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"Das Gelände" in Nürnberg

Drei Tage lang hat die Stadt Nürnberg unter dem Titel "SchattenOrt" vor kurzem über die profane Nutzung des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes diskutiert. Die Kunsthalle Nürnberg versammelt jetzt in der Ausstellung "Das Gelände" Werke von zwölf Künstlerinnen und Künstlern, die sich aus eigener Initiative mit dem erst monumentalisierten, dann banalisierten Ort auseinander setzen.

Von Gabriele Mayer |
    Das Gelände, mit dem sich 12 Künstler in der Kunsthalle Nürnberg auseinandersetzen, ist ein Ort deutscher Geschichte und eine Touristen-Attraktion, ein Stein des Anstoßes und Gegenstand einer düsteren Faszination, spätestens seit Leni Riefenstahl in ihrem Film "Triumph des Willens" den Reichsparteitag 1934 mit allen Mitteln ihrer Kunst als propagandistisches Massenspektakel hier in Szene setzte. Dieses "Gelände" war die größte Baustelle des Dritten Reichs. Im Südosten Nürnbergs sollte sich der Macht- und Ewigkeitswille des Regimes unmittelbar und für jeden sichtbar architektonisch verkörpern.

    Von Beginn an erwies sich der Führer als ein Ruinenbaumeister. Was nach dem Zusammenbruch seines tausendjährigen Reichs blieb, waren steinerne Relikte des Größenwahns. Wie geht die Öffentlichkeit, wie gehen bildende Künstler damit um?

    Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Reichparteitagsgelände auf unterschiedlichste Weise genutzt. Seit 1973 steht das Areal unter Denkmalschutz. "Trotz allem" aber geht das profane Leben an diesem belasteten Ort weiter: vom Norisring-Autorennen bis zur Nürnberg-Messe, von Volksfesten bis zum Groß-Event "Rock im Park". Selbst eine Fast-Food-Kette ist erwünscht. Die Trivialität des raschen und billigen Konsums stellt den drastischten Bruch mit der einstigen Ästhetik des Erhabenen dar.

    Wie vertreibt man aber die Gespenster der Vergangenheit? Oder soll man sie gar nicht vertreiben, sondern in der Erinnerung gegenwärtig und kritisch bewusst halten? Die Stadt Nürnberg dachte lange über geeignete Strategien des Gedenkens und der "Bewältigung" nach. Kunst und Künstler sollten dabei eine wichtige Rolle spielen. Vielleicht getreu des oft zitierten Satzes von Walter Benjamin, man müsse auf die schändliche Ästhetisierung der Politik mit einer Politisierung der Ästhetik antworten.

    Was derzeit in der Kunsthalle Nürnberg unter dem vieldeutigen Titel "Das Gelände" präsentiert wird, ist nicht alternative Staats- oder Stadtkunst. Es verdankt sich den Initiativen und Interventionen von Künstlern, die überwiegend im Großraum Nürnberg aufgewachsen sind und sich seit langem mit den ins Auge fallenden ruinösen Hinterlassenschaften beschäftigen. Diese sperrige Vielfalt – es handelt sich vor allem um Fotos, Installationen, Plastiken, "Gegen-Bauten" – entspricht dem Selbstverständnis einer pluralistischen Gesellschaft, die der Provokation, des Unbequemen und Mulmigen, als Lebens-Elixier bedarf. Jonathan Meese, der "Kunst-Diktator", lässt in seiner monströsen Bronze-Plastik "Totaladler" das Symbol der Staatsmacht zu einem hässlich wuchernden Zombie mutieren. Der Star-Fotograf Juergen Teller verwandelt in seiner autobiographischen "Nürnberg"-Serie den Schreckensort in eine unheimliche Idylle, deren disparate Einzelteile, vom Bambi im Unterholz über fast schon strukturalistische Naturstudien bis hin zu Familien-Akten sich scheinbar aller Politik verweigern, in summa aber die untergründig-schillernde Präsenz von Posen und Pathos des Dritten Reiches dokumentieren. Auch das ganz und gar Private oder die "unschuldige" Natur stehen im Bann der Geschichte.

    Bei Winfried Baumann, der sein Atelier-"work in progress" zur Ausstellungs-Assemblage versammelt, werden die Historie und ihre Abdrücke in unserem Denken zum aufklärerisch-sperrigen Gerümpel. Artur Zmijewski schneidet in seinem Video "Zeppelinfeld" dokumentarisches Material - Hitler auf der Rednertribüne bei der Abnahme von Arbeitsdienstbrigaden - und performancenahe Spielszenen, die das ehemalige Gesten- und Verhaltensrepertoire reinszenieren, ineinander. Auf der Tonspur kommentiert er das Ganze durch den frontenübergreifenden Kriegsevergreen "Lili Marleen", der auch heutzutage noch gern gehört wird. Mentalitätsgeschichte als Topologie der Verwirrung – oder doch eher einer konsumistischen Neutralisierung?
    Susanne Kriemann schließlich versinnbildlicht den Sediment-Charakter des "Geländes". Eine sehenswerte Ausstellung, die Kunst, im Sinne Alexander Kluges als "Grabung" im Volks-Unbewussten und seinen Ablagerungen versteht.