Karin Fischer: Das Verhohnepipeln von Menschen im Radio hat Tradition und verhilft zuverlässig zu Quoten und Aufmerksamkeit. Wenn beispielsweise ein falscher Nicolas Sarkozy bei Sarah Palin anruft, weil er so gern mal Robbenbabys mit ihr töten würde, oder Franz Müntefering bei Andrea Ypsilanti mit der Frage, wann sie denn endlich nach Berlin käme. Dieses Interview wurde übrigens nie gesendet. Die Comedians Russell Brand und Jonathan Ross wollten auch nur mal wieder einen Witz auf Kosten anderer machen und griffen dabei dermaßen daneben, dass die Hörerinnen und Hörer von BBC 2 einen Sturm der Entrüstung entfacht haben. An die 40.000 Beschwerden gingen in wenigen Tagen ein, nachdem Russell Brands sogenannter Joke über den Äther ging. Auf dem Anrufbeantworter des 78-jährigen Schauspielers Andrew Sachs hatte er eine Message hinterlassen, deren maßgeblicher Teil lautete, ich sag's jetzt mal in Englisch, das hört sich weniger schlimm an: "I fucked your granddaughter." Seither diskutiert ganz England über die Grenzen des Anstands in den Medien. Frage an meinen Kollegen Jürgen Krönig, was waren denn die ersten Konsequenzen aus diesem Fall?
Jürgen Krönig: Die ersten Konsequenzen waren, übrigens zu langsam, die BBC hat langsam reagiert, hat gar nicht gemerkt, was sich dort zusammengebraut hat an Unheil, an moralischer Panik, an Erregung der Öffentlichkeit, die immer stärker wurde. Dann hat sie verspätet reagiert, und der eine Star ist gleich zurückgetreten. Der andere, Jonathan Ross, höchstbezahlter Moderator der BBC mit sechs Millionen Pfund im Jahr Einkommen, wurde suspendiert ohne Geld bis zum Januar. Und die Chefin des Radiosenders 2 der BBC ist zurückgetreten, also das sind Konsequenzen. Aber es braut sich Unheil zusammen, das weit darüber hinausgeht.
Fischer: Die Diskussion hat ja inzwischen auch ein bisschen den Rahmen der Medienkritik verlassen und ist zu einer Debatte über Gesprächskultur und deren Verwahrlosung usw. geworden. Heißt das, dass solche Fälle sich gehäuft haben?
Krönig: Ja. Ich erinnere an einen Fall, der den konservativen Parteichef David Cameron betraf, damals war er noch nicht ganz so populär wie heute, er ist ja wahrscheinlich bald Premier in einem, anderthalb Jahren. Der wurde von Jonathan Ross, das ist der besagte Moderator, in seiner sehr populären Sendung am Freitagabend gefragt: Haben Sie auch als Junge, als Sie die Eiserne Lady Margaret Thatcher sahen, sich dabei einen runtergeholt? Dieser Tonfall ist völlig normal in diesen Sendungen. Das gilt übrigens im Grunde genommen für viele Programme des Fernsehens, wo "fuck", also ficken sozusagen allgegenwärtig ist, wo Köche auftreten, die berühmt dafür sind, dass sie jedes zweite, dritte Wort, das bei ihnen aus dem Munde kommt, ein Schimpfwort oder das berühmte "fuck" ist. Zugleich ist es auch in den Kultur- und Kunstbetrieb eingegangen. Es gibt eine Kultur der Verächtlichkeit des Zynismus, wo Humor mit Obszönität verwechselt wird. Ich will ein einziges Beispiel geben.
Fischer: Es gibt ja auch die Trash-Kultur, die einfach auch schick sein kann ...
Krönig: Ja, natürlich, schick ...
Fischer: ... oder sich als schick gibt.
