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Das Gehirn macht die Musik

Psychologie. - Ob wir eher mit Klavier, Violine oder vielleicht Gitarre unser Publikum begeistern können, ist nach Meinung von Heidelberger Wissenschaftlern nicht allein Sache von Fingerfertigkeit, sondern auch jener Strukturen im Gehirn, die Töne wahrnehmen.

Von Sascha Ott | 03.01.2006
    "Ich bin ursprünglich Kirchenmusiker und hatte im Laufe meines Kirchenmusikstudiums festgestellt, dass es auch erhebliche Unterschiede in der Klangwahrnehmung gibt. Wenn man also ein und denselben Ton vorspielt, dann kann es sein, dass zwei Profi-Musiker diesen Ton um bis zu vier Oktaven verschieden wahrnehmen."

    Mittlerweile arbeitet Dr. Peter Schneider als Physiker in der Neurologischen Klinik der Universität Heidelberg. Was ihn als Musiker verwunderte, untersucht er hier mit speziell ausgewählten Testtönen: Dazu wurden einzelne Obertongruppen aus dem Gesamtklang von Instrumenten herausgegriffen.

    "Die Personen haben Tonpaare gehört. Und die Frage war, ob die Tonhöhen-Richtung sich eher nach oben bewegt oder nach unten bewegt."

    420 Testpersonen, in der Mehrzahl Profi-Musiker, haben sich die Tonpaare angehört. Nach ihrer Einschätzung der Klanghöhen konnte man die Hörer in zwei Gruppen unterteilen: Die einen nahmen eher die hörbaren Obertöne dominant wahr, die anderen eher einen zu diesen Tönen gehörenden Grundton, der selbst gar nicht hörbar war. Diese Neigung zu Grund- oder Obertönen fanden die Heidelberger Forscher auch im Gehirn der Probanden verankert.

    "Wir haben Gehirnstrommessungen durchgeführt beim Hören von diesen Tönen und haben da zunächst mal einen sehr deutlichen Zusammenhang gesehen in dem Sinne, dass bei den Grundtonhörern dieser Hörkortex, der für die Klang- und Tonwahrnehmung zuständig ist, auf der linken Seite sehr viel stärker ausgeprägt war. Und bei Obertonhörern hingegen der Hörkortex auf der rechten Seite sehr viel stärker ausgeprägt war."

    Dieser Unterschied entsteht nicht erst im Laufe eines langen Musikerlebens, sondern findet sich auch bei unmusikalischen Menschen, die kein Instrument spielen. Grundton oder Oberton – der Hörtyp bestimmt das gesamte Klang- und Rhythmusempfinden. Zum Beispiel wählen Berufsmusiker ihr Instrument offenbar entsprechend ihrer Hörneigung aus.

    "Wir haben festgestellt, dass die Grundtonhörer als Hauptinstrument Instrumente wählen, welche kurze, scharfe oder impulsive Töne produzieren: zum Beispiel Schlagzeug, Gitarre, Klavier oder Trompete oder Querflöte. Hingegen bevorzugen Obertonhörer Instrumente, welche eher ausgehaltene Töne produzieren: so zum Beispiel Orgel oder Streichinstrumente vor allem in den tieferen Lagen oder auch Blechblasinstrumente in den tieferen Lagen oder auch Gesang."

    In einer weiteren Studie wollen Peter Schneider und seine Kollegen jetzt untersuchen, wie stark der Hörtyp tatsächlich das Talent, ein bestimmtes Instrument zu spielen, beeinflusst. Wenn ein Mensch, der eher Grundtöne hört, leichter und erfolgreicher Klavier als Cello lernt, dann könnte es ratsam sein, diese Neigung bei der Entscheidung für ein Instrument mit zu berücksichtigen. Der Blick in den Orchestergraben hielt für die Forscher eine weitere Überraschung bereit: Denn die traditionelle Sitzordnung der Musiker entspricht weitgehend der Unterscheidung nach Hörtypen: Links vom Dirigenten sitzen die Grundtonhörer beisammen, wie Schlagwerker, Pianisten und Trompeter, rechts die Obertonhörer, also Cellisten, Kontrabassisten und Chorsänger. Ein Orchester, eine Sinfonie – aber zwei Arten, sie zu hören.