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"Das Ganze ist eine traurige Geschichte"

Die grüne Europapolitikerin Franziska Brantner kritisiert die lange Debatte um die Sechs-Milliarden-Euro-Hilfe gegen Jugendarbeitslosigkeit. "Vor allen Dingen, wenn man weiß, wie viele Hunderte Milliarden wir in die Hand genommen haben, um die Banken zu retten."

Franziska Brantner im Gespräch mit Peter Kapern | 28.06.2013
    Christoph Heinemann: Mit Milliarden-Mitteln und günstigen Krediten für kleine und mittlere Unternehmen wollen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel wurde unter anderem vereinbart, die im EU-Haushalt für die Jahre 2014 bis 2020 zu diesem Zweck vorgesehenen sechs Milliarden Euro bereits in den kommenden zwei Jahren auszugeben. Und garniert mit den üblichen britischen Bremsspuren haben sich die Regierenden auch auf den Haushalt der EU geeinigt.
    Wegen der Briten, wie gehört, war es einmal mehr schwierig, diese Kuh vom Eis zu bekommen.

    - Darüber hat mein Kollege Peter Kapern mit Franziska Brantner gesprochen, Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament, und sie nach ihrer Einschätzung des britischen Bremsmanövers gefragt.

    Franziska Brantner: Das Ganze ist eine traurige Geschichte. Wir hatten uns schon über die Einigung geärgert, weil de facto wirklich dieser Gesamthaushalt, eigentlich diese Einigung eine Farce ist. Es geht ja nicht mal mehr um den Inhalt. Wir diskutieren nicht, wie viel Geld geht für Innovation, wie viel geht für Bildung, wie viel geht für die jungen Menschen, sondern wir reden überhaupt nur noch darüber, wie flexibel man vielleicht noch mal Gelder verschieben kann über die sieben Jahre. Und dass jetzt gerade die Briten, die sich immer darüber beschweren, dass die EU zu schwerfällig sei, zu behäbig, sich jetzt gegen die Flexibilität auflehnen, das ist schon wirklich irgendwie nur noch Absurdistan.

    Peter Kapern: Aber muss man nicht auch Verständnis für die britische Regierung haben, die ja auch, wie man hört aus Brüssel, an dem traditionellen Briten-Rabatt festhält?

    Brantner: Über diese Fragen, über die Höhe des Haushaltes wurde ja schon längst diskutiert. Da haben die Briten ja schon längst zugestimmt. Darum geht es ja jetzt gar nicht mehr. Es wird um keinen Euro mehr oder weniger diskutiert, sondern darüber, wie flexibel das ist, ob man auch Gelder noch mal von einem Jahr ins nächste übertragen kann. Und das war eigentlich immer Forderung der Briten, dass man das Ganze etwas flexibler gestaltet und nicht, wenn man einen Sieben-Jahres-Plan hat – die kommunistischen Regierungen hatten Fünf-Jahres-Pläne, die EU Sieben-Jahres-Pläne -, und was wir als Parlament überhaupt nur noch fordern, ist, dass man da etwas Flexibilität reinbringt. Über die Zahlen wird schon eigentlich längst nicht mehr wirklich verhandelt.

    Kapern: Vollständig in den Hintergrund geraten ist dann wieder mal das Thema Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union. Da soll es ja ein Hilfspaket von sechs Milliarden Euro geben. Und wenn man ein wenig zurückdenkt, sich erinnert an den EU-Gipfel vor einem halben Jahr, wird man feststellen, auch da sind schon mal diese sechs Milliarden beschlossen worden, ohne dass bisher ein einziger Euro abgeflossen wäre. Was ist eigentlich so schwierig daran, sechs Milliarden zu Gunsten arbeitsloser Jugendlicher unters Volk zu bringen?

    Brantner: Vor allen Dingen, wenn man weiß, wie viele Hunderte Milliarden wir in die Hand genommen haben, um die Banken zu retten. Es ist wirklich traurig, zu sehen, dass wir Monate darüber verhandeln, wie viel Geld an junge Menschen geht, an unsere nächste Generation. Und von diesen sechs Milliarden, die schon vor einem halben Jahr eigentlich beschlossen wurden, ist auch nur die Hälfte neues Geld. Das andere kommt aus dem Europäischen Sozialfonds, der eigentlich eh schon für Projekte in diesem Bereich vorgesehen war. Und jetzt hängt es davon ab, dass man eine generelle Einigung für diesen Haushalt bekommt. Und die sechs Milliarden sollen ja jetzt nach vorne gezogen werden, in zwei Jahren ausgegeben werden. Und dann ist natürlich die Frage, was bleibt dann für die nächsten fünf Jahre. Das sind alles große Fragezeichen, auf die man auch im letzten halben Jahr leider eben keine Antwort bekommen hat.

