Katja Lückert: Was könnte ich Ihnen denn Privates erzählen, vielleicht, dass ich heute Nachmittag hier im Funkhaus mal die Bürotür zugemacht habe und mich auf das grüne Sofa unserer Redaktionsleiterin gelegt habe und 15 Minuten geschlafen habe – die ist nämlich im Urlaub. War so ein herbstliches Wetter à la "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr". Dabei hat mich aber, soweit ich weiß, niemand fotografiert – wie die Menschen, deren Bilder zurzeit in der Frankfurter Schirn Kunsthalle zu sehen sind. Ausdrücklich werden dort, so heißt es, Exkursionen unternommen zu den fragilen Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen. Und das anhand von Fotografien, Polaroids, Handyfotos und Installationen.
Christiane Vielhaber, ist das Private eigentlich notwendigerweise auch immer das Peinliche? Die Schlafenden mit ihren auf die Brust gefallenen Köpfen oder offenen Mündern, die wirken ja nicht sehr fotogen.
Christiane Vielhaber: Das ist schon peinlich, und wenn wir wissen, dass wir genauso aussehen, wenn wir irgendwo im Bus einnicken oder im Zug der Nachbar, und der fängt dann noch an zu schnarchen. Nur das Erstaunliche ist: Diese Fotos, von denen Sie gerade reden, die sind alle aus dem Internet. Zum Beispiel ganz zum Schluss dieser Ausstellung gibt es eine Apotheose von 10.000 Fotos, und ich ging auf diese Bilder zu und dachte, ach, das ist ein Gursky, wahrscheinlich irgendwie so ein Madonna-Konzert und ganz viele Leute. Und dann komme ich näher heran und dann sehe ich, diese Menschen bewegen sich, und dann gehe ich ganz nah heran und dann sehe ich, Rubbeldiekatz, und man merkt, dass da Leute mit Sicherheit stöhnen, und das sind 10.000 Pornos, aus dem Internet hochgeladen, ganz kleine Fotos, auch das ist privat.
Aber das Erstaunliche ist: Ganz am Anfang dieser Ausstellung gibt es zwei Vitrinen. Ich wusste gar nicht, dass es ein Tagebucharchiv in Emmendingen gibt. Und es gibt ein Fotoalbenarchiv, das ist das Historische Museum. Und in diesem Tagebucharchiv können Sie jetzt sehen, was eigentlich Facebook avant la lettre ist. Da schreibt dann ein junges Mädchen, sie liebt Carsten, aber Carsten hat leider den falschen Rucksack. Und so gehen Liebesgeschichten zu Ende. Sie haben Fotoalben – ich bin etwas älter als Sie, Sie werden sich aber auch an ähnliche Sachen erinnern …
Lückert: Das ist privat, das ist privat.
Vielhaber: Ja, aber die sind da zu sehen. Das sind dann aber noch die Fotos mit den gezackten Rändern, aber da ist Konfirmation und Omas 70. Geburtstag, und die stehen eigentlich heute noch so wie vor 70 Jahren.
Lückert: Aber ist das der Blick des Voyeurs, der da zum Tragen kommt? Wir sehen ja eigentlich eine Szene, die für den fremden Blick gar nicht gedacht war.
Vielhaber: Ja gut. Die Sachen sind jetzt im Museum beziehungsweise im Archiv und da können Sie ja, wie ich jetzt auch erlebt habe, ausgeliehen werden, und dann steht eben auch: "Liebes Tagebuch, wer diesen Schlüssel öffnet", oder so, "der ist schändlich." Heute ist nichts mehr schändlich. Sie haben dann aber, was mich erstaunt hat, einen Film von 1959, wo jemand die Geburt seines Kindes eins zu eins aufgenommen hat – 1959!
Lückert: Das war ein Tabu.
Vielhaber: Ja, das ist ziemlich früh. Sie sehen in dieser Ausstellung, dass mit Sicherheit die Schwulenszene dieses Medium genommen hat, um sich zu befreien, weniger die Feministinnen. Die machen sich eher lustig und tauchen dann als Hausfrauen auf und sagen, also das ist nicht unsere Rolle. Bei den Homosexuellen wiederholt sich das eigentlich, dass sie in ihrem eigenen Kreis Polaroids machen, dass sie Fotos machen, dass sie sich gegenseitig filmen und das dann öffentlich machen.
Lückert: Sie haben ja über die Errungenschaften des Internets schon gesprochen, und es gibt da eben viel Kunst, die aus den Offenbarungen, wenn man so will, anderer dann entsteht. Und manche Künstler mögen ja auch die Haltung haben, letztendlich sei weniger Privatsphäre irgendwie besser, liberaler, freizügiger oder so. Gibt es solche Positionen auch?
Vielhaber: Nein. Ich muss sagen, dass Martina Weinhart, die diese Ausstellung kuratiert hat, sehr mutig war, dass sie gewagt hat, viele Dinge in diese Ausstellung zu nehmen, die wir gemeinhin nicht als Kunst bezeichnen. Wenn zum Beispiel jemand seine Mutter fotografiert, wie sie mit jungen Liebhabern heftig zur Sache im Bett dran ist, wie es dann aber am Schluss in diesem Raum auch einen kleinen Film gibt, wo er seine Mutter filmt, und dann kommt die Mutter heulend und dann ist das plötzlich eine umgekehrte Pietà: sie fällt ihm in den Arm und weint letztlich um ihr Leben.
Oder wie der englische Künstler Billingham seine Eltern, sein Vater ein abgemagerter Alkoholiker und seine Mutter eine fette, aufgedunsene, volltätowierte, abgedriftete Frau, die dann mit ihren Wurstfingern in dem Puzzle-Kasten offenbar nach dem Stück mit der weißen Wolke sucht, diese Peinlichkeit, diese Schrecklichkeit, dass das vielleicht auch nur möglich ist im allerprivatesten Kreis.
Lückert: Aber Tracey Emin – wenn Sie schon von Bett reden, zerwühltes Bett – war nicht da?
Vielhaber: Die war da und mit Tampon und mit allem, und sie wollte das auch selber aufbauen. Ich war kurz vor dem Aufbau da. Ob ich das nun sehen muss? Aber es ist eben auch ein Stück Privatheit, was längst zur Kunst geworden ist und was längst auch verkauft ist an Sammler.
Lückert: Das war Christiane Vielhaber mit vielen intimen Details zu einer Ausstellung über das Private in der Frankfurter Schirn Kunsthalle.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Informationen der Schirn Kunsthalle Frankfurt a.M. zur Ausstellung "Privat"
Christiane Vielhaber, ist das Private eigentlich notwendigerweise auch immer das Peinliche? Die Schlafenden mit ihren auf die Brust gefallenen Köpfen oder offenen Mündern, die wirken ja nicht sehr fotogen.
Christiane Vielhaber: Das ist schon peinlich, und wenn wir wissen, dass wir genauso aussehen, wenn wir irgendwo im Bus einnicken oder im Zug der Nachbar, und der fängt dann noch an zu schnarchen. Nur das Erstaunliche ist: Diese Fotos, von denen Sie gerade reden, die sind alle aus dem Internet. Zum Beispiel ganz zum Schluss dieser Ausstellung gibt es eine Apotheose von 10.000 Fotos, und ich ging auf diese Bilder zu und dachte, ach, das ist ein Gursky, wahrscheinlich irgendwie so ein Madonna-Konzert und ganz viele Leute. Und dann komme ich näher heran und dann sehe ich, diese Menschen bewegen sich, und dann gehe ich ganz nah heran und dann sehe ich, Rubbeldiekatz, und man merkt, dass da Leute mit Sicherheit stöhnen, und das sind 10.000 Pornos, aus dem Internet hochgeladen, ganz kleine Fotos, auch das ist privat.
Aber das Erstaunliche ist: Ganz am Anfang dieser Ausstellung gibt es zwei Vitrinen. Ich wusste gar nicht, dass es ein Tagebucharchiv in Emmendingen gibt. Und es gibt ein Fotoalbenarchiv, das ist das Historische Museum. Und in diesem Tagebucharchiv können Sie jetzt sehen, was eigentlich Facebook avant la lettre ist. Da schreibt dann ein junges Mädchen, sie liebt Carsten, aber Carsten hat leider den falschen Rucksack. Und so gehen Liebesgeschichten zu Ende. Sie haben Fotoalben – ich bin etwas älter als Sie, Sie werden sich aber auch an ähnliche Sachen erinnern …
Lückert: Das ist privat, das ist privat.
Vielhaber: Ja, aber die sind da zu sehen. Das sind dann aber noch die Fotos mit den gezackten Rändern, aber da ist Konfirmation und Omas 70. Geburtstag, und die stehen eigentlich heute noch so wie vor 70 Jahren.
Lückert: Aber ist das der Blick des Voyeurs, der da zum Tragen kommt? Wir sehen ja eigentlich eine Szene, die für den fremden Blick gar nicht gedacht war.
Vielhaber: Ja gut. Die Sachen sind jetzt im Museum beziehungsweise im Archiv und da können Sie ja, wie ich jetzt auch erlebt habe, ausgeliehen werden, und dann steht eben auch: "Liebes Tagebuch, wer diesen Schlüssel öffnet", oder so, "der ist schändlich." Heute ist nichts mehr schändlich. Sie haben dann aber, was mich erstaunt hat, einen Film von 1959, wo jemand die Geburt seines Kindes eins zu eins aufgenommen hat – 1959!
Lückert: Das war ein Tabu.
Vielhaber: Ja, das ist ziemlich früh. Sie sehen in dieser Ausstellung, dass mit Sicherheit die Schwulenszene dieses Medium genommen hat, um sich zu befreien, weniger die Feministinnen. Die machen sich eher lustig und tauchen dann als Hausfrauen auf und sagen, also das ist nicht unsere Rolle. Bei den Homosexuellen wiederholt sich das eigentlich, dass sie in ihrem eigenen Kreis Polaroids machen, dass sie Fotos machen, dass sie sich gegenseitig filmen und das dann öffentlich machen.
Lückert: Sie haben ja über die Errungenschaften des Internets schon gesprochen, und es gibt da eben viel Kunst, die aus den Offenbarungen, wenn man so will, anderer dann entsteht. Und manche Künstler mögen ja auch die Haltung haben, letztendlich sei weniger Privatsphäre irgendwie besser, liberaler, freizügiger oder so. Gibt es solche Positionen auch?
Vielhaber: Nein. Ich muss sagen, dass Martina Weinhart, die diese Ausstellung kuratiert hat, sehr mutig war, dass sie gewagt hat, viele Dinge in diese Ausstellung zu nehmen, die wir gemeinhin nicht als Kunst bezeichnen. Wenn zum Beispiel jemand seine Mutter fotografiert, wie sie mit jungen Liebhabern heftig zur Sache im Bett dran ist, wie es dann aber am Schluss in diesem Raum auch einen kleinen Film gibt, wo er seine Mutter filmt, und dann kommt die Mutter heulend und dann ist das plötzlich eine umgekehrte Pietà: sie fällt ihm in den Arm und weint letztlich um ihr Leben.
Oder wie der englische Künstler Billingham seine Eltern, sein Vater ein abgemagerter Alkoholiker und seine Mutter eine fette, aufgedunsene, volltätowierte, abgedriftete Frau, die dann mit ihren Wurstfingern in dem Puzzle-Kasten offenbar nach dem Stück mit der weißen Wolke sucht, diese Peinlichkeit, diese Schrecklichkeit, dass das vielleicht auch nur möglich ist im allerprivatesten Kreis.
Lückert: Aber Tracey Emin – wenn Sie schon von Bett reden, zerwühltes Bett – war nicht da?
Vielhaber: Die war da und mit Tampon und mit allem, und sie wollte das auch selber aufbauen. Ich war kurz vor dem Aufbau da. Ob ich das nun sehen muss? Aber es ist eben auch ein Stück Privatheit, was längst zur Kunst geworden ist und was längst auch verkauft ist an Sammler.
Lückert: Das war Christiane Vielhaber mit vielen intimen Details zu einer Ausstellung über das Private in der Frankfurter Schirn Kunsthalle.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Informationen der Schirn Kunsthalle Frankfurt a.M. zur Ausstellung "Privat"