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Das Geheimnis des Schlangen-Urahns

Alle Schlangenarten gehen auf einen gemeinsamen Urahnen zurück. Dieser lebte vermutlich vor rund 100 Millionen Jahren und hatte noch vier Beine. Französischen Forschern ist es nun gelungen, das Aussehen dieses Tieres besser zu rekonstruieren.

Von Michael Stang |
    Vor zehn Jahren entdeckten Paläontologen im Libanon ein nahezu vollständiges Fossil einer frühen Schlange aus der Kreidezeit. Die 95 Millionen Jahre alte Versteinerung von Eupodophis descouensi ist 50 Zentimeter lang und trägt am Hüftkorb ein zwei Zentimeter langes Bein, sagt Alexandra Houssaye.

    "Von diesen frühen Schlangen kennen wir überhaupt nur drei Exemplare, bei denen noch Reste von Beinknochen erhalten sind. Bei unserer Schlange sind die Beine schon stark verkümmert. Sie stammt aus einer Zeit, in der die Schlangen im Laufe der Evolution ihre Beine allmählich reduzierten: aus vierbeinigen Tieren wurden welche mit zwei Beinen, bevor sie irgendwann alle Extremitäten verloren haben."

    Bei der Analyse des Schlangenfossils sah die Forscherin vom Naturhistorischen Museum in Paris, dass nur ein Bein an der Oberfläche sichtbar war. Bei diesem war jedoch nicht klar, ob sich alle Knochen erhalten haben oder im Zuge der Versteinerung vielleicht Teile abgebrochen waren. Um das zu klären, musste sie das zweite Bein finden, das vermutlich in der Steinplatte versteckt war.

    "Wir wollten in das Innere des Fossils schauen und die Anatomie des zweitens Beins verstehen, das vom Stein eingeschlossen war. Eine Präparation kam nicht in Frage, da diese das Fossil zerstört hätte. Wir haben uns also nach einer zerstörungsfreien Methode umgeschaut und sind dabei auf eine neue dreidimensionale Bildgebungstechnik gestoßen."

    Bei der Suche nach einer geeigneten Methode arbeitete Alexandra Houssaye zusammen mit Forschern der Europäischen Synchrotron-Strahlen-Anlage (ESRF) im französischen Grenoble und des Karlsruher Instituts für Technologie. Das Team entschied sich für die sogenannte Synchrotron-Laminographie, da normale Röntgenmethoden oder vergleichbare Verfahren für dieses Projekt nicht exakt genug waren. Diese Methode wurde speziell für die Untersuchung flacher Objekte entwickelt und ermöglicht eine Auflösung im Mikrometerbereich. Die Schlange wurde im schrägen Winkel zu einem Röntgenstrahl rotiert und Tausende zweidimensionaler Aufnahmen gemacht. Aus den Einzelbildern, aus denen dann die versteinerten Knochen aus dem umgebenden Gestein herausgerechnet wurden, konnte ein dreidimensionales Modell errechnet werden.

    "Da wir nun das zweite Bein, welches vollständig erhalten ist, exakt analysieren konnten, haben wir erstmals einen Einblick in die Evolution der Schlangenbeine und wie es zu ihrem Rückgang kam. Jetzt wissen wir, dass das im Stein verborgene Bein am Knie gebogen war und vier Knöchelknochen besaß. Fuß- oder Zehenknochen waren aber nicht mehr vorhanden."

    Auf der 3D-Rekonstruktion sieht man auch deutlich den Oberschenkelknochen, das Schien- und Wadenbein. Damit nimmt diese Schlange eine Schlüsselstellung in der Evolution ein: sie besitzt noch einige Gliedmaβen der Eidechsen, aus denen die Schlangen hervorgegangen sind – aber nicht mehr alle. Dieser Entwicklungsschritt war auch nach detaillierten Analysen der beiden anderen bebeinten Urschlangen nicht möglich. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die Beine allmählich reduziert wurden, indem sie weniger schnell oder nur für kurze Zeit wuchsen. Leider sei noch immer nicht klar, ob sich die Schlangen aus landlebenden oder ans Wasser angepassten Eidechsen entwickelt haben, so Alexandra Houssaye.

    Momentan können sie sich noch nicht für eine der beiden Hypothesen entscheiden. Da die Beine der Urschlange aber mehr Ähnlichkeiten mit den Extremitäten heute lebender Landeidechsen haben als mit aquatischen Vertretern ist es wahrscheinlicher, dass der Ursprung der Schlangen nicht im Wasser, sondern an Land festzumachen ist.

    Links zum Thema:

    3-D Rekonstruktion des bislang verborgenen zweiten Beines der Eupodophis aus Synchrotron Röntgenbildern

    Eupodophis descouensi, versteinerte Schlange aus der Kreidezeit (95 Millionen Jahre alt)

    Detail des Eupodophis descouensi Fossils(Finger zeigt auf die Stelle des Hüftkorbs der ausgestorbenen Schlange, an der das offen liegende Bein befestigt ist)