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Das fehlende Glied in der Kette?

Archäologie. - Ein Missing Link ist ein fehlendes Glied in der Kette der Evolution, das zwei bekannte Spezies miteinander verbindet. Ein solches fehlendes Glied glauben Forscher in Spanien gefunden zu haben. Einen gemeinsamen Vorfahren aller Menschenaffen und des Menschen. Entdeckt wurde ein außerordentlich gut erhaltendes Skelett.

Von Gabor Paal | 22.11.2004
    Im Landesinnern von Katalonien wurde der Affe gefunden, in einem kleinen Dorf südlich des Bergs Monserrats. Meike Köhler und ihre Kollegen vom Paläontologischen Institut in Barcelona entdeckten das Fossil bei Aushubarbeiten für eine Mülldeponie.

    Weil hier in den Erdschichten ein unheimlicher Fossilreichtum vorhanden ist, müssen wir als Paläontologen immer auf der Hut sein und jeder Sorte von Arbeiten folgen, zum beispiel Straßenbau oder Mülldeponien wie in diesem Fall, da immer etwas herauskommen kann.

    Pierolapithicus catalaunicus – so haben die Forscher aus Barcelona ihn getauft, aber sie nennen ihn auch einfach nur Pau. Denn das Skelett wurde während des Irakkriegs entdeckt und Pau bedeutet auf katalan Frieden. Als Pau lebte, war das heutige Spanien von tropischen Wälder bewachsen. Pau ist 13 Millionen Jahre alt, lebte also ziemlich genau zu der Zeit als sich die Orang-Utans gerade von der Linie der anderen großen Menschenaffen abspalteten. Auch in seinem Körperbau hat Pau nahezu alles, was einen großen Menschenaffen ausmacht.

    Die großen Menschenaffen unterscheiden sich von allen anderen Primaten dadurch, dass sie einen orthograden Körperbau hatten. Orthograd bedeutet, dass diese Formen sich aufrichten konnten, es bedeutet nicht, dass es Zweibeiner waren, aber dass sie vertikal sich aufrichten konnten und in den Bäumen sich vertikal bewegen konnten.

    Diese Fähigkeit sich aufzurichten, spiegelt sich auch im Skelett. Bei den evolutionär älteren Affen liegt das Gewicht auf den Vorderbeinen. In der Evolution der Menschenaffen verlagerte es sich nach hinten. Außerdem verschob sich die Wirbelsäule etwas weiter in den Brustkorb. Der Brustkorb selbst ist nicht mehr seitlich zusammengepresst wie der eines Hundes, sondern hat sich erweitert – die Rippen sind deshalb sehr weit geschwungen. All diese Merkmale finden sich bei Pau.

    Wir haben Wirbel, die ganz deutlich zeigen, dass er eine aufrechte Körperhaltung hatte. Wir haben vollständige Rippen, einige, und wir haben, was sehr selten ist und was man noch gar nicht kennt aus diesem Alter, das Handgelenk.

    Sämtliche Handgelenksknochen sind vorhanden, und die zeigen, dass das Handgelenk keinen knöchernen Kontakt mehr hatte mit dem Unterarm, mit der Elle. Dies macht die Hand viel beweglicher – was gerade für die großen Affen wichtig ist.

    Wenn sie vertikal Bäume hinaufsteigen, muss eine Rechts-Links- oder Vor-Zurück-bewegung der Hand, die sich an dem Baumstamm festhält, möglich sein, und auch eine große Freiheit in der Drehung des Handgelenk, um diesen schweren Körper in den Bäumen bewegen zu können.

    Pau ist der einzige gut erhaltene Fund aus diesem Stadium in der Evolution des Menschen. Meike Köhler nimmt an, dass Paus Vorfahren aus Afrika nach Europa eingewandert sind, vermutlich aber nicht direkt von Nordafrika nach Spanien, sondern über den Nahen Osten.

    Leider können wir als Paläontologen wenig sagen über den genauen geographischen Ort, wo eine neue Art entstanden ist, sondern wir sehen eigentlich immer nur, wo eine Art ausgestorben ist. Insofern ist das spekulativ, es ist aber so, dass alle Primaten wiederholtermaßen aus Afrika ausgewandert sind, nach Asien und Europa.

    In Bezug auf die aufrechte Körperhaltung sei Pau viel weiter fortgeschritten, als man es bisher vom Ur-Menschenaffen vermutet hat, sagt Köhler. Dafür sind die Finger und Zehen noch unerwartet kurz und primitiv. Das ist auch der eigentliche Schönheitsfehler, an dem die Kritiker ansetzen: Selbst Gibbons haben längere Finger, obwohl sich deren Abstammungslinie früher von der der Menschenaffen trennte. Entweder also haben die Gibbons ebenso wie wir die langen Finger erst später in der Evolution entwickelt, oder aber Pau ist doch nicht unser direkter Vorfahr. Doch für Meike Köhler ist das zweitrangig: Ob direkter Vorfahr oder nur ein naher Verwandter dieses Vorfahren – seriöse Paläontologen haben es sich schon lange aufgehört, sich bei solchen Fragen festzulegen. Entscheidend für sie ist, dass Pau ein Bild vom ursprünglichen Menschenaffen liefert, das sehr viel genauer ist als die bisherigen Rekonstruktionen.

    Was wir kennen, das sind die lebenden Menschenaffen. Und wir haben den Orang-Utan, den Schimpansen, den Gorilla und wir haben uns selbst. Aber wenn wir da versuchen, eine Mischung draus herzustellen, das ist praktisch unmöglich, denn jede dieser Formen, einschließlich wir selbst haben uns weiterentwickelt und sind schon so anders geworden, dass man einfach diese Formen nicht zusammenlegen kann, um den frühen Menschenaffen künstlich sozusagen wiederherzustellen.