Krönig: Das ist richtig, wobei dieser, der Kulturbetrieb selbst, ich erinnere mich an die regelmäßigen Galafeiern bei der Verleihung des Turner-Preises, der ja selbst Schock-Art ist. Dort tritt Madonna als Festrednerin auf und begrüßt die versammelte Gemeinde der Kultureliten und deren Vertreter "motherfuckers" und kriegt johlenden Beifall. Also das ist sozusagen die Norm. Und jetzt gibt es auf einmal ein Erschrecken darüber. Und man sieht den Zusammenhang zwischen einer Gesellschaft der Verwahrlosung, des antisozialen Benehmens vor allem der Jugendlichen und der erhöhten Kriminalität und der Jugendgewalt und fragt sich, ist da ein Zusammenhang. Und dieser Zusammenhang wird hergestellt. Und das ist das eigentlich Bemerkenswerte und Interessante.
Fischer: Wenn man über den Rundfunk spricht, dann galt die BBC ja immer als das altehrwürdige Schlachtschiff des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat aber natürlich genauso wie in Deutschland zu kämpfen mit privaten Sendern, und offenbar hat sich da der Glaube festgesetzt, dass man mit Provokation und dem Unterschreiten von Peinlichkeitsgrenzen Quote machen kann. Das ist sozusagen der eine Schauplatz. Den anderen, den sozialen, haben Sie gerade erwähnt. Wenn man die großen Linien jetzt mal betrachtet, ist das der Beginn eines Umdenkens?
Krönig: Es könnte sein. Also ich glaube, dass die BBC so unter Druck gesetzt worden ist und auch die Möglichkeit besteht, dass man ihr die Gebührenfinanzierung, zu einem Teil jedenfalls, wegnimmt, jedenfalls die Exklusivität der Gebührenfinanzierung nicht mehr beibehält, dass sie gezwungen ist umzudenken. Und das verbindet sich mit dem generellen Gefühl, dass in den letzten 20 Jahren die Entwicklung ins Abseits gelaufen ist. Die BBC beispielsweise vor 15 Jahren noch beepte mit einem Ton jedes Schimpfwort wie "fuck" weg. Das ist völlig unvorstellbar.
Fischer: Vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß heute.
Krönig: Oder wenn es überhaupt denn vorkam. Und das ist eben genau der Unterschied. Und ich glaube, dass diese Sorge um die Gebühren, wie aber auch um den gesellschaftlichen Zustand als Ganzes durch diese Affäre ganz konzentriert ist, und mit Interesse wird man sehen, ob sich das bewahrheitet, was ich das Gefühl habe, jetzt eingeleitet wird.
Fischer: Herzlichen Dank an Jürgen Krönig für diese Einschätzungen zum neuesten Medienskandal der BBC.
Jürgen Krönig: Die ersten Konsequenzen waren, übrigens zu langsam, die BBC hat langsam reagiert, hat gar nicht gemerkt, was sich dort zusammengebraut hat an Unheil, an moralischer Panik, an Erregung der Öffentlichkeit, die immer stärker wurde. Dann hat sie verspätet reagiert, und der eine Star ist gleich zurückgetreten. Der andere, Jonathan Ross, höchstbezahlter Moderator der BBC mit sechs Millionen Pfund im Jahr Einkommen, wurde suspendiert ohne Geld bis zum Januar. Und die Chefin des Radiosenders 2 der BBC ist zurückgetreten, also das sind Konsequenzen. Aber es braut sich Unheil zusammen, das weit darüber hinausgeht.
Fischer: Die Diskussion hat ja inzwischen auch ein bisschen den Rahmen der Medienkritik verlassen und ist zu einer Debatte über Gesprächskultur und deren Verwahrlosung usw. geworden. Heißt das, dass solche Fälle sich gehäuft haben?
