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Das Geheimnis der Gen-Bremse

Biologie. – Mikro-RNA ist, wie der Name schon andeutet, winzig klein. Doch die Rolle dieser winzigen Schnipsel aus einem mit dem Erbmaterial DANN verwandten Molekül im Räderwerk der Zelle ist riesengroß. Wie die Mikro-RNA funktioniert, war zunächst ein Rätsel. Mit einer Veröffentlichung in der Wissenschaftszeitschrift "Nature" bringen Heidelberger Molekularbiologen nun Licht ins Dunkel.

Von Michael Lange |
    Rolf Thermann vom Europäischen Molekularbiologie-Labor in Heidelberg arbeitet nicht nur mit Erbmolekülen, mit DNA, sondern auch mit RNA. Das steht für Ribonukleinsäure. Was beim Arbeiten mit RNA zu beachten ist, verrät ein Blick auf seine Laborbank. Thermann:

    "Sie ist sauber. Sie ist nicht schmutzig. Das heißt man sieht auch zu, dass man sie sauber hält."

    Und Handschuhe sind Pflicht beim Arbeiten mit RNA. Denn die Moleküle sind viel empfindlicher als DNA. Überall lauern RNA-spaltende Enzyme. Thermann:

    "Die heißen RNAsen, und die haben wir auf der Haut. Die befinden sich im Grunde überall. Im Prinzip ist alles kontaminiert mit RNAsen und voll damit."

    Rolf Thermann hat eine besondere Form von RNA erforscht: Die Mikro-RNA. Das sind kleine RNA-Schnipsel. Sie bremsen die Aktivität von Erbanlagen, indem sie Abschriften aus dem Erbgut blockieren. Zitat:

    "Im Kern jeder Zelle werden Gene abgeschrieben. Dabei werden Erbmoleküle, die DNA, in RNA übersetzt: sogenannte messenger RNA. Sie trägt die Information zu den Proteinfabriken: den Ribosomen. Nach den Bauplänen der messenger-RNA produzieren Ribosomen alle Proteine einer Zelle."

    Die Mikro-RNA kann diesen Informationsfluss der Biologie unterbrechen. Wie sie das macht, hat Rolf Thermann erforscht. Dazu musste er zunächst natürliche Vorgänge aus Fliegenzellen in einem Tropfen Flüssigkeit nachahmen. Thermann:

    "Wir nehmen Zellen, in diesem Fall Drosophila-Embryos, die vorher ganz normal gewachsen sind. Daraus stellen wir eine Zell-Suppe her, und in dieser Zellsuppe führen wir dann unsere Experimente aus."

    Rolf Thermann untersuchte, wie die Mikro-RNA die messenger RNA stoppt. Das schafft das kleine Molekül nicht allein. Es hat große Helfer. Thermann:

    "Was wir eben auch gezeigt haben: Dass eine Mikro-RNA, wenn sie bindet, schwere Proteinkomplexe oder viele Proteine mit sich bringt. Dafür gibt es andere experimentelle Methoden, um das zu zeigen."

    Zitat:

    "Die winzige Mikro-RNA erkennt eine bestimmte Stelle in der messenger-RNA. Nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip verbinden sich die Mikro-RNA und die messenger-RNA. An dieser Stelle lagert sich dann ein großer Proteinkomplex an. Der Bauplan der messenger RNA ist damit blockiert."

    Das Erbmolekül wird zwar noch abgelesen, aber die Abschriften können nicht mehr in Proteine übersetzt werden. Der blockierende Helfer-Komplex verhindert das. Er ähnelt einer Proteinfabrik, einem Ribosom. Aber er ist inaktiv. Das Gen wird zwar noch abgelesen, aber die Baupläne nicht mehr in die Praxis umgesetzt. Im Grunde ist die Mikro-RNA also keine Gen-Bremse, sondern eine Kupplung. Denn der Gen-Motor läuft weiter. Nun können die Forscher das Getriebe genauer untersuchen. Wie, das erklärt Matthias Hentze, der Leiter der Arbeitsgruppe:

    "Wir werden jetzt im folgenden aus dieser Suppe die Wurst herausfischen, und die Wurst auseinander nehmen, um zu sehen: Was ist denn jetzt dieser Helferkomplex, der es der Mikro-RNA erlaubt, die messenger RNA zu blockieren."

    Die Ergebnisse aus Heidelberg haben gezeigt: Das Getriebe der biologischen Zellen ist komplizierter als anfangs gedacht. Und die Lösung des Rätsels steht nicht allein in den Genen geschrieben, sondern in den großen Proteinen. Anders ausgedrückt: Jetzt geht es um die Wurst.