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Das erste Hörspiel fand im Saale statt

Die Geschichte des deutschen Rundfunks beginnt 1917 mit Hans Bredows und A. Meißners Musikübertragungen an der deutschen Westfront während des 1. Weltkrieges. Im Jahr davor fand im Züricher Cabaret Voltaire eine Veranstaltung statt, bei der in einem verdunkelten Raum freie Lautpoesien und Geräuschmusiken den Vortrag der Weihnachtsgeschichte begleiteten.

Von Frank Olbert |
    Hugo Ball hat den Verlauf des Abends in seinem Tagebuch festgehalten. Aus seinen Aufzeichnungen bearbeitete Beate Andres das Hörspiel "Simultan Krippenspiel". Der Südwestrundfunk nimmt es zum Anlass an Dada und seine Auswirkungen auf die Radiokunst zu erinnern und stellt es innerhalb einer kleinen Reihe mit dem Titel "90 Jahre DADA" vor. Mit SWR-Dramaturg Hans Burkhard Schlichting habe ich gesprochen.
    Frank Olbert: Herr Schlichting, haben die Dadaisten das Hörspiel vor dem Rundfunk erfunden?
    Hans Burkard Schlichting: Auf jeden Fall denke ich, dass das ein Ansatz war. Was an diesem Abend des 31. Mai 1916 im Cabaret Voltaire stattfand, war eine Veranstaltung, die den Cabaret-Besuchern recht seltsam vorkommen musste, die ja teilweise aus Laufpublikum bestanden. Da war ein Vorhang, der abschirmte, was auf der Bühne vorging. Die Leute schauten vor eine Leinwand und hörten, dass dahinter irgendwelche Geräusche waren: ein Scharren, ein Knistern von Stroh, seltsame Tierlaute, aber merklich von menschlichen Stimmen hervorgebracht, und einzelne Geräusche machende Instrumente. In einer bestimmten Szene fiel dieser Vorhang und eine Lichtmaschine trat auf. So steht es im Manuskript, wie das auch immer umgesetzt worden sein mag. Es waren jedenfalls die Künstler selber, Maler, Schriftsteller, die neben den Hugo Ball und seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Emmy Hennings im Spiel waren. Als der Vorhang fiel, sah man diese Darsteller mit dem Rücken zum Publikum. Sie hatten die ganze Zeit die Wand angesprochen, hatten also über die Akustik des Rückwurfs von der Wand in das Publikum hinein, also auf Klangraum hin agiert. Und was sie gemacht hatten, war auch literaturhistorisch das erste konzeptionell richtig durchreflektierte Lautgedicht, was mehr war als nur Lautmalerei im Sinne der Futuristen, die versucht hatten Schlachtgeräusche in Gedichten zu imitieren. Das ist eine Situation des Spiels aus dem Unsichtbaren: die Stimmen hinter dem Vorhang. Das ist eine Art Urhörspiel, das da stattfand am 31.Mai 1916. Es ist der gleiche Abend, an dem dasWort "Dada" publiziert wurde.
    Das Hörspiel "Simultan Krippenspiel" nach Tagebuchtexten von Hugo Ball eingerichtet von Beate Andres sendet SWR 2 am Donnerstag, den 9.Februar um 21.03 Uhr. Am 2. Februar wenden sich Herbert Kapfer und Regina Moths mit "Dr. Huelsenbecks mentaler Heilmethode"zu. Am 16. Februar ist Paul Pörtners radiophone Beschäftigung mit einem zentralen Werk des Dadaismus wiederzuhören: "Franz Müllers Drahtfrühling" nach Kurt Schwitters gleichnamiger Erzählung, in der der Geliebte Anna Blumes einen Tumult provoziert, indem er nichts weiter tut, als dazustehen und zu schweigen. Alle drei Sendungen der Reihe "90 Jahre DADA" stehen jeweils donnerstags ab 21.03 Uhr bei SWR 2 auf dem Programm.