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Das erste Mal hört niemals auf

John Green ist in den USA ein Kultautor, begeistert mit kontroversen Jugendbüchern auch Erwachsene, konnte drei Monate lang nicht schreiben, weil er 150.000 Bücher signieren musste - versprochen ist versprochen - und produziert mit seinem Bruder so komische wie lehrreiche YouTube-Filme.

Mit Ute Wegmann |
    Ute Wegmann: Heute Studiobesuch aus Amerika. Ein Bestseller-Writer. In Amerika ein Kultautor für die Jugendlichen, in Deutschland hat er ebenso viele erwachsene wie jugendliche Fans. Die Buchsprechungen sind ausnahmslos Lobeshymnen. John Green, welcome in Germany.

    In John Greens neuem Roman "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" begegnen sich zwei krebskranke Jugendliche in einer Selbsthilfegruppe. Hazel und Gus sprechen über Literatur.

    Er fragt sie: "Schreibst du auch Gedichte?" "Nein", antwortet sie,"ich schreibe nicht."
    "Hazel Grace", rief er da," du bist der einzige Mensch in Amerika, der lieber Gedichte liest, als welche zu schreiben."


    John Green, ein amüsanter Dialog zwischen Ihren beiden Protagonisten. Ist das Ihr humorvoller, vielleicht sogar ironischer Blick auf ein schreibendes Amerika? Ist Amerika das Land, in dem jeder Schriftsteller sein möchte?

    Green: Ich glaube, wir haben unglücklicherweise in Amerika mehr Schriftsteller als Leser, was natürlich etwas über die USA aussagt. Die Menschen möchten ihre Stimme erheben, sie spüren, dass sie ein Recht darauf haben, gehört zu werden. Jeder hat eine Stimme, die gehört werden sollte, aber das bedeutet auch, dass wir zuhören müssen. Und das meine ich nicht nur in Bezug auf die Politik. In allen Bereichen ist es so, dass wir zu viel reden und zu wenig zuhören.

    Wegmann: Was macht die Faszination des Schreibens aus?

    Green: Ein Großteil geht sicherlich auf den Wunsch nach Unsterblichkeit zurück. Dass du so schreibst, dass man dich noch liest, wenn du nicht mehr existierst. Diesem Gedanken steht Hazel in meinem Roman sehr skeptisch gegenüber, Sie glaubt, dass eine Zeit kommen wird, in der nichts bleibt, keine menschlichen Wesen. Und dann ist es egal, niemand wird sich an Günter Grass erinnern und erst recht niemand an mich.

    Wegmann: Und was bewegt Sie am meisten, wenn Sie einen neuen Roman beginnen?

    Green: Es sind alle diese Möglichkeiten und Unbekannten, ein Gefühl, was man alles geschehen lassen kann. Die gleichen Gefühle hatte ich, als ich jünger war und über meine Karriere und mein Leben nachdachte. Das Tolle an einem unbeschriebenen Blatt Papier ist, dass alles noch möglich ist. Das ist ein aufregendes, prickelndes Gefühl. Aber wenn du anfängst zu schreiben, werden immer weniger Dinge möglich, und das ist manchmal frustrierend, aber auch dieser Teil gehört zum Schreiben dazu.

    Wegmann: Sie starteten eine besondere Aktion. Sie verkündeten im Internet, dass alle vorbestellten Bücher des neuen Romans signiert werden. Es wurden 150.000. War Ihnen bewusst, dass das ein einzigartiger Werbecoup ist und Sie gleichzeitig auf die Bestsellerliste brachte?

    Green: Ich habe in erster Linie nicht an eine Marketingstrategie gedacht, auch wenn mir das ein paar Leute nicht glauben. Ich habe an die Leute gedacht, die irgendwo auf dem Land leben, die niemals an ein signiertes Buch kommen können, es sei denn, sie bezahlen dafür eine unglaubliche Menge Geld im Internet. Das erschien mir nicht richtig, ich finde jeder sollte diese Möglichkeit haben, egal ob er in Malaysia oder in New York City wohnt.

