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Das Geheimnis des schnellen Schwimmens

Sport.- Wer bei Schwimmwettbewerben gewinnen will, muss sich besonders effizient im Wasser fortbewegen können. Auf der Suche nach den optimalen Bewegungsabläufen, haben US-Forscher typische Armzüge von Kraulschwimmern im Computer simuliert.

Von Lucian Haas |
    Ein Schwimmer beim Training. Mit gleichmäßigen Zügen krault er durch das Becken. Er kommt flott voran – doch vielleicht könnte es noch schneller gehen. Seit Jahrzehnten gibt es unter Schwimmern und Schwimmtrainern rege Diskussionen über die ideale Armbewegung unter Wasser. Es geht um zwei Schwimmstile beim Kraulen: Im ersten Fall, dem tiefen Zug, wird der nahezu gestreckte Arm wie ein Paddel tief durchs Wasser gezogen. Die zweite Variante ist das sogenannte Sculling. Hierbei wird der angewinkelte Arm in einer S-förmigen Schleife unter dem Körper nach hinten bewegt. Die fließende seitliche Bewegung des Unterarms soll dabei wie eine Schiffsschraube für zusätzlichen Vortrieb sorgen. Doch welcher Stil ist effektiver?

    "So etwas mit realen Schwimmern im Pool zu ermitteln, ist gar nicht so einfach. Denn der Armzug ist ja nur eine Komponente des Schwimmens neben anderen Körperbewegungen. Deshalb wurden wir gefragt, das einmal zu untersuchen, ohne den kompletten Schwimmer mit einzubeziehen."

    Rajat Mittal ist Physiker an der Johns-Hopkins-University in Baltimore. Sein Spezialgebiet ist die Simulation von Strömungsprozessen per CFD-Software. CFD steht für Computational Fluid Dynamics. Es geht darum, näherungsweise zu berechnen, welche Strömungen und Kräfte in bewegten Flüssigkeiten herrschen. Im Auftrag des Schwimmverbandes der USA analysierte er verschiedene Kraulbewegungen im Computer.

    "In gewisser Weise haben wir den restlichen Schwimmer aus dem Wasser genommen und nur noch den Arm betrachtet. Ganz so, als würde man nur zwei Bootspaddel nehmen, um ihre Leistung zu vergleichen."

    Um möglichst realistische Ergebnisse zu erhalten, scannte Rajat Mittal zuvor mit einem 3D-Laserscanner die Arme von zwei Schwimmern der US-Nationalmannschaft. Zudem filmte er unter Wasser deren Armbewegungen beim Schwimmen. Die digitalisierten Bewegungsabläufe bildeten die Basis für die extrem aufwendigen CFD-Simulationen. Nach mehreren tausend Stunden Rechenzeit stand das Ergebnis fest.

    "Wir haben herausgefunden, dass der tiefe Zug effektiver Vortrieb erzeugt. Das heißt: Wenn man den gleichen Arm nimmt und mit diesem Arm einmal einen klassischen tiefen Zug ausführt und den vergleicht mit einem klassischen Sculling-Zug, dann zeigt sich, dass der tiefe Zug etwa 20 Prozent mehr Vortrieb leistet als das Sculling."

    Das Sculling wurde in den 1960er-Jahren populär. James "Doc" Counsilman, ein legendärer Schwimmtrainer der US-Nationalmannschaft, propagierte diesen Stil. Er war überzeugt, dass man im Wasser effizienter vorwärts kommt, wenn man das flüssige Medium nicht einfach nur wie mit einem Paddel nach hinten wegdrückt, sondern auch Sogeffekte nutzt. Diese entstehen, wenn die Flüssigkeit über die seitlich bewegten Arme und Hände strömt wie Luft über einen Flugzeugflügel. James Counsilman glaubte, dass beim tiefen Armzug dieser Sogeffekt fehlt.

    "Allgemein heißt es, dass der tiefe Armzug den größten Teil seines Vortriebs durch den Strömungswiderstand entwickelt. Unsere Berechnungen zeigen aber, dass der Sogeffekt einen maßgeblichen Anteil hat – gerade auch beim tiefen Zug."

    In der Simulation trägt der Sogeffekt sowohl beim tiefen Zug als auch beim Sculling jeweils mehr als 50 Prozent zum Vortrieb bei. Er entsteht vor allem beim Eintauchen des Armes ins Wasser, wenn die Bewegung der Hand noch mehr nach unten als nach hinten gerichtet ist. Die S-förmige Sculling-Bewegung hingegen wurde von James Counsilman offenbar völlig überschätzt.

    "Ein ausgeprägtes Sculling verringert nicht nur den Rückstoß-, sondern sogar den Soganteil des Vortriebs. Das war das überraschendste Ergebnis."

    Auf die Medaillenvergabe bei den olympischen Spielen in London dürften Rajat Mittals Erkenntnisse wohl keinen entscheidenden Einfluss haben: Im modernen Kraulstil wird schon seit geraumer Zeit wieder verstärkt mit tiefen Zügen geschwommen – ergänzt durch ein nur noch angedeutetes Sculling.