Rainer B. Schossig: Es sind die Preußen, die wollen immer alles besser wissen als andere Leute! – So beschwerte sich Johann Wolfgang Goethe persönlich einst über die mächtigen Bündnispartner seines kleinen Duodezfürsten Karl August zu Weimar. Und gerade hat das Brandenburgische Literaturbüro eine Ausstellung über den Geheimen Rat, Preußen und die Mark Brandenburg gezeigt, auch des Kleist-Todes hat man natürlich in diesem Jahr dort gedacht, obwohl oder gerade weil man als Literaturförderer im größten Flächenstaat der Republik vor allem ja für die Pflege regionaler Literatur, lebendiger Autoren, Verlage und Buchhandlungen zuständig ist. Und dabei wird gerade dieses Bundesland besonders von Landflucht, Abwanderung aus den Städten und Überalterung heimgesucht. Vor der Sendung habe ich mit Hendrik Röder gesprochen vom Brandenburgischen Literaturbüro in Potsdam und ich habe ihn gefragt: Was ist eigentlich übrig geblieben vom Leseland DDR?
Hendrik Röder: Ja, die Frage ist, ob es das tatsächlich gegeben hat in der Form, ob es nicht sozusagen auf ein ganz normales Maß zurückgestutzt wurde, denn es war ja oftmals auch Ersatz für eine nicht vorhandene politische Öffentlichkeit. Aber eigentlich kann man sagen, dass, wenn Sie mich jetzt auf Brandenburg ansprechen, wir natürlich hier also nichts Großstädtisches vorfinden, also eine ganz zersplitterte literarische Interessenlandschaft vorfinden, sage ich mal. Aber wir sind eigentlich ganz zuversichtlich, dass man Überalterung und all das, was wie ein großer Alb über all diesen neuen Bundesländern oder überhaupt der Bundesrepublik schwebt, dass man das irgendwie hinkriegt.
Schossig: Sie sagen es: Es gibt shrinking cities, also schrumpfende Städte, aber es gibt auch die große Landflucht. Wie wirkt sich das auf das Leseverhalten der Menschen aus?
Röder: Na ja, es ist ja kein Geheimnis, dass Fans von Lesungen oder überhaupt Besucher, die zu den Veranstaltungen kommen, sind natürlich etwas älter. Ich würde mal sagen, 40 plus. Nun ist das ja nicht unbedingt schlecht, sondern wir sind ja dankbar über jeden, der kommt. Wir merken aber auch, dass auf der einen Seite, wenn man jetzt am Wochenende Veranstaltungen macht auf dem Land, dass auf der einen Seite Einheimische verschwinden, die kommen also nicht mehr, aber dafür kommen vielleicht Wochenendausflügler.
Schossig: Sie sagen, einfach so, dass es vor allem natürlich, wie Sie eben sagten, Ältere sind, die sich auf das Lesen besinnen. Ist das jetzt ein spezifisch brandenburgisches Problem oder würden Sie sagen, das ist überhaupt so mittlerweile in Deutschland?
Röder: Ich würde sagen, dass das ein Trend in Deutschland überhaupt ist. Nun ist ja diese Form der Lesung sowieso, wenn man es mal von weit weg betrachtet, eine sehr merkwürdige. Für Jugendliche hat das keinen großen Charme, keinen großen Appeal. Wenn wir das mit Jugendlichen machen, mit jungen Menschen in Schulen oder so, und dann speziell darauf sie auch noch mal ansprechen, merkt man, dass das Interesse sich da wirklich in Grenzen hält. Es gibt aber eine andere Tendenz, dass diese hohe ästhetische Vorstellung – da ist der Autor, da bin ich –, also das ist bei vielen Jugendlichen völlig eingeebnet. Also man schreibt eben selbst und verschafft sich seine eigene Szene und geht also nicht sozusagen zu dem großen Autor und lauscht, sondern eben dieses Selbst-Probieren und dieses Selbst-sich-in-Netzwerken-Organisieren, also dieser Trend, den sehe ich sehr stark.