    Kapern: Kann das gelingen, dieser doch sehr schwerfälligen EU, sechs Milliarden binnen zwei Jahren sinnvoll auszugeben?

    Brantner: Ich glaube schon. Es gibt wirklich Not in vielen unserer Mitgliedsstaaten, wo teilweise über 50 Prozent der jungen Menschen ohne eine Ausbildung, ohne eine Weiterbildung, ohne einen Job sind und die wirklich angewiesen sind, dass auch von europäischer Ebene Hilfe kommt. Um diesen Menschen zum Beispiel eine Weiterbildung zu finanzieren, eine Fortbildung, oder eine begleitende Maßnahme. Spanien, Griechenland, aber auch Irland haben einfach nicht die Gelder, um das gerade selber zu zahlen. Sie müssen ja ihre Schulden zurückfahren, kürzen schon radikal. Sie könnten bestimmt an anderen Stellen noch mehr kürzen, aber auf jeden Fall haben sie gerade nicht die Gelder, in ihre jungen Menschen zu investieren, ohne neue Schulden zu machen. Und da sind sie auf unsere Hilfe angewiesen. Ich glaube, man kann sehr viele sinnvolle Projekte fahren. Die Anträge, glaube ich, wären da. Und das ist eigentlich, wenn man es vergleicht mit den Hunderten von Milliarden für die Banken, ein relativ geringer Betrag.

    Kapern: Nun sollen also diese sechs Milliarden binnen zwei Jahren ausgegeben werden. Was kommt danach? Oder ist das Problem dann schon gelöst?

    Brantner: Nein. Ich glaube nicht, dass das Problem in zwei Jahren gelöst sein wird. Und die Frage, was danach kommt, die kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Die können aber die Regierungschefs auch nicht beantworten. Momentan sieht es so aus, dass dann natürlich aus anderen Geldtöpfen gekürzt wird. Ein Vorschlag ist zum Beispiel, aus dem sogenannten Connecting Europe Topf zu kürzen. Der sieht Gelder vor für Ausbau von europäischen Energienetzen, europäischen Verkehrswegen. Das fände ich zum Beispiel der falsche Weg, um wieder an Gelder zu kommen, dort zu sparen, wo wir wissen, dass auch Wachstum gefördert wird, nachhaltiges Wachstum in Europa. Aber die Frage, wo das Geld dann herkommen soll, ist offen. Und alle sind sich eigentlich sicher, dass die zwei Jahre nicht reichen, um dieses massive Problem auch wirklich angehen zu können.

    Kapern: Nun kann man davon ausgehen, dass die Rufe nach mehr Geld zur Ankurbelung der Wirtschaft nicht verstummen werden. Aber muss man denn nicht gleichzeitig auch Verständnis aufbringen für Regierungschefs wie Angela Merkel oder den Niederländer Mark Rutte, wenn sie sagen, Geld alleine hilft nicht, die Krisenländer müssen auch endlich die beschlossenen Reformen umsetzen?

    Brantner: Absolut. Und daran sind ja auch die Krisenländer beteiligt. Das ist ein Prozess. Manche gehen schneller, manche langsamer voran, absolut! Und vielleicht erinnern Sie sich daran, dass eigentlich dieser Gipfel mal vorgesehen war, um eine politische Union an die Währungsunion zu ergänzen, um endlich die Geburtsfehler zu beheben, dass wir nämlich eine gemeinsame Währung haben, aber keine gemeinsame Kontrolle zum Beispiel von Wirtschaftspolitik, von auch Steuerpolitik. Und das wäre eigentlich der Teil, wo eben auch die Reformen wirklich dann handhabbar gemacht werden können. Aber das wurde verschleppt, auch von Frau Merkel mit verhindert, dass dies auf diesem Gipfel diskutiert wird. Deswegen ist es etwas, sage ich mal, scheinheilig, das zu fordern und das gleichzeitig als Debatte zu verhindern.

    Heinemann: Franziska Brantner, Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament. Die Fragen stellte mein Kollege Peter Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.