Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Das Ende einer Liebe

Der erste Roman der Journalistin und Autorin Arezu Weitholz spielt in den 90er-Jahren. Er ist an verschiedenen Schauplätzen verortet: in der Hamburger Medienszene, in Südafrika, in einer Seniorenresidenz auf dem Land. Die Hauptfigur ist ein Starjournalist. Beim Schreiben habe sie immer mitgesungen.

Von Agnes Hüfner | 03.04.2013
    Agnes Hüfner: Vom Journalismus zum Fischgedicht zum Roman - war das ein weiter Weg?

    Arezu Weitholz: Angefangen hat’s mit einer Reiseschreibmaschine in Südafrika auf dem Rücksitz eines halb schrottreifen Leihwagens. (Und) ich meinte damals, das ich jetzt ganz dringend, etwas schreiben muss, was Journalismus ist und was mehr mit der Welt zu tun hat, die ich da im Kopf hatte. Hab’dann auf der Schreibmaschine rumgehackt. Auch deswegen, wenn man unterwegs ist, damals – das klingt jetzt so ein bisschen altmodisch – aber 99, da gibt’s nicht überall Strom. Und eine Schreibmaschine war da auch das erste Instrument, das ich versucht habe, zu benutzen, weil, ich dachte, na gut: Beim Computer ist es so, man schreibt rein, und dann macht man grad ein paste, oder man löscht das wieder. Und bei der Schreibmaschine über ich jetzt mal das Drübernachdenken über den Satz, bevor ich ihn hinschreibe. So ging das los. Wieder aufgenommen habe ich die Arbeit, als Robert Enke starb.

    Hüfner: Im Roman ist es der Vater der Hauptfigur, Anna Born, der sich umbringt. Ist es der Freund Ludwig Faller, der Starjournalist des Blattes, in dem beide arbeiten. Jetzt mitten in der Nacht sitzt Anna am Bett des Freundes. Faller ist bewusstlos, ein Selbstmordversuch. Anna spricht über ihr Leben, den Vater, die kranke Mutter im Altersheim, die eigene Ziellosigkeit. "Wie ein verloren gegangenes Paket", komme sie sich vor. Der Freund hatte davon nie etwas hören wollen. Mit Annas Rede beginnt der Roman, ein fast 50 Seiten langer Monolog. Die Situation ist gespenstisch unklar. Am Abend zuvor hatte Faller mit Anna Schluss gemacht. Er hatte Ärger im Beruf.

    Der Titel des Romans "Wenn die Nacht am Stillsten ist", greift einen Song von Ton, Steine, Scherben auf. Da heißt es: "Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten". Sie werten nicht, Sie beschreiben – das Ende der Nacht im Blick?
    Weitholz: Für mich ist es sicherlich ein Plädoyer für die uncoolen Geschichten, es ist eine wütende Ratlosigkeit. Sicher auch ein Plädoyer für Geschichten, für die es eben auch keine Erklärungen gibt und vielleicht auch keine Heilung. Sicher ist es auch ein Monolog gegen das Allheilmittel Ironie.

    Hüfner: Die Lebensgeschichte des Ludwig Faller wird bis auf wenige Stichworte - Herkunft, Studium, Veröffentlichungen – ausgeblendet, seine Lebensphilosophie dagegen genau ausgemalt: die Intellektualität als Höchstes, die Außenseiterrolle, das große Solo, das er in der in der Redaktion spielt. Wo niemand ihm widerspricht.

    Weitholz: Der Typ ist ein Experiment, also, was passiert, wenn man Popkultur ernst nimmt. Ich finde ihn eigentlich ganz rührend und auf seine Art auch liebenswerter als Anna, weil er wenigstens konsequent ist. Faller ist auch ein bisschen wie die weiße Leinwand, auf die Anna ihre Geschichten malt, ist aber in seiner ganzen Konsequenz so ein bisschen wie eine Pose, wie Techno, die auf der Stelle tanzen, bis die Musik ausgeht. Deswegen hat er auch keine große Entwicklung. Er ist einfach da. Also, er ist da, und dann fällt er um. Sie ist ja eher eine Sammlung von Fragen. Und am Ende bleiben beide ratlos und allein. Alle Konzepte haben versagt. Weder die Disziplin noch die Empathie bringen einen weiter. Und beide haben eigentlich die 90er hinter sich gebracht, und keinerlei Handhabe für das Leben destillieren können.

