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Das Ende eines Dogmas

Rund 60 Jahre lang glaubte man, dass Frauen mit einer bestimmten Anzahl an Eizellen geboren werden - wenn sie aufgebraucht sind, bleibt die Frau unfruchtbar. Ein Irrtum, wie Forscher aus den USA jetzt zeigen: Frauen haben Stammzellen in ihren Eierstöcken, aus denen neue Eizellen hervorgehen können.

Von Marieke Degen |
    Jede Frau kommt mit einer bestimmten Anzahl von Eizellen zur Welt. Wenn die Eizellen aufgebraucht sind, dann gibt es auch keine neuen mehr, dann ist die biologische Uhr abgelaufen. An diesem uralten Dogma hat Jonathan Tilly vom Massachusetts General Hospital in Boston schon vor acht Jahren gerüttelt: Damals hat er in den Eierstöcken von Mäusen Stammzellen entdeckt. Stammzellen, aus denen immer wieder neue Eizellen hervorgehen.

    "Das war zwar eine Mausstudie. Aber wir haben gesagt: Wenn das bei Mäusen so ist, dann wird es bei Frauen auch so sein, und das würden wir eines Tages beweisen."

    Damals haben ihn viele Kollegen ausgelacht. Jetzt, acht Jahre später, hat er die Beweise vorgelegt - im Fachmagazin "Nature Medicine".

    "Wir haben gezeigt, dass diese ovarialen Stammzellen auch im Eierstock von Frauen existieren. Und dass sie neue Eizellen bilden. Diese Stammzellen können uns möglicherweise dabei helfen, die biologische Uhr zu kontrollieren."

    Die Eierstöcke, mit denen die Reproduktionsbiologen gearbeitet haben, kamen aus Japan; von jungen, gesunden Frauen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben.

    "Wir haben die Stammzellen in der Rinde der Eierstöcke aufgespürt, sie entnommen und in Petrischalen gelegt. Sie haben sich sofort vermehrt. Und: Sie haben sich ganz spontan immer mal wieder in unreife Eizellen verwandelt."

    Die Forscher wollten wissen, ob die Stammzellen auch im Körper neue Eizellen bilden. Also haben sie die Stammzellen markiert, mit einem Gen, das sie grün leuchten lässt - und alle Eizellen, die aus ihnen hervorgehen. Dann haben sie die Stammzellen in Eierstock-Gewebsstückchen zurückgepflanzt.

    "Wir konnten diese Gewebsstücke nicht in eine Frau einpflanzen, solche Experimente können wir hier nicht machen. Wir haben dafür spezielle Mäuse genommen, die menschliches Gewebe nicht abstoßen. Das Eierstockgewebe hat in den Mäusen angefangen zu arbeiten, und aus den markierten Stammzellen sind lauter unreife Eizellen entstanden."

    Die Fachwelt staunt, auch der Reproduktionsmediziner Klaus Diedrich von der Universitätsfrauenklinik in Lübeck:

    "Das ist überraschend, wir sind ja immer alle davon ausgegangen, dass im Ovar immer nur eine bestimmte Anzahl von Eizellen zur Verfügung steht - das finde ich sensationell, und man muss es verfolgen."

    Die Stammzellen könnten völlig neue Perspektiven in der Reproduktionsmedizin eröffnen, zum Beispiel in der künstlichen Befruchtung, für die man Eizellen braucht. Im Moment müssen sich die Frauen Hormone spritzen, damit eine Handvoll Eizellen heranreift und dann - unter Narkose - entnommen werden kann. Eine aufwendige Prozedur. Vielleicht ginge das in Zukunft einfacher. Vielleicht könnten Ärzte ein kleines Stückchen vom Eierstock entnehmen, die Stammzellen daraus isolieren und im Labor halten - als dauerhafte Eizelllieferanten. Jonathan Tilly:

    "Wir können die Zellen ja so oft vermehren, wie wir wollen. Unsere Hoffnung ist - und daran arbeiten wir auch schon - dass wir diese Zellen eines Tages im Labor auch zu gesunden, vollwertigen Eizellen heranreifen lassen können."


    "Es ist sicherlich noch ein langer Weg","

    sagt Klaus Diedrich aus Lübeck. Denn:

    ""Es ist jetzt ja eigentlich nur beschrieben, dass aus Ovargewebe Stammzellen gewonnen werden können, die dann zu Eizellen sich praktisch entwickeln, und man muss dann eben sehen, sind diese Eizellen auch befruchtungsfähig, wie ist die Embryonalentwicklung, das ist noch eine lange Strecke. Aber dies ist ein erster Ansatz, der durchaus vielversprechend ist."

    Jonathan Tilly hat noch weitere Pläne. Mithilfe der Stammzellen könnte man die biologische Uhr anhalten, sagt er. Also dafür sorgen, dass Frauen fruchtbar bleiben.

    "Im Moment behandeln wir die Stammzellen im Labor mit allen möglichen Hormonen und Medikamenten. Vielleicht gibt es einen Wirkstoff, der die Stammzellen noch stärker aktiviert, sodass sie noch mehr Eizellen zu bilden. Damit könnte man dann möglicherweise irgendwann einmal Frauen behandeln, die keine Eizellen mehr produzieren können - sei es, weil sie schon älter sind, oder weil sie eine Krebsbehandlung hinter sich haben."

    Vielleicht könnte man sogar die Menopause abschaffen, sagt Jonathan Tilly. Es gehe ihm aber nicht darum, 70-Jährigen zu einem Baby zu verhelfen. Sondern darum, dass ältere Frauen gesund bleiben. In der Menopause erkranken Frauen häufiger am grauen Star oder an Knochen- und Muskelschwund. Wenn die Eierstöcke einfach weiterarbeiten, sagt der Forscher, dann könnte man das vielleicht verhindern.