Zeit begrüßt man sich so."

    Endlich ist die Fastenzeit zu Ende. Die russisch-orthodoxen Gemeindemitglieder haben zum Gottesdienst Eier und Speisen mitgebracht.

    "Es gibt süße Speisen vor allem. Bekannt ist die Pascha. Das ist eine süße Quarkspeise, die besteht aus Quark, Butter und Rosinen. Dann gibt es den Kulitsch, das ist ein Osterkuchen. Dann gibt es die Vielzahl an Käsesorten, Fleisch, Wurst. Und die Leute bringen dann von zuhause fertige Salate mit oder Sülze ist sehr beliebt bei den Russen. Alles, was man sich so denken kann, wird dann aufgetischt."

    Der Kulitsch ist der runde, hohe Osterkuchen aus Butterhefeteig, mit einem gebackenen Kreuz in der Mitte. Die runde Form geht auf die Vorstellung zurück, dass das Leichentuch Christi einen runden Zuschnitt gehabt habe.

    "Nach der Fastenzeit das erste gemeinsame Mahl hält man in den Räumen der Gemeinde. Da werden Osterspeisen gebracht, die gesegnet werden. Meistens sind es Kuchen oder Eier, die nimmt man dann mit nach Hause. Das isst man zu Hause. Eigentlich isst man in der Kirche das erste gemeinsame Mahl."

    Angeregt schwatzend verlassen Hunderte von Gläubigen die Kathedrale der Verklärung von St. Petersburg. Es ist weit nach Mitternacht, und wir haben nur ein paar Schritte bis nach Hause. Jetzt hocken wir bei den Nachbarn, singen und essen und leeren ein Gläschen! Oder auch zwei.