    Hüfner: Ratlos ja, aber haben die Figuren nicht auch etwas Besserwisserischer an sich?

    Weitholz: Ja, sicher. Das ist ganz gewiss so. Das ist aber auch bei Ludwig so. Bei Anna ist es eben so, dass sie meint, sie hat eine Wahrheit. Die lässt sie in der einen Nacht raus, und diese Wahrheit besteht aus lauter Geschichten, die sie erlebt hat und von der sie als Hinterbliebene oder als Freundin oder als Zeitzeugin das Gefühl hat, sie hat die Interpretationshoheit. Genauso hat der Ludwig seine Wahrheit und verteidigt sie bedingungslos. Aber für mich ist da auch eine ganz bestimmte Verzweiflung drin. Jeder hat ja, will ja, dass seine Wahrheit wahr ist. Und jeder will ja auch, dass sie funktioniert. Und dass sie einem weiter hilft.

    Hüfner: Auffällig ist die nüchterne Sprache. Die Sätze sind kurz, fast schmucklos, dabei überraschend melodiös. Es ist, als gäbe Ihre Liebe zur Musik den Ton an.

    Weitholz: Ja, das stimmt. Ich singe immer mit. Das klingt jetzt so ein bisschen blasiert. Aber ich singe mit. Das muss gut klingen in meinen Ohren, sodass es mir gefällt. Allerdings hatte ich auch das Gefühl vielleicht an manchen Stellen, ja dann doch etwas zu schnell gewesen zu sein. Ist mein erster Roman. Meistens sind es so Nebensätze, die stehen dann da und stören mich. Also, wenn die nicht sein müssen oder wenn die etwas aufhalten, oder so ein Adjektiv da ist. Und ich muss doch jetzt nicht die Blätter einzeln beschreiben, wenn da ein Baum steht. Wenn die nicht sein müssen vom Inhalt her und wenn sie nicht gut klingen … lasse ich sie weg. Und dann klingt es, hat es nen Sound, einen Klang. Und wenn man dann erstmal in so’ner Harmonie oder Melodie drin ist, dann ist die natürlich auch für einen selber mitreißend.

    Hüfner: Sie benutzen Jargonausdrücke, Redewendungen, Umgangssprachliches.

    Weitholz: Viele Worte nimmt man heute nicht mehr. Nach meinem Dafürhalten ist Umgangsdeutsch heutzutage deutlich restringierter. Deutlich bellender und kläffender und scheddriger. Aber ich glaube, ich weiß, was Sie meinen. Sie meinen jetzt dieses leichte, coole, stylische Gerede. Ja, sicher. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass man da schon ein paar Begriffe durchsetzen muss, damit man das auch verortet in der Zeit. Also das ist ja ne deutliche Verortung Ende der 90er, Anfang der tausender Jahre.

    Hüfner: Wird es einen neuen Roman geben?

    Weitholz: Sicherlich arbeite ich daran. Aber woran ich jetzt grade arbeite, ist das dritte Fischbuch. Auch, weil es etwas Leichtes ist, was Heiteres. Weil ich (da auch) Lust zu habe, das zwischenzuschieben und weil die Fische ja auch immer wieder auftauchen.

    Hüfner: Mögen Sie zum Schluss eines ihrer Fischgedichte lesen?

    Weitholz: Das Gedicht heißt Winterschlaf. Winterschlaf. Wenn der Frost die Nasen beißt, kalter Wind am Wasser reißt. Wenn die Wellen hart wie Stein, Berge nur aus Eis gedeihen, sitzt am Grund des Meeres stumm ein Atlantikdorsch. Warum? Ach, er dreht sich noch mal um.

    Arezu Weitholz: "Wenn die Nacht am Stillsten ist", Roman, Kunstmann Verlag, München 2012, 224 Seiten, 17.95 Euro