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Das Ende des "Banditenkönigs"

Zwei Jahrzehnte lang zog Virgulino Ferreira da Silva Anfang des 20. Jahrhunderts mit seiner Cangaço-Bande durch das Hinterland im brasilianischen Nordosten. Heute bezeichnen ihn seine Landsleute - je nach Ansicht - entweder als Helden oder üblen Verbrecher.

Von Manuel Erbenich | 28.07.2013
    Ihren Ursprung hat die Xaxado-Musik bei den Cangaçeiros – den ehemaligen Banditen des Sertão, dem großen Trockengebiet im Hinterland des brasilianischen Nordostens. Das Leben im Sertão ist hart und karg, vor allem für die ländliche Bevölkerung. Armut, Hunger und die Unterdrückung der Kleinbauern durch reiche Großgrundbesitzer führen Ende des 19. Jahrhunderts zur Bildung der ersten Banden. Die Cangaçeiros leben nach ihren eigenen Gesetzen und Regeln. Meistens sind sie zu Fuß unterwegs und bleiben nur selten länger an einem Ort, aus Angst, entdeckt zu werden. Sie rauben Händler aus, entführen Politiker und Geschäftsmänner, erpressen Geld, überfallen Fazendas und sind dabei nicht zimperlich. Häufig gibt es Schießereien und Tote. João Guimarães Rosa schreibt in seinem Roman "Grande Sertão" über die Region:

    "Sertão ist da, wo Faust und Verschlagenheit das Regiment führen. Auch Gott, sollte er sich hierher wagen, soll lieber eine Knarre mitbringen!"

    Der berühmteste Cangaçeiro war Lampião - benannt nach dem hellen Mündungsfeuer seines Gewehres. Am 7. Juli 1897 wird er als Virgulino Ferreira da Silva in Serra Talhada geboren. Er wächst in einfachen, aber soliden Verhältnissen auf, geht zur Schule und arbeitet später als Kunsthandwerker. Als Virgulino 20 Jahre alt ist, wird sein Vater von einem Polizisten erschossen. Mit einem seiner Brüder schwört er Rache und schließt sich einer Gruppe Cangaçeiros im Sertão an. Es dauert nicht lange, bis er zum Anführer seiner eigenen guerillaähnlichen Cangaço-Bande wird. Bereits Mitte der 1920er-Jahre ist Lampião der berüchtigtste Cangaçeiro im brasilianischen Nordosten. Sein Einfluss in der Region nimmt kontinuierlich zu.

    "In einem Brief an den Gouverneur des Bundesstaates von Pernambuco unterbreitete er der Regierung ein Friedensangebot. Er unterschrieb mit Virgulino Ferreira da Silva - 'Lampião' - Gouverneur des Sertão. Das war eine reine Machtdemonstration",

    erklärt Anildomá Willans de Souza, Historiker und Leiter des Cangaço-Museums in Serra Talhada. Lampiãos Verachtung gegenüber den staatlichen Autoritäten und der brasilianische Elite, gegen die sich die meisten seiner Aktionen richten, stößt bei Teilen der armen Landbevölkerung auf Zuspruch und garantiert ihm deren Loyalität. Doch auch sie bleiben nicht von seinen brutalen Raubzügen verschont. Bis heute gibt es in der brasilianischen Öffentlichkeit eine Kontroverse über die Rolle Lampiãos. Einige sehen in ihm einen gewalttätigen Verbrecher und skrupellosen Banditen.

    "Dass Lampião wild um sich schießend ganze Dörfer auslöschte, ist historisch nicht belegbar. Viele seiner angeblichen Gräueltaten sind schlichtweg erfunden."

    Ohne Zweifel jedoch ist Lampião heute elementarer Bestandteil der "cultura sertaneja":

    "Heute findet man Lampião und den Cangaço im Kunsthandwerk, der Gastronomie, in der Musik, der Poesie, im Film und im Tanz. Man findet ihn hier in allen Bereichen. Der Cangaço ist unsere kulturelle Identität. Auch mit all seinen schlechten Seiten."

    Im Juli 1938 ruft Lampião alle Cangaçeiro-Banden des Sertão zu einem Treffen im Bundesstaat Alagoas zusammen. Der Grund für die geplante Zusammenkunft ist bis heute nicht geklärt. Doch sie wird nicht mehr stattfinden. Auf dem Weg zum vereinbarten Treffpunkt werden Lampião und seine Gruppe in ihrem Lager in Poço Redondo von der Polizei überrascht.

    "Das weiß ich noch genau. Leutnant João Bezerra hatte das Kommando. Lampião wurde erschossen. Ich wurde von einer Kugel im rechten Unterarm getroffen",

    erinnert sich der 98-jährige Manoel Dantas Loyola, das letzte lebende Bandenmitglied Lampiãos, an den 28. Juli 1938, den Todestag des berühmtesten brasilianischen Banditen. Mit Lampião starben seine Frau Maria Bonita und acht weitere Bandenmitglieder. Sie wurden enthauptet, ihre Köpfe konserviert und in ganz Brasilien ausgestellt. Bis in die 1960er-Jahre waren sie im anthropologischen Museum in Salvador zu sehen, bevor sie ihren Familien übergeben wurden.