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Das Erziehungstagebuch einer Mutter

Die amerikanische Professorin Amy Chua, sie ist Tochter chinesischer Einwanderer, hat jetzt ihr Erfolgsgeheimnis verraten. Das da heißt: Nichts als Druck. Ihr Buch "Die Mutter des Erfolgs" war in Amerika ein Besteller und sorgte schon dort für eine heftige Kontroverse.

Von Armin Himmelrath |
    Um es gleich vorweg zu nehmen: Es muss schrecklich sein, Amy Chua als Mutter zu haben. Nach schöner Kindheit jedenfalls hört es sich überhaupt nicht an, was die Autorin da als idealen Erziehungsstil für Kinder beschreibt. Lustvoll inszeniert sich die US-Amerikanerin chinesischer Abstammung in ihrem Buch als echte Drachenmutter, die mit fast unmenschlicher Härte gegenüber ihren beiden Töchtern Sophia und Lulu auftritt. Der Krieg, der über Jahre in der Familie herrscht, sei nur zum Besten der Kinder, schreibt Amy Chua mehrfach. Dabei ist es stellenweise unerträglich, wie die zweifache Mutter etwa in einem Streit agiert, der sich ums Geigespielen dreht: Lulu will nach tagelangem Drill das Lied vom weißen Esel nicht mehr üben.

    Sie packte die Notenblätter und zerriss sie in Fetzen. Ich klebte die Noten wieder zusammen und schweißte sie in Plastik ein, damit sie nie wieder zerrissen werden konnten. Dann schleppte ich Lulus Puppenhaus ins Auto und teilte ihr mit, dass ich es Stück für Stück der Heilsarmee spenden würde, wenn sie den "kleinen weißen Esel" nicht am nächsten Tag perfekt spielte. Als Lulu sagte, "Ich dachte, du willst zur Heilsarmee, wieso bist du noch hier?", drohte ich ihr mit dem Entzug von Mittagessen, Abendessen, Weihnachts- und Chanukka-Geschenken, Geburtstagspartys für die nächsten zwei, drei, vier Jahre. Als sie immer noch falsch spielte, sagte ich, sie steigere sich nur deshalb in diese Hysterie hinein, weil sie insgeheim Angst habe, dass sie es nicht könne. Sie sei faul, feige, zimperlich und erbärmlich.

    Vier, fünf oder auch sechs Stunden üben am Tag, und zwar an jedem Tag, Jahr für Jahr, das verlangt Amy Chua ihren Kindern ab, streicht dafür sämtliche anderen Freizeitaktivitäten und die Besuche bei Schulfreundinnen und verkauft das Ganze als chinesischen Erziehungsstil, der dem westlichen mindestens ebenbürtig, eigentlich aber überlegen sei. Drohungen seien für die Kinder in Wirklichkeit Ansporn, Dinge zu erreichen und zu leisten, die sie sich selber vorher nicht zutrauen, so die Begründung der Autorin. Dafür dürfe, nein: müsse man seine Kinder auch schon mal rüde beschimpfen oder demütigen.

    Oh mein Gott, du wirst immer nur schlechter und schlechter. Ich zähle jetzt bis drei, dann erwarte ich Musikalität! Wenn das beim nächsten Mal nicht perfekt ist, nehme ich dir sämtliche Stofftiere weg und verbrenne sie.

    Solche Passagen zu lesen und dann auch noch pädagogisch verbrämt zu bekommen, das ist hart. Und dennoch fasziniert und fesselt dieses Buch den Leser bis zur letzten Seite. Denn eigentlich, so hofft er unterschwellig, kann es doch nicht sein, dass eine erfolgreiche und angesehene Jura-Professorin an einer der renommiertesten US-Universitäten im 21. Jahrhundert ernsthaft einen solch rüden Erziehungsstil propagiert - egal, welche Migrationsgeschichte sie selber mitbringt. Da muss doch irgendwann die große selbstironische Auflösung kommen, der Hinweis, dass das alles nur eine gezielte Provokation der Leserschaft war. Doch: dieser Hinweis kommt nicht. Amy Chua meint es bitter ernst, wenn sie zu ihren Kindern sagt.

    Mein Ziel als Mutter ist es, euch auf die Zukunft vorzubereiten; nicht, mich bei euch beliebt zu machen. Chua erklärt ihr autoritäres Handeln mit der Befürchtung des sozialen Abstiegs, von dem insbesondere die dritte Einwanderergeneration bedroht sei. Denn die in den USA geboren Enkel der Einwanderer hätten das Grundproblem, ...

    ... dass sie der Meinung sind, individuelle, von der Verfassung garantierte Rechte zu besitzen, weshalb sie viel eher geneigt sind, sich über ihre Eltern und ihre beruflichen Ratschläge hinwegzusetzen. Kurzum, alle diese Faktoren deuten darauf hin, dass diese Generation direkt auf den Abgrund zusteuert. Aber nicht mit mir. Von dem Augenblick an, als Sophia auf der Welt war und ich in ihr entzückendes, kluges Gesicht blickte, war ich entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen, kein verzärteltes, Ansprüche stellendes Kind aufzuziehen. Ich war entschlossen, den Niedergang meiner Familie zu verhindern.

    Eine Drohung, die Amy Chua jahrelang wahr gemacht hat. Erst, als sie den Kontakt zu ihrer mittlerweile 13-jährigen jüngeren Tochter beinahe verliert und die Familie auseinanderzubrechen droht, verabschiedet sich die Mutter vom Drill - um ihn dann doch wieder als gute Grundlage für das weitere Leben ihrer Kinder zu feiern. Kein Wunder, dass dieses Buch Furore macht - eine gezieltere Provokation westlicher Erziehungsvorstellungen ist kaum denkbar. Doch die Autorin reagiert mit hochgezogenen Augenbrauen und gibt sich zutiefst erstaunt. Sie verstehe die ganze Aufregung nicht.

    Das Buch habe mittlerweile eine Art Eigenleben entwickelt. Die Menschen würden schlimme Dinge über ihre Kinder sagen und ihrer Familie Schlechtes wünschen, weil sie da etwas sehr Persönliches angesprochen habe, beklagt sich Amy Chua. Dabei zeige sie doch nur den Kulturkonflikt zwischen östlichen und westlichen Erziehungsvorstellungen - und akzeptiere schließlich die Pädagogik des Westens.

    Am Ende, sagt Amy Chua, habe sie sich durchgerungen zu der Vorstellung, dass man auf sein Kind hören solle. Und wenn es weine, dann habe die ganze Härte keinen Zweck mehr, dann müsse man damit aufhören. Doch diese Interpretation der Autorin deckt sich nicht mit dem Buch: Da bezeichnet sie ihre Abkehr vom stundenlangen Drill wörtlich als "Demütigung durch eine Dreizehnjährige" - Einsicht sieht wohl anders aus. Amy Chuan hat ein Buch geschrieben, das an die Nieren geht und vielleicht gerade deshalb so faszinierend ist. Und dessen unnachgiebige, autoritäre und manchmal schwarze Pädagogik wohl nicht zufällig ausgerechnet von Thilo Sarrazin gelobt wurde.

    Das Erziehungstagebuch von Amy Chua ist bei Nagel & Kimche erschienen, es kostet 19,90 Euro und hat 256 Seiten, ISBN 978-3-312-00470-6