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"Das gelingt hier perfekt"

Der kanadische Regisseur Robert Lepage ist eine lebende Legende, ein Theatermagier. Sylvie Guillem ist die ungekrönte Königin des Tanzes und Russel Maliphant ist einer der begabtesten britischen Choreografen. Diese drei haben im Londoner Sadler's Wells gemeinsam ein Stück auf die Bühne gebracht und Wiebke Hüster sah anderthalb Stunden der Spannung.

Wiebke Hüster im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Der kanadische Regisseur Robert Lepage ist eine lebende Legende, einer derjenigen, die als Theatermagier beschrieben werden, ein Zauberer auf den Theater- und Opernbühnen dieser Welt. Sylvie Guillem, gerade 44 geworden, ist die ungekrönte Königin des Tanzes, weit hinausgewachsen über den Status der Ballerina, ein Star, der sich auch gerne rar macht. Und Russel Maliphant ist einer der begabtesten britischen Choreografen, der außerdem eine ganz neue Körpersprache entwickelt hat, die inzwischen auch Laien ausüben, das sogenannte Rolfing. Diese drei wirklich markanten Persönlichkeiten haben sich jetzt zusammengetan und im Londoner Sadler's Wells ein Stück auf die Bühne gebracht, das "Eonnagata" heißt. Wiebke Hüster war für uns bei der Uraufführung gestern Abend dabei, Frau Hüster, der Titel erinnert lautlich am ehesten noch an große, indische Epen. Worum geht es denn in dem Stück?

    Wiebke Hüster: Es ist ganz bestimmt ein Epos, das ist eine richtige Beschreibung. Der Titel ist einigermaßen enigmatisch, in der Tat, es ist auch ein neu erfundenes Wort der drei, die dieses Stück zusammