Hans-Jürgen Heinrichs, Jahrgang 45, veröffentlichte bisher ethnologische, psychoanalytische und kulturanalytische Arbeiten. Sein Buch, zwischen 1990 und 1996 geschrieben, schlendert herum zwischen Aufzeichnung, Erzählung, Lyrik, Essay und, ein bißchen respektlos gesagt, Zitatensammlung. Es geht um Abfahren und Ankommen, um Gefahren, Sehnsüchte, um die imaginären und realen Atlanten, um das Fremde und das Eigene, kurz, um das Wesen des Reisens. Bedenkt man es recht, ist ja nun das ganze Leben eine einzige Reise - deshalb möge der Leser darauf gefaßt sein, daß auch die großen Sinnfragen wie "wer bin ich" gelegentlich im Text auftauchen. Eine umfassende Kulturgeschichte des Reisens zu schreiben, wäre wohl so etwas wie Gipfelstürmerei. Heinrichs verführt wie einer, der an einem See steht und Steine ins Wasser wirft: Kreise bilden sich, schneiden einander, verlaufen. Was Reisen heißt? Der Autor schreibt: "wohin man auch geht, man bleibt im eigenen UNIVERSUM. Manchmal hat das >Universum
< mehr Ähnlichkeit mit einem Schuhkarton".
Während der Lektüre hat man allerdings nicht das Gefühl, sich in einer engen, dusteren Schachtel zu befinden. Im Gegenteil, schon nach wenigen Seiten gibt es den Eindruck, weit herumgekommen zu sein, eine Menge Stoff in sich aufgenommen zu haben. Das hat sicherlich auch damit zu tun, daß Vieles unverbunden nebeneinander steht und daß man die Verbindungslinien selbst ziehen muß. Offensiv heißt es, jeder Text sei Zitat und Collage, schöpfe aus dem kollektiven Gedächtnis - wie auch der Reisende beim Erzählen in einem vielstimmigen Gespräch verschwinde. Schon bei der Odyssee lasse sich fragen, ob sie einen oder mehrere Autoren hat. Die Reise des Odysseus als Irrfahrt, als Abenteuer eines Helden - aber es gibt auch die Reisen der Pilger, der Händler, der Eroberer, der Flüchtlinge. Unterwegs sein, um zu besichtigen, sich zu erholen, sei eine relativ junge und sehr westliche Erlebnisform. Oft fängt es schon früh an: Hänschen klein, ging allein in die weite Welt hinein.
Hans-Jürgen Heinrichs dagegen, der nicht ins stürmische Feuerland aufbricht, kann sich in selbstgefälliger Ironie einen Pantoffel- oder Korbstuhlreisenden nennen. Aber die imaginären Reisen haben auch ihren Reiz. Und die Schilderungen von großen Gefahren unterwegs dienen auch dazu, die Sicherheit des Hafens, die Behaglichkeit des heimischen Herds vor Augen zu führen. Zahllos sind die Bedrohungen der Fremde, über die man - nachher - lacht. So der schweizerische Freund des Autors, dem in der Sahara von einheimischen Grenzern der Paß abgenommen wurde, der also festsaß und sich verloren glaubte. Bis ihm aus einem Buch eine Ansichtskarte der heimatlichen schneebedeckten Berge in die Hände fiel. Wenn der Paß nicht alsbald ausgehändigt werde, warnte er, so würden alle Bewohner dieser Berge losziehen und ihn suchen; sie trügen Lederhosen und scharfe Messer; sie würden die Schuldigen fangen und auf ihre eisigen Berge schleppen, wo sie erfrieren müßten. Die Drohung half.
Das Klischee des gewitzten Weißen unter tölpelhaften Wilden stimmt aber, zeigt Heinrichs, nicht pauschal mit der Haltung und Mentalität aller Reisenden überein. Einmal sind sie selbst oft die Dummen. Und dann gibt es auch diejenigen, die unterwegs sensibilisiert werden und ein Gespür für das Unbekannte entwickeln. Der Ethnologe Levi-Strauss oder der Schriftsteller Hubert Fichte beispielsweise nahmen das Elend der von den westlichen Entdeckern zerstörten Kulturen schmerzhaft wahr. Sie selbst, unlösbar verstrickt als Boten der "Zivilisation", wollten die Schönheit und Eigenart des Fremden verstehen und wurden zu Chronisten von deren Untergang. Auch wenn Hans-Jürgen Heinrichs nicht nach Feuerland gekommen ist, zeigt sein Buch, daß eine Reise unternommen wurde - eine durch Lektüren. Unter anderem finden sich Hinweise auf Yoko Tawada, Paul Virilio, Josef Conrad, Nazim Hikmet, Egon Erwin Kisch, Hermann Melville, Natalia Ginzburg, George Orwell, Ernst Bloch, Sigmund Freud, Fernando Pessoa. Heinrichs schreibt, "im Grunde sind äußere Reisen nicht von ganz anderer Art als innere, imaginäre Reisen... Alles, was einer woanders erlebt, kann er, im Prinzip, auch zu Hause erleben; oder anders gesagt: Er wird in der Fremde nur das erfahren, was in ihm (für das Erlebnis) bereit ist."
Wenn man diesen Gedankengang auf das "'Feuerland-Projekt" bezieht, könnte man sagen, es handelt sich um ein Buch über das Lesen. Im Aneinanderfügen und Fortschreiben von Vorgefundenem entsteht etwas Eigenes, ein meditativ wirkender Text, der strenggenommen keinen Anfang und kein Ende hat. Dieser Gestus zieht einen in Bann, und dafür nimmt man gelegentliche Selbstverliebtheiten und Mythisierungen des Schreibenden hin. Die Gedichte, die im Feuerland-Buch enthalten sind, scheinen allerdings zweifelhaft. Mit viel Wohlwollen könnte man sagen, sie wollen, wie das japanische Haiku, reine, unmittelbare Zeigebewegung sein, frei von der Vermittlung durch Sinn und Bedeutung. Die Zeilensprünge erscheinen jedoch wie mit der Axt geschlagen und verärgern:
”... Das Licht Zeichnet die Umrisse der Dinge Noch einmal nach Damit jeder Auch der Einäugige Sehe.”
So etwas wirkt bedeutungsgeladen, übertrieben, grob gekünstelt. Davon abgesehen ist das ”Feuerland-Projekt” ein Buch, in dem man immer wieder lesen kann, wie in einem Atlas; man horcht in einem Echoraum, und folgt dabei den Wegen der eigenen imaginären Geografie.
Während der Lektüre hat man allerdings nicht das Gefühl, sich in einer engen, dusteren Schachtel zu befinden. Im Gegenteil, schon nach wenigen Seiten gibt es den Eindruck, weit herumgekommen zu sein, eine Menge Stoff in sich aufgenommen zu haben. Das hat sicherlich auch damit zu tun, daß Vieles unverbunden nebeneinander steht und daß man die Verbindungslinien selbst ziehen muß. Offensiv heißt es, jeder Text sei Zitat und Collage, schöpfe aus dem kollektiven Gedächtnis - wie auch der Reisende beim Erzählen in einem vielstimmigen Gespräch verschwinde. Schon bei der Odyssee lasse sich fragen, ob sie einen oder mehrere Autoren hat. Die Reise des Odysseus als Irrfahrt, als Abenteuer eines Helden - aber es gibt auch die Reisen der Pilger, der Händler, der Eroberer, der Flüchtlinge. Unterwegs sein, um zu besichtigen, sich zu erholen, sei eine relativ junge und sehr westliche Erlebnisform. Oft fängt es schon früh an: Hänschen klein, ging allein in die weite Welt hinein.
Hans-Jürgen Heinrichs dagegen, der nicht ins stürmische Feuerland aufbricht, kann sich in selbstgefälliger Ironie einen Pantoffel- oder Korbstuhlreisenden nennen. Aber die imaginären Reisen haben auch ihren Reiz. Und die Schilderungen von großen Gefahren unterwegs dienen auch dazu, die Sicherheit des Hafens, die Behaglichkeit des heimischen Herds vor Augen zu führen. Zahllos sind die Bedrohungen der Fremde, über die man - nachher - lacht. So der schweizerische Freund des Autors, dem in der Sahara von einheimischen Grenzern der Paß abgenommen wurde, der also festsaß und sich verloren glaubte. Bis ihm aus einem Buch eine Ansichtskarte der heimatlichen schneebedeckten Berge in die Hände fiel. Wenn der Paß nicht alsbald ausgehändigt werde, warnte er, so würden alle Bewohner dieser Berge losziehen und ihn suchen; sie trügen Lederhosen und scharfe Messer; sie würden die Schuldigen fangen und auf ihre eisigen Berge schleppen, wo sie erfrieren müßten. Die Drohung half.
Das Klischee des gewitzten Weißen unter tölpelhaften Wilden stimmt aber, zeigt Heinrichs, nicht pauschal mit der Haltung und Mentalität aller Reisenden überein. Einmal sind sie selbst oft die Dummen. Und dann gibt es auch diejenigen, die unterwegs sensibilisiert werden und ein Gespür für das Unbekannte entwickeln. Der Ethnologe Levi-Strauss oder der Schriftsteller Hubert Fichte beispielsweise nahmen das Elend der von den westlichen Entdeckern zerstörten Kulturen schmerzhaft wahr. Sie selbst, unlösbar verstrickt als Boten der "Zivilisation", wollten die Schönheit und Eigenart des Fremden verstehen und wurden zu Chronisten von deren Untergang. Auch wenn Hans-Jürgen Heinrichs nicht nach Feuerland gekommen ist, zeigt sein Buch, daß eine Reise unternommen wurde - eine durch Lektüren. Unter anderem finden sich Hinweise auf Yoko Tawada, Paul Virilio, Josef Conrad, Nazim Hikmet, Egon Erwin Kisch, Hermann Melville, Natalia Ginzburg, George Orwell, Ernst Bloch, Sigmund Freud, Fernando Pessoa. Heinrichs schreibt, "im Grunde sind äußere Reisen nicht von ganz anderer Art als innere, imaginäre Reisen... Alles, was einer woanders erlebt, kann er, im Prinzip, auch zu Hause erleben; oder anders gesagt: Er wird in der Fremde nur das erfahren, was in ihm (für das Erlebnis) bereit ist."
Wenn man diesen Gedankengang auf das "'Feuerland-Projekt" bezieht, könnte man sagen, es handelt sich um ein Buch über das Lesen. Im Aneinanderfügen und Fortschreiben von Vorgefundenem entsteht etwas Eigenes, ein meditativ wirkender Text, der strenggenommen keinen Anfang und kein Ende hat. Dieser Gestus zieht einen in Bann, und dafür nimmt man gelegentliche Selbstverliebtheiten und Mythisierungen des Schreibenden hin. Die Gedichte, die im Feuerland-Buch enthalten sind, scheinen allerdings zweifelhaft. Mit viel Wohlwollen könnte man sagen, sie wollen, wie das japanische Haiku, reine, unmittelbare Zeigebewegung sein, frei von der Vermittlung durch Sinn und Bedeutung. Die Zeilensprünge erscheinen jedoch wie mit der Axt geschlagen und verärgern:
”... Das Licht Zeichnet die Umrisse der Dinge Noch einmal nach Damit jeder Auch der Einäugige Sehe.”
So etwas wirkt bedeutungsgeladen, übertrieben, grob gekünstelt. Davon abgesehen ist das ”Feuerland-Projekt” ein Buch, in dem man immer wieder lesen kann, wie in einem Atlas; man horcht in einem Echoraum, und folgt dabei den Wegen der eigenen imaginären Geografie.