    Es war nicht absehbar, dass mein Aufruf für so viele eine Aufforderung sein würde, denn meine anderen Bücher hatten Erstauflagen von 20.000 bis 30.000. Und das ist eine einfache Aufgabe.

    Als wir sahen, dass es ein Rekord mit 150.000 Vorbestellungen wurde, war ich nicht gerade begeistert, denn es hat mich schließlich drei Monate meines Lebens gekostet, in denen ich leider nicht schreiben konnte. Letztendlich habe ich es aber wirklich gern gemacht.

    Ein Dialyse-Patient sitzt im Maingau-Krankenhaus in Frankfurt und hält die Zu- und Ablaufschläuche für das Blut fest.
    "Meine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Schreiben begann mit der Arbeit im Kinderkrankenhaus." (picture-alliance/ dpa/dpaweb)
    "Mit dem Schreiben habe ich angefangen, weil ich nachts nicht mehr schlafen konnte"
    Wegmann: Geboren wurde John Green 1977 in Indianapolis, wo er heute mit seiner Familie wohnt. Er studierte Englisch und vergleichende Religionswissenschaften und wollte Pfarrer werden. Nach einem Job in einem Kinderkrankenhaus brach er die Ausbildung ab und wurde Journalist für die Branchenzeitschrift "Booklist". War das der Beginn Ihrer Laufbahn als Schriftsteller?

    Green: Beides war ausschlaggebend, aber meine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Schreiben begann mit der Arbeit im Kinderkrankenhaus. Ich war dort 24 Stunden rund um die Uhr und dann hatte ich 24 Stunden frei. Es war ein totaler Stress und sehr traurig und schwierig. Mit dem Schreiben habe ich angefangen, weil ich nachts nicht mehr schlafen konnte. Ich hatte Albträume. Schreiben wurde für mich zu einer Katharsis. So begann mein Schriftstellerleben, aber ich war nicht besonders gut, bis ich bei "Booklist" angefangen habe. Und dann rezensierte ich ungefähr 100 gute Bücher im Jahr und war außerdem umgeben von so vielen guten Schriftstellern und Verlegern.

    Wegmann: Wie stellt sich die Situation der amerikanischen Jugendliteratur dar? Sind Sie, John Green, der neue Star nach der "Twilight"-Sensation?

    Green: Meine Bücher haben eine eingeschränkte Zielgruppe im Vergleich zu den "Twilight"-Romanen. Die Sprache ist anspruchsvoller, die Themen sind manchmal kompliziert. Ich habe nicht die Erwartung, jemals so viel zu verkaufen wie Stephenie Meyer. Das wäre schön, aber ich glaube nicht daran. Aber es gibt zurzeit eine unglaubliche Anzahl interessanter Jugendbücher in Amerika. Und das ist toll und spannend, und ich bin glücklich, dass ich ein Teil davon bin. Und ich sehe mich dabei nicht als führende Person. Es ist fantastisch, eine der Stimmen zu sein, und dazuzugehören.
    Wegmann: Sie haben es bereits gesagt, bei der Arbeit in dem Kinderkrankenhaus wurden Sie mit einer harten Realität konfrontiert. Ihre Geschichten kreisen oft um Leben und Tod, um das Existenzielle. Hatte diese Erfahrung großen Einfluss auf Ihr Schreiben?

    Green: Oh, unbedingt, die sechs Monate im Krankenhaus haben mich für die Fragen sensibilisiert, die ich in meinen Romanen stellen möchte. Diese Zeit hat mich sehr beeinflusst. Aber um ehrlich zu sein, das stärkste Gefühl, das ich in dieser Zeit hatte, war Wut. Ich war so sauer, dass all diese jungen, liebenswerten Menschen starben oder chronisch krank waren und jeden Tag mit Schmerzen leben mussten. Das hat mich so wütend gemacht. Alle Versuche, typisch theoretische Antworten auf dieses Leid zu finden, stellten mich kein bisschen zufrieden.

    Ich habe mich als Leser und Schriftsteller dem Roman zugewandt, weil ich mich mit diesen Fragen auseinandersetzen wollte. Ich glaube nicht, dass ich solche Romane schreiben könnte ohne diese Erfahrung und die Fragen und ohne den Schmerz.

    Eigentlich wollte ich "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" in den ganzen letzten zehn Jahren schreiben. Ich blieb da dran, eine Geschichte, angesiedelt in einem Krankenhaus, über kranke Kinder. Aber es gelang mir nicht, unsentimental zu schreiben. Ich schaffte es nicht, es auf die echte, reine Form herunterzubrechen, so wie ich es gerne wollte. Es hat lange gedauert.

    Wegmann: Die Themen ihrer Romane sind erster Sex, erste Liebe, die Suche nach Identität, nach innerer Freiheit und dem Sinn des Lebens. Was interessiert Sie am meisten an der Auseinandersetzung mit diesen pubertären Themen.

    Green: Was mich wirklich interessiert in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen ist, dass sie viele Dinge zum ersten Mal erleben. Wirklich große, wichtige Dinge. Die erste Liebe, sie werden zum ersten Mal mit Tod konfrontiert, verlassen das erste Mal ihre Eltern und vieles andere.

    Wir machen ja als Erwachsene immer so weiter, das war mir als Jugendlicher nicht bewusst, dass es niemals aufhört. Du wirst ja nicht eines Tages wach und sagst: Oh, jetzt bin ich angekommen. Die Wahrheit ist doch, dass wir alle weiterhin unsere Erfahrungen sammeln und unseren Platz in der Welt suchen. Aber das Besondere beim Jugendbuchschreiben ist, dass die Figuren alles zum ersten Mal erleben. Es fühlt sich alles rein, aufregend und neu an. Und das macht Spaß, darüber zu schreiben.

    Wegmann: Die Sexszenen haben ihre Bücher auf den Index gebracht. Wie wichtig ist Sex im Jugendroman?

    Green: Sex ist eine wichtige Sache neben vielen anderen. Die Szene in meinem Buch "Eine wie Alaska", die in Amerika so viel Aufregung erzeugt hat, ist 600 Wörter lang, in einem Roman, der 72.000 Wörter hat. Ich denke, Sex macht 0,9 Prozent der menschlichen Erfahrungen aus. Aber das ist zu viel für Amerika.

    Sex ist ein wichtiger Teil in der Auseinandersetzung mit all diesen Fragen, die man sich in Pubertät stellt. Wer bin ich? Welche Verantwortung habe ich gegenüber anderen? Was gefällt mir? Was will ich? Was wird mich erfüllen? Sex ist ein Teil davon, aber nicht der wichtigste.

    Wegmann: Die Romane "Eine wie Alaska" und "Margos Spuren" beschäftigen sich mit der Idee der Rollen, die man spielt, dass man vorgibt, etwas zu sein, was man nicht ist. Sie zeigen die Anstrengung, die damit verbunden ist und wie leicht man sich oder andere dabei verlieren kann. Mich erinnerte das thematisch an den Essay von David Foster Wallace Das hier ist Wasser - This is water. Steht dahinter: Werde dir bewusst, wer du bist und wo du bist?

    Green: Diese Rede, "Das hier ist Wasser", wurde an dem College gehalten, wo ich meinen Abschluss gemacht habe. Am Morgen nach der Rede bekam ich eine Mail von einem befreundeten Professor, der schrieb, dass David Foster Wallace diese außerordentliche Rede gehalten habe und er versuchen würde, mir eine Kopie zu besorgen. Sechs Stunden später hatte ich eine Abschrift. Diese Rede, dieser Essay ist die wichtigste Literatur meines Lebens, für mich persönlich, aber auch in beruflicher Hinsicht. Ich erinnere mich immer an den Text, wenn ich darüber nachdenke, wie man ein moralisch vertretbares Leben führen kann, und wie man in einer Welt überleben kann, in der das Leben manchmal sehr schwierig ist.

    Ich hoffe, dass meine Arbeit etwas von dem wiedergibt, was David Foster Wallace in dem Essay beschrieben hat. Ich glaube, dass er recht hat, wenn er sagt, dass man sehr aufmerksam und leidenschaftlich sein muss und versuchen sollte, authentisch zu bleiben, dass das der Weg ist, ein erfülltes Leben zu leben.

    Wegmann: Ihre jungen Männer sind sympathische, unspektakuläre Helden, die durch die Frauen erkennen, wer sie sind. Gus ist hier eine Ausnahme, er verkörpert von Beginn an durch die Liebe, die er lebt, etwas sehr Heldenhaftes.

    Green: Ja, auf jeden Fall, aber ich hoffe, es funktioniert auch andersherum, und die Mädchen werden sich durch die Beziehungen und Freundschaften mit den Jungs klarer über sich selber. Ich interessiere mich nicht für Helden im Edward-Collins-Stil, gut aussehende, reiche Vampire, kraftvoll mit starken Muskeln, die sich um ein Mädchen kümmern. Eine Gesellschaft sollte nicht ein solches männliches Heldenbild verfolgen. Ich finde die Idee überholt. Ich würde immer eine umgekehrte Heldenreise bevorzugen, von der Stärke zur Verwundbarkeit. Das ist die Reise, um menschlicher zu werden und auch erfolgreicher. Die Übermensch-Reise geht von Stärke zu Schwäche, nicht umgekehrt. Die Heldenreise beginnt an dem Punkt, an dem man glaubt, alles zu schaffen, sich dann seiner Brüchigkeit bewusst wird, und ehrlich ist zu sich selbst, sich eingesteht, dass man ängstlich ist und verwundbar.

    In gewisser Weise denke ich, dass die Mädchen die wahren Helden der Geschichten sind. Und wenn die Jungs stärker wirken, dann vielleicht nur, weil sie zu Beginn so viel weniger im Einklang mit sich selber sind.

    Wegmann: Liebe, die erste Liebe, ist ein großes Thema in allen Romanen, besonders in dem neuen. Hier allerdings vor dem Hintergrund der Endlichkeit, vor dem Hintergrund des Todes. Hazel und Gus, 16 und 17, sind beide an Krebs erkrankt, aber das Mädchen ist wütend, will nicht als kämpfende, starke Person wahrgenommen werden, sondern sieht sich als ein Opfer des Schicksals, ein Opfer der Zivilisation "Krebskinder sind die Nebenwirkung der unermüdlichen Mutation, die die Vielfalt des Lebens auf der Erde ermöglicht."

    Sätze wie Meteoriten.

    Hazel und Gus stellen sich in Anbetracht der Krankheit viele Frage: Warum war ich in der Welt? Hab ich etwas Sinnvolles bewirkt? War ich für jemanden wichtig? Und was wird aus der meiner Welt, wenn ich weg bin?

    Wegmann: John Green erzählt die Geschichte berührend, manchmal sehr heiter, sehr realitätsnah, nie beschönigend.
    Und die Erkenntnis könnte sein: Auch ein kurzes Leben kann ein sehr erfülltes, volles Leben sein.

    John Green, Sie erzeugen Rührung ohne Rührseligkeit. Sie erzählen kitsch- und klischeefrei und heiter. Im Text heißt es: "Man hat immer die Wahl, wie man eine traurige Geschichte erzählt ..." Sie haben diese nicht traurige Form gewählt.
    Green: Ich wollte eine heitere Geschichte schreiben, unsentimental, echt und so ehrlich, wie es eben geht, vor dem Hintergrund all der Menschen, die mir mit ihren Krankheiten begegnet sind. Und oft war das Leben auch heiter und so wollte ich es schreiben, vor allem weil wir schon genug schwierige Krebsbücher haben. Ich wollte ein Buch schreiben, dass Spaß macht.

    Wegmann: Und in der Tat, ihre Geschichte und ihre Charaktere haben etwas Besonderes. Sie schaffen das, was Hazel sich wünscht. Das Leben ist nicht mehr ein Kampf gegen den Tod, sondern die Möglichkeit die Liebe zu leben, mit allen Sinnen. Und die wahre Liebe ist stärker als der Tod. Ist das die Botschaft?

    Green: Ich schöpfe viel Hoffnung aus der Idee, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Aber auch aus der Idee, dass Liebe sich über vieles hinwegsetzen kann, dass sie uns zusammenhält, uns ermöglicht, zusammenzuarbeiten oder dass wir etwas gemeinsam erleben können. Von dieser Liebe spreche ich, nicht von der intimen, romantischen Liebe einer Zweierbeziehung, sondern von der Liebe, die uns Teil eines Ganzen sein lässt, für die Menschen, die nach uns kommen und die vor uns gelebt haben. Unser Interesse sollte es sein, all diesen Menschen Respekt entgegenzubringen und gemeinsam schöne Dinge zu erschaffen. Darin finde ich die Hoffnung, die meinen Tod überlebt. Dahinter steht der Gedanke, dass alles, was wir bauen oder kreieren, dass wir das nicht nur für uns machen, sondern für unsere Nachfahren. Das finde ich hoffnungsvoll, wenn man erkennt, dass man ein Teil von etwas viel Größerem ist, ein Teil unserer Spezies.

    Wegmann: Die Kritiker sagen jetzt schon, dass Ihr Buch ein Klassiker wird, vergleichen Sie mit John Updike und Philip Roth. Wen lesen Sie? Wer ist Ihr Vorbild? Von wem haben Sie gelernt?

    Green: Ich bin etwas irritiert über diese Vergleiche. Ich finde sie übertrieben. Philip Roth ist ein wichtiger Autor für mich, David Foster Wallace, Toni Morrison, die den Nobelpreis gewann. Als ich auf dem College war, habe ich alle ihre Bücher ganz aufmerksam gelesen. Aber auch Gabriel Garcia Marquez, dessen Einfluss auf meine Arbeit vielleicht nicht so offensichtlich ist, aber ich habe viel darüber nachgedacht, wie brillant er das Fantastische in seine realistischen Geschichten einbaut.

    Ich bin auch durch viele zeitgenössische Schriftsteller inspiriert, der bekannteste sicher J. D. Salinger, der über Intelligenz und Jugend geschrieben hat wie nie jemand zuvor. Oder Markus Zusak, der "Die Bücherdiebin" geschrieben hat, oder M. T. Anderson , der in Europa nicht so bekannt ist, aber der fantastisch ist.


    Jungs und Mädchen plagen und der Schule oft ganz unterschiedliche Probleme
    "Ich interessiere mich nicht für Helden im Edward-Collins-Stil" (picture alliance / dpa / Armin Weigel)
    VlogBrothers: "Is College Worth It?" (Screenshot YouTube-Video mit John Green)
    VlogBrothers: "Is College Worth It?" (Screenshot YouTube-Video mit John Green) (dradio.de/YouTube)
    "Das Internet ist eigentlich vor allem ein Sandkasten"
    Wegmann: Let's talk about the Internet Society! Das Internet. Hölle und Paradies. Für Sie das Schlaraffenland und ein Tummelplatz für viele Spielarten. Sie betreiben dort mit ihrem Bruder Hank einen Blog: VlogBrothers. Etwa 200.000 Fans, genannt Nerdfighters, verfolgen ihre Aktivitäten. Sie haben 1000 kurze Dreiminuten-Filme auf einem YouTube-Channel. Ihr Bruder Hank und Sie sprechen dort über das Leben und über Nonsense. Sie bringen sich zum Lachen. Der letzte Beitrag heißt: Five Orte, wo man sich nicht übergeben sollte. 4,9 Millionen Klicks im Netz. Und dann gibt es noch den "Crash Course World History and Biology". Was genau machen Sie da im Netz?

    Green: Als wir 1993 Internet bekamen, sagte mein Vater: Ihr könnt jetzt nachschauen, wie das Wetter in Las Vegas ist. Okay, dachte ich. Na und. Und ich fand das blöd. Aber mein Bruder Hank, der viel jünger war, damals war er zwölf, interessierte sich sehr dafür. Eines Tages habe ich ihn gefragt, was das Internet eigentlich ist und er sagte: Das Internet ist eigentlich vor allem ein Sandkasten. Und das ist wahr. Es ermöglicht dir, Dinge zu bauen, die du interessant findest und du kannst spielen. Alle unsere Projekte sind ein Spiel im Sandkasten. Es fing damit an, dass ich es lustiger fand, über Video mit Hank zu sprechen als zu e-mailen. Dann haben wir mit dem Bildungsprogramm Crashkurs Weltgeschichte und Biologie angefangen. Wir fanden die Idee klasse, den Schulen kostenlos hoch qualifiziertes Unterrichtsmaterial anzubieten. Verschiedene Ansätze für verschiedene Projekte, aber über allem steht das prickelnde Gefühl: Das ist ein Sandkasten und wir können hier bauen, was wir wollen.

    Wegmann: Sie haben auch noch einen Account bei Twitter mit 20.000 Followers. Ist das nicht ungeheuer zeitaufwendig?

    Green: Twitter ist nicht zeitaufwendig, man braucht 30 Sekunden, um ein Tweet zu schreiben. Die Verantwortung, die ich gegenüber mir selber und den Menschen im Netz habe, ist, das Niveau der Diskussion hochzuhalten, damit es nicht einfach nur der Zerstreuung dient, nicht nur Ablenkung ist. Es soll ein Platz für Engagement und intellektuelle Auseinandersetzung sein. Hank und ich wollen - auch auf Twitter - Räume schaffen, die das ermöglichen.

    Wegmann: Sie haben in einem Interview gesagt: Es ist ein Geschenk zu schreiben, aber auch ein Geschenk gelesen zu werden. Wie reagieren Sie, wenn Sie in weniger als einer Minute Raubkopien Ihrer Romane im Netz finden?

    Green: Also, ich bin besorgt. Ich sorge mich weniger um mich, sondern mehr um die Autoren und die Verleger, die nach mir kommen. Als Kind habe ich gedacht, dass ein Buch von einem Menschen gemacht, dass es das Werk eines einzigen Individuums ist und dass es durch einen Verleger nicht wertvoller wird. Das stimmt aber in keiner Weise. Die Wahrheit ist, dass jedes Buch eine Zusammenarbeit ist und Schriftsteller brauchen Verleger. Es ist kein Zufall, dass Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald denselben Verleger haben. Es ist kein Zufall, weil hervorragende Verleger hervorragende Bücher machen.

    Und wenn jemand Raubkopien ins Netz stellt, nimmt er damit nicht nur mein Geld - das berührt mich nicht wirklich -, aber derjenige zapft die Geldquellen an, die ein Verleger benötigt, um neue Schriftsteller zu entdecken und diese Stimmen mit uns zu teilen und deren Werke zu verbessern, wie sie auch meine Arbeit verbessert haben. Mein Problem mit der Raubkopiererei ist, dass hier etwas zerstört wird, das ein wirklich effektives, gut funktionierendes System ist. Wenn du in einen Buchladen gehst, findest du eine immense Vielfalt von Büchern, viele sind großartig. Wir leben in einer Zeit, in der großartige Bücher zu einem erschwinglichen Preis erhältlich sind. Ich halte Raubkopieren für überflüssig. Ich sehe darin keinen zusätzlichen Wert.

    Ich bin glücklich, wenn ich gelesen werde, und ich bin dankbar für jeden Leser, aber ich möchte in einer Welt leben, in der weiterhin gute Bücher gekauft werden können. Wenn wir aber denken, dass Bücher nur von einer Person hervorgebracht werden, zerstören wir die notwendige Infrastruktur der Verlage.

    Wegmann: Sie haben sich damals auch im Netz für Obama engagiert? Würden Sie das heute wieder tun? Und wie sehen Sie die Zukunft Amerikas?

    Green: Ja, ich habe das gemacht und ich würde es wieder tun, um einen progressiven Kurs in der Politik zu unterstützen, oder eben das, was man in Amerika unter progressiv versteht. Denn man muss ja sagen, dass unser linker Flügel in etwa der deutschen konservativen Partei entspricht.

    Im Jahr 2008 war ich während der Wahlen in Berlin und ein Schüler fragte mich, ob Obama der Messias Amerikas sei. Ich antwortete mit Nein, und er war es auch nicht. Aber ich bin weniger enttäuscht als die Europäer, weil ich ganz klare Erwartungen hatte und die sind eingetroffen. Ich bin zufrieden mit dem, was Obama gemacht hat und werde ihn wieder wählen.

    Wo ich Amerika in Zukunft sehe? Ich wünsche, ich könnte sagen, wir werden eine europäischere Nation, aber das ist nicht so, da gibt es zu viel Widerstand, ideologischen Widerstand. Und bei ideologischer Rigidität können alle Aussagen der Welt nichts ausrichten, weil es nie um Beweise geht, sondern immer nur um Ideologie.

    Solange wir uns anschreien, anstatt zuzuhören, - und mit Geschrei kann man keine effektiven politischen Gespräche führen -, solange bleiben wir eine ideologisch engstirnige Nation. Was auch immer das für eine Ideologie sein mag, die Engstirnigkeit schwächt uns in der Welt.

    Das ist schlecht für Amerika, aber hoffentlich ist es gut für Europa und andere demokratische Länder, die Zweckmäßigkeit und Argumente über ideologische Engstirnigkeit setzen. Ich bin nicht so zuversichtlich, was Amerika betrifft, aber ich bin zuversichtlich für unseren Planeten.

    Und das ist doch das weitaus bessere Geschäft.

    Wegmann: John Green gehört zu den Ausnahmetalenten im Dschungel der Jugendliteratur. It was a pleasure to meet you. Thanks a lot!

    Weitere Informationen

    "Eine wie Alaska"- 282 Seiten, ab 13
    "Die erste Liebe nach 19 vergeblichen Versuchen". 288 Seiten, ab 13
    "Margos Spuren". 335 Seiten, ab 14
    "Das Schicksal ist ein mieser Verräter". 287 Seiten, ab 14
    Alle Bücher sind im Hanser Verlag erschienen.

    "Will & Will" von John Green und David Levithan erschien im Bertelsmann Verlag, übersetzt von Bernadette Ott.


    Vier Romane stellen den Autor John Green und seine philosophierenden, heiteren, lebensechten, manchmal verzweifelten, immer sympathischen Protagonisten vor.

    "Eine wie Alaska" ist eine Liebesgeschichte, angesiedelt in einem Internat. Der 16-jährige Miles, dessen ungewöhnliches Hobby das Sammeln letzter Worte berühmter Menschen ist, kommt neu an die Schule. Sein aktuelles Lieblingszitat sind Francois Rabelais letzte Worte: Nun mache ich mich auf die Suche nach dem großen Vielleicht. Miles sucht nach Wahrheit und Sinn des Lebens und findet Alaska. Sie ist der Mittelpunkt des Internatlebens: klug, belesen, mutig. Sie hat Sex und raucht und trinkt und in ihrer Gegenwart ist man immer nah am Schulverweis. Miles sagt: "Sie war wunderschön, und ich war hoffnungslos langweilig, und [...] wenn Menschen Niederschlag wären, wäre ich Nieselregen und sie ein Hurrikan." (S.115)

    Die Kapitelüberschriften sind ungewöhnlich, verweisen bereits auf ein zentrales Ereignis. 136 Tage vorher. Der letzte Tag. 136 Tage nachher.



    19-mal von einer Katherine verlassen zu werden, das kann kein Zufall mehr sein.

    Für Colin, einen hochbegabten jungen Mann, endet das 19. Mal gerade in einer Verzweiflung. Da rettet ihn sein schonungsloser Freund Hassan, indem er ihn zu einem Ausflug ins Blaue einlädt.

    "Die erste Liebe nach 19 vergeblichen Versuchen" ist ein amüsantes und gleichsam tiefgründiges Roadmovie, in dem Colin anfangs noch versucht, die Beziehungsstatistik mit seinen Freundinnen anhand von Graphen zu fassen und zu erfassen. Aber die Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens und den Erinnerungen an die Frauen führt mehr und mehr zu wichtigen Erkenntnissen, zum Beispiel, dass es besser ist, etwas Sinnvolles zu tun und ein Teil des Ganzen zu sein, als etwas Einzigartiges oder Besonderes.

    Der dritte Roman John Greens heißt "Margos Spuren". Auch hier wie in den vorangegangenen Romanen treffen wir auf einen eher schüchternen jungen Mann, einen Außenseiter, und eine starke Frauenfigur.

    Der stille Quentin ist schon immer in die hübsche, rätselhafte Margo verliebt. Eines Nachts bittet das Mädchen Quentin elf Probleme zu lösen, es ist ein Rachefeldzug an ihrem Freund, der sie betrogen hat. In dieser Nacht überwindet Quentin elf Mal seine Ängste und Bedenken und unterstützt Margo. Aber Margo bleibt seit dieser Nacht verschwunden. Beherrscht von der Angst, bei seiner Suche nach ihr, das Mädchen tot aufzufinden, gelingt es Quentin nach und nach, die Zeichen, die sie hinterlässt - Poster, ein Gedicht von Whitman - zu deuten. Er erkennt, dass alles im Leben zwei Wahrheiten birgt.

    John Green spielt in diesem Roman mit dem Thema Sein und Schein und zeigt, dass das Bild, das man sich von Situationen oder von anderen Menschen macht, oft eine Projektion ist. Diese Vorstellung, egal ob richtig oder falsch, ist wichtig, um Handeln in Gang zu setzen und die Gegenwart zu verändern. Und wenn man sich wie Quentin von falschen Ideen verabschiedet. Er erkennt, dass Margos und sein Weg nicht identisch sind.

    In seinem Roman "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" konfrontiert Green seine Leser mit zwei jugendlichen unheilbar kranken Krebspatienten. Anders als in anderen Krebsbüchern geht es nicht um verpasste Chancen, um Dinge, die man noch unbedingt erleben möchte, sondern im Mittelpunkt steht die Frage: Warum war ich in der Welt? Was habe ich Sinnvolles bewirkt? Und, was wird aus denen, die zurückbleiben, wenn ich gehe?

    Fragen, die man sich normalerweise als Erwachsener stellt, die den einen oder anderen gesunden älteren Menschen in tiefe Sinnkrisen stürzen.

    John Green will keinen Krebsroman schreiben, das teilt er uns durch seine 16jährige Protagonistin Hazel gleich zu Beginn mit, als sie von ihrem Lieblingsbuch berichtet, in dem ein 16jähriges Mädchen Blutkrebs bekommt: "..., denn Krebsbücher sind doof. In Krebsbüchern gründen die Krebshelden zum Beispiel immer irgendeine Wohltätigkeitsorganisation, um Geld für die Krebsforschung zu sammeln." (S.49)

    In "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" geht es vielmehr um die Liebe im Angesicht der Endlichkeit und um die Erkenntnis, dass auch ein kurzes Leben ein ganzes, erfülltes, glückliches Leben gewesen sein kann.

    Wie schafft man es, das erste Mal miteinander zu schlafen, wenn sie das T-Shirt über ihre Sauerstoffflaschenschläuche ziehen muss, während er neben der Jeans auch noch sein halbes Bein ausziehen muss? Man schafft es: langsam, behutsam, liebevoll, leise. Mit einem besonderen Humor hat Green die beiden Verliebten Hazel und Gus ausgestattet. Alles wird benannt, nichts verheimlicht. Überraschend direkt lernt man alles über die Nebenwirkungen, Einschränkungen und Hoffnungen, die sich an die Krankheit knüpfen.