Krönig: Ja. Ich erinnere an einen Fall, der den konservativen Parteichef David Cameron betraf, damals war er noch nicht ganz so populär wie heute, er ist ja wahrscheinlich bald Premier in einem, anderthalb Jahren. Der wurde von Jonathan Ross, das ist der besagte Moderator, in seiner sehr populären Sendung am Freitagabend gefragt: Haben Sie auch als Junge, als Sie die Eiserne Lady Margaret Thatcher sahen, sich dabei einen runtergeholt? Dieser Tonfall ist völlig normal in diesen Sendungen. Das gilt übrigens im Grunde genommen für viele Programme des Fernsehens, wo "fuck", also ficken sozusagen allgegenwärtig ist, wo Köche auftreten, die berühmt dafür sind, dass sie jedes zweite, dritte Wort, das bei ihnen aus dem Munde kommt, ein Schimpfwort oder das berühmte "fuck" ist. Zugleich ist es auch in den Kultur- und Kunstbetrieb eingegangen. Es gibt eine Kultur der Verächtlichkeit des Zynismus, wo Humor mit Obszönität verwechselt wird. Ich will ein einziges Beispiel geben.
Fischer: Es gibt ja auch die Trash-Kultur, die einfach auch schick sein kann ...
Krönig: Ja, natürlich, schick ...
Fischer: ... oder sich als schick gibt.
Krönig: Das ist richtig, wobei dieser, der Kulturbetrieb selbst, ich erinnere mich an die regelmäßigen Galafeiern bei der Verleihung des Turner-Preises, der ja selbst Schock-Art ist. Dort tritt Madonna als Festrednerin auf und begrüßt die versammelte Gemeinde der Kultureliten und deren Vertreter "motherfuckers" und kriegt johlenden Beifall. Also das ist sozusagen die Norm. Und jetzt gibt es auf einmal ein Erschrecken darüber. Und man sieht den Zusammenhang zwischen einer Gesellschaft der Verwahrlosung, des antisozialen Benehmens vor allem der Jugendlichen und der erhöhten Kriminalität und der Jugendgewalt und fragt sich, ist da ein Zusammenhang. Und dieser Zusammenhang wird hergestellt. Und das ist das eigentlich Bemerkenswerte und Interessante.
Fischer: Wenn man über den Rundfunk spricht, dann galt die BBC ja immer als das altehrwürdige Schlachtschiff des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, hat aber natürlich genauso wie in Deutschland zu kämpfen mit privaten Sendern, und offenbar hat sich da der Glaube festgesetzt, dass man mit Provokation und dem Unterschreiten von Peinlichkeitsgrenzen Quote machen kann. Das ist sozusagen der eine Schauplatz. Den anderen, den sozialen, haben Sie gerade erwähnt. Wenn man die großen Linien jetzt mal betrachtet, ist das der Beginn eines Umdenkens?
Krönig: Es könnte sein. Also ich glaube, dass die BBC so unter Druck gesetzt worden ist und auch die Möglichkeit besteht, dass man ihr die Gebührenfinanzierung, zu einem Teil jedenfalls, wegnimmt, jedenfalls die Exklusivität der Gebührenfinanzierung nicht mehr beibehält, dass sie gezwungen ist umzudenken. Und das verbindet sich mit dem generellen Gefühl, dass in den letzten 20 Jahren die Entwicklung ins Abseits gelaufen ist. Die BBC beispielsweise vor 15 Jahren noch beepte mit einem Ton jedes Schimpfwort wie "fuck" weg. Das ist völlig unvorstellbar.
Fischer: Vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß heute.
Krönig: Oder wenn es überhaupt denn vorkam. Und das ist eben genau der Unterschied. Und ich glaube, dass diese Sorge um die Gebühren, wie aber auch um den gesellschaftlichen Zustand als Ganzes durch diese Affäre ganz konzentriert ist, und mit Interesse wird man sehen, ob sich das bewahrheitet, was ich das Gefühl habe, jetzt eingeleitet wird.
Fischer: Herzlichen Dank an Jürgen Krönig für diese Einschätzungen zum neuesten Medienskandal der BBC.