Schossig: Jetzt haben Sie selbst schon den Bogen vom Publikum, vom Lesepublikum zum Autor geschlagen: Wie steht es um die Autoren, die sich in so einem Flächenstaat wie Brandenburg ja eigentlich verlieren, obwohl sie die Hauptstadt gleichsam belagern als Ring rundherum?
Röder: Ja, das ist es ja. Also, Berlin wirkt natürlich wie ein großer Staubsauger und die großen Talente in Brandenburg, bis auf wenige Ausnahmen, die landen natürlich irgendwann in Berlin, weil da einfach die Szene und auch der Humus für die ist. Es gibt ein paar schöne Ausnahmen, vielleicht Lutz Seiler in Wilhelmshorst, den werden Sie da nicht mehr wegkriegen, der ist mal nach Berlin gezogen, den hat es aber gleich wieder vertrieben ...
Schossig: ... der Thüringer?
Röder: Der kommt aus Thüringen, hat aber eben auch zu der märkischen Landschaft eine sehr innige Beziehung, wie überhaupt die Landschaft in seiner Prosa auch eine große Rolle spielt. Aber es gibt auch andere Autoren, wie gesagt, in Berlin, die sich dann so ein zweites Standbein im Brandenburgischen schaffen oder die ganz hierherziehen. Also, das ist eine sehr offene Verbindung.
Schossig: Der vielleicht in diesem Jahr prominenteste brandenburgische Autor heißt Heinrich von Kleist. Haben Sie als Literaturbüro auch hier einen Anteil, fällt da gleichsam von diesem hohen Tisch der großen Literatur und der Dramatik etwas für Sie ab?
Röder: Na, in jedem Fall. Nun ist unser Beitrag da nun sehr bescheiden, das Wichtigste im Land Brandenburg ist ja das Kleist-Museum in Frankfurt Oder, von da wurden ja viele Ausstellungen und Veranstaltungen organisiert. Aber wir haben hier in Potsdam ja eine Kleist-Schule, wo Kleist und sein Freund von Pfuel waren, da haben wir eine Veranstaltung gemacht mit Günter Blamberger, der eine große Biografie geschrieben hat, und das war eine unglaublich intensive, gute Veranstaltung, weil das ist eine Abendschule und dort sind sehr viele junge Menschen auch, die Abitur nachmachen und die ein ungeheures Interesse an Kleist hatten, wo man dann einfach nur staunt, wo das wieder herkommt.
Schossig: Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro in Potsdam über die Mühen der literarischen Ebenen im Ex-Leseland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hendrik Röder: Ja, die Frage ist, ob es das tatsächlich gegeben hat in der Form, ob es nicht sozusagen auf ein ganz normales Maß zurückgestutzt wurde, denn es war ja oftmals auch Ersatz für eine nicht vorhandene politische Öffentlichkeit. Aber eigentlich kann man sagen, dass, wenn Sie mich jetzt auf Brandenburg ansprechen, wir natürlich hier also nichts Großstädtisches vorfinden, also eine ganz zersplitterte literarische Interessenlandschaft vorfinden, sage ich mal. Aber wir sind eigentlich ganz zuversichtlich, dass man Überalterung und all das, was wie ein großer Alb über all diesen neuen Bundesländern oder überhaupt der Bundesrepublik schwebt, dass man das irgendwie hinkriegt.
Schossig: Sie sagen es: Es gibt shrinking cities, also schrumpfende Städte, aber es gibt auch die große Landflucht. Wie wirkt sich das auf das Leseverhalten der Menschen aus?
Röder: Na ja, es ist ja kein Geheimnis, dass Fans von Lesungen oder überhaupt Besucher, die zu den Veranstaltungen kommen, sind natürlich etwas älter. Ich würde mal sagen, 40 plus. Nun ist das ja nicht unbedingt schlecht, sondern wir sind ja dankbar über jeden, der kommt. Wir merken aber auch, dass auf der einen Seite, wenn man jetzt am Wochenende Veranstaltungen macht auf dem Land, dass auf der einen Seite Einheimische verschwinden, die kommen also nicht mehr, aber dafür kommen vielleicht Wochenendausflügler.
Schossig: Sie sagen, einfach so, dass es vor allem natürlich, wie Sie eben sagten, Ältere sind, die sich auf das Lesen besinnen. Ist das jetzt ein spezifisch brandenburgisches Problem oder würden Sie sagen, das ist überhaupt so mittlerweile in Deutschland?
Röder: Ich würde sagen, dass das ein Trend in Deutschland überhaupt ist. Nun ist ja diese Form der Lesung sowieso, wenn man es mal von weit weg betrachtet, eine sehr merkwürdige. Für Jugendliche hat das keinen großen Charme, keinen großen Appeal. Wenn wir das mit Jugendlichen machen, mit jungen Menschen in Schulen oder so, und dann speziell darauf sie auch noch mal ansprechen, merkt man, dass das Interesse sich da wirklich in Grenzen hält. Es gibt aber eine andere Tendenz, dass diese hohe ästhetische Vorstellung – da ist der Autor, da bin ich –, also das ist bei vielen Jugendlichen völlig eingeebnet. Also man schreibt eben selbst und verschafft sich seine eigene Szene und geht also nicht sozusagen zu dem großen Autor und lauscht, sondern eben dieses Selbst-Probieren und dieses Selbst-sich-in-Netzwerken-Organisieren, also dieser Trend, den sehe ich sehr stark.
Schossig: Jetzt haben Sie selbst schon den Bogen vom Publikum, vom Lesepublikum zum Autor geschlagen: Wie steht es um die Autoren, die sich in so einem Flächenstaat wie Brandenburg ja eigentlich verlieren, obwohl sie die Hauptstadt gleichsam belagern als Ring rundherum?
Röder: Ja, das ist es ja. Also, Berlin wirkt natürlich wie ein großer Staubsauger und die großen Talente in Brandenburg, bis auf wenige Ausnahmen, die landen natürlich irgendwann in Berlin, weil da einfach die Szene und auch der Humus für die ist. Es gibt ein paar schöne Ausnahmen, vielleicht Lutz Seiler in Wilhelmshorst, den werden Sie da nicht mehr wegkriegen, der ist mal nach Berlin gezogen, den hat es aber gleich wieder vertrieben ...
Schossig: ... der Thüringer?
Röder: Der kommt aus Thüringen, hat aber eben auch zu der märkischen Landschaft eine sehr innige Beziehung, wie überhaupt die Landschaft in seiner Prosa auch eine große Rolle spielt. Aber es gibt auch andere Autoren, wie gesagt, in Berlin, die sich dann so ein zweites Standbein im Brandenburgischen schaffen oder die ganz hierherziehen. Also, das ist eine sehr offene Verbindung.
Schossig: Der vielleicht in diesem Jahr prominenteste brandenburgische Autor heißt Heinrich von Kleist. Haben Sie als Literaturbüro auch hier einen Anteil, fällt da gleichsam von diesem hohen Tisch der großen Literatur und der Dramatik etwas für Sie ab?
Röder: Na, in jedem Fall. Nun ist unser Beitrag da nun sehr bescheiden, das Wichtigste im Land Brandenburg ist ja das Kleist-Museum in Frankfurt Oder, von da wurden ja viele Ausstellungen und Veranstaltungen organisiert. Aber wir haben hier in Potsdam ja eine Kleist-Schule, wo Kleist und sein Freund von Pfuel waren, da haben wir eine Veranstaltung gemacht mit Günter Blamberger, der eine große Biografie geschrieben hat, und das war eine unglaublich intensive, gute Veranstaltung, weil das ist eine Abendschule und dort sind sehr viele junge Menschen auch, die Abitur nachmachen und die ein ungeheures Interesse an Kleist hatten, wo man dann einfach nur staunt, wo das wieder herkommt.
Schossig: Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro in Potsdam über die Mühen der literarischen Ebenen im Ex-Leseland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.