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"Das entscheidende Problem ist eine miserable Regierung in Kabul"

Rupert Neudeck hält nichts von einer Verstärkung der Truppen in Afghanistan. Wichtiger sei die Hilfe zum Wiederaufbau. Gleichzeitig forderte Neudeck, stärker gegen die staatliche Korruption vorzugehen.

Rupert Neudeck im Gespräch mit Jochen Spengler | 11.01.2010
    Jochen Spengler: Mit welchem Afghanistan-Konzept wird die Bundesregierung Ende Januar zur internationalen Konferenz nach London fahren? Aufklärung darüber hat am Wochenende die oppositionelle SPD gefordert. Mehr Truppen, mehr Soldaten, das allein sei kein sinnvolles Konzept. Die Sozialdemokraten plädieren für eine Verstärkung der sogenannten zivilen Komponente, also des Wiederaufbaus des Landes. – Wir sind nun telefonisch mit jemandem verbunden, der sich seit Jahren aktiv eingeschaltet hat in den Wiederaufbau Afghanistans: mit Rupert Neudeck, dem Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme. Guten Morgen, Herr Neudeck.

    Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Wir erreichen Sie in der afghanischen Provinz Herat. Die liegt im Westen des Landes, nahe der Grenze zum Iran, also mehrere hundert Kilometer westlich der Hauptstadt Kabul. Was genau machen Sie da?

    Neudeck: Wir haben gestern die 31. Dorfschule hier eröffnet in Kalamaubit und das war ein wunderbares Volksfest und es war wirklich ein großes bewegendes Erlebnis, weil dieses Dorf, das nur aus Lehmbauteilen besteht, aus Lehmbauhäusern, hat zum ersten Mal eine feste solide Schule für 370 Schülerinnen und Schüler und die können jetzt in Ruhe und in eine große gute Schule gehen. Wir hatten gleichzeitig noch einen Unternehmer aus Deutschland dabei, der eine Skateboardanlage hier für die jungen Leute plant, und wir haben dort eine Übungsstunde gemacht mit Skateboard und das war ein so großes Vergnügen. Wir haben in diesem Distrikt Tarock in der Provinz Herat einen ganzen Distrikt schulfertig gemacht. Ich denke, das ist für die Bevölkerung hier die größte Garantie auf Sicherheit und Fortschritt, die man sich überhaupt vorstellen kann.

    Spengler: Herr Neudeck, wie viele von den Schulen stehen denn noch? Sind die alle noch vollständig, oder wurden die zum Teil von Aufständischen wieder niedergerissen?

    Neudeck: In der Provinz Herat gibt es nicht eine einzige Schule, die von Taliban niedergebrannt oder niedergerissen wurden. Die Schulen sind alle am Netz. Hier in dieser Provinz kann der Wiederaufbau auch weitergehen, weil es nicht so furchtbar zugeht wie in anderen Provinzen, die Richtung Pakistan sind.

    Spengler: Was läuft denn in Herat anders als im Rest des Landes Afghanistan?

    Neudeck: Ich denke, zwei Gründe haben dazu geführt. Einmal ist es so, dass hier keine Amerikaner waren und keine großen Truppen gewesen sind. Hier hat der Wiederaufbau durch Ismail Khan, den Emir von Herat, in einem großen Sinne zivil begonnen. Er hat dafür gesorgt, dass die Zollbehörden, die Behörden überhaupt hier gut funktionierten. Er hat hier dafür gesorgt, dass kein Opium angebaut wurde, und er hat dafür gesorgt, dass die zivile Entwicklung der Provinz besser gelaufen ist. Hier gibt es Handel und Wandel, also hier hat Wiederaufbau, wie wir das in Deutschland verstehen, wirklich stattgefunden und ich denke, dass das einer der wichtigsten Gründe ist, weshalb man in Herat weiter diesen Wiederaufbau machen kann, von dem ich gesprochen habe.

    Spengler: Glauben Sie eigentlich, dass man dieses Modell auch auf ganz Afghanistan ausdehnen könnte?

    Neudeck: Das weiß ich nicht, weil das entscheidende Problem ist eine miserable Regierung in Kabul. Diese Regierung hat bisher für die Bevölkerung kaum etwas geschafft. Man sagt uns auch hier in der Region, dass alles das, was im Schulbereich geschehen ist, dass allein das durch die deutsche Organisation gemacht worden ist und durch die Spenden aus Deutschland und nicht durch die Regierung, die allein in den vielen Ministerien nur 40 Prozent der Gelder hat ausgeben können wegen der Faulheit und der Korruptheit der Beamten in Kabul. Die Bevölkerung weiß, dass der älteste Bruder des Präsidenten der größte Opium-Dealer des Landes ist, und das schafft natürlich eine sehr schlimme Situation, weil es gibt ein afghanisches Sprichwort, das heißt, "wenn der Bach verschmutzt ist, muss man zur Quelle gehen", und die Quelle liegt in Kabul bei der Regierung.

    Spengler: Haben Sie denn dann abschließend einen Rat für die Bundesregierung, mit welchem Konzept sie nach London fahren sollte?

    Neudeck: Ich denke, die Deutschen haben eine ganz wichtige Funktion bei dieser Frage. Wir sind das Volk, das die Afghanen auswählt haben als ihre Freunde. Das ist eine durch 200 Jahre durch gültige historische Beschreibung. Die Afghanen fühlen sich uns befreundet. Das heißt, wenn wir anfangen, diesen zivilen Wiederaufbau versuchen, ein bisschen zu verstärken, wenn wir diese Regierung dazu zwingen, dass sie ihre Korruption beendet – die Bevölkerung hat mit großem Jubel die Ankündigung von Obama hier aufgenommen, dass in sechs Monaten diese Korruption beendet sein muss - das ist möglich, weil wir die Hauptgeldgeber sind, die Amerikaner, die Briten und die Deutschen, dann kann Afghanistan wieder gesunden, nicht durch die Versendung von Tausenden neuen Soldaten.

    Spengler: Rupert Neudeck, der Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme. Danke für das Gespräch.