Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Das Ende der unscharfen Bilder

Technologie.- Die Situation ist ärgerlich: Der Nachwuchs geht die ersten Schritte und der rasch gemachte Schnappschuss wird unscharf. Um fotografische Patzer wie diese zu verhindern, hat eine Kieler Firma eine Kamera entwickelt, bei der sich Bilder nachträglich scharf stellen lassen.

Von Frank Grotelüschen | 03.03.2010
    Das Büro der Firma Raytrix in Kiel: Direkt vor dem Fenster steht eine Wassersäule, leise blubbernd steigen Luftbläschen auf. Draußen sieht man Häuser, Bäume und ein paar Baukräne. Alles zusammen wird von einer Digitalkamera anvisiert, fest montiert auf einem Stativ.

    "Eine normale Kamera könnte jetzt auf eine Sache scharf stellen, entweder hinten auf die Kräne oder vorne auf die Säule mit den Luftbläschen",

    sagt Raytrix-Entwicklungschef Christian Perwaß. Die Kamera, die er vorführt, schafft etwas, was andere Kameras nicht können. Perwaß drückt auf den Auslöser und macht eine Aufnahme. Gleich darauf ist sie auf einem großen Flachbildschirm zu sehen, der neben der Kamera steht.

    "Wir sehen die Luftbläschen in der Wassersäule. Ich kann jetzt trotzdem, wenn ich hier meinen Regler auf dem Computer schiebe, in Echtzeit den Fokus in den Hintergrund bewegen, so dass jetzt der Kran scharf ist, auch in einer ziemlich hohen Auflösung. Und genauso gut kann ich jetzt wieder zurückgehen und kann den Vordergrund wieder scharf kriegen. Da sieht man jetzt: Die Bläschen sind wieder scharf geworden."

    Eine Digitalkamera, bei deren Bildern man nachträglich festlegen kann, was scharf gestellt ist – Vordergrund oder Hintergrund. Klingt wie Zauberei, basiert aber auf einem raffinierten optischen Verfahren, Lichtfeld-Kamera genannt. Eine besondere Rolle spielen dabei ganz spezielle Linsen.

    "Der Trick ist eigentlich, dass wir ein Mikrolinsen-Array vor den CCD-Chip bauen. Ein Mikrolinsen-Array Ist quasi eine Glasscheibe, auf der ganz kleine Linsen aufgebracht werden, die einen Durchmesser von ungefähr 0,2 Millimeter haben."

    Die Scheibe mit den Mikrolinsen sitzt direkt vor dem Chip, ist kaum größer als eine Briefmarke und enthält 40.000 identische Linsen.

    "Man bekommt dann ein Rohbild geliefert, mit dem man überhaupt nichts anfangen kann. Man würde darauf kein anständiges Bild sehen."

    Dazu braucht es eine Software. Sie läuft auf einem Laptop und rechnet die kryptischen Daten in das eigentliche Bild um.

    "Jede Linse macht ein eigenes Bild. Diese Bilder werden miteinander verrechnet auf spezielle Art."

    Jede Mikrolinse fungiert vereinfacht gesagt als winzige Kamera, die ein Mikrobild schießt, und zwar aus einer jeweils anderen Perspektive. Jede Mikrolinse sieht das Bild also aus einem anderen Blickwinkel, und das genügt, um mithilfe optischer Gesetze verschiedene Bildebenen rekonstruieren zu können. Das bedeutet: Während man bei einer normalen Kamera das Bild vor der Aufnahme scharf stellt, indem man die Linse im Objektiv verstellt, geschieht das Scharfstellen in der Lichtfeld-Kamera nach der Aufnahme, indem sich die Software die passenden Pixel aus den Mikrobildern zusammensammelt. Das Ganze funktioniert durchaus eindrucksvoll – und hat nur einen Haken:

    "Ein CCD-Chip, der eine ursprüngliche Auflösung von elf Megapixel besitzt, wird durch unsere Technik reduziert auf eine drei Megapixel Auflösung."

    Was aber für viele Anwendungen reichen dürfte, sagt Perwaß’ Kollege Lennart Wietzke. Zurzeit kostet die Kamera 30.000 Euro – ein Preis, der nur für Profianwendungen interessant ist, etwa für die automatische Qualitätssicherung in der Industrie.

    "Besonders dreidimensionale Produkte können wir mit einem einzelnen Bild fotografieren und dann komplett abchecken. Dann können Fehler gefunden werden, die sich nicht nur in einer Fokusebene befinden, sondern in der gesamten Tiefe. Für Lebensmittel kann ich mir das genauso vorstellen wie für Bauteile, die man zum Bau eines Automobils benötigt."

    Die beiden Raytrix-Macher arbeiten bereits mit einer Firma zusammen, in einem halben Jahr soll die erste Kamera in einer Werkhalle stehen. Interessant sein könnte das Patent auch für Mikroskope, etwa wenn man sich Mikroben anschauen will, die sich bewegen und deshalb den Hang besitzen, sich ungefragt aus der Fokusebene zu begeben. Auch für Überwachungskameras kommt das System in Frage.

    Nun wollen Wietzke und Perwaß das System billiger machen. Ein Modell für 10.000 Euro ist in Arbeit. Danach ist angedacht, die Software in die Kamera zu integrieren. Damit wäre sie etwa für Sportfotografen interessant, die vor der Herausforderung stehen, rasante Skispringer, Fußballer oder Formel-1-Autos scharf aufs Bild zu kriegen. Und könnte sich das Patent eines Tages auch in bezahlbaren Kameras für den Hobbyfotografen wieder finden, in Modellen, die 1000 bis 2000 Euro kosten? Durchaus, meint Christian Perwaß.

    "Ich würde denken, dass es in fünf Jahren wahrscheinlich so weit ist, dass da so eine Kamera verfügbar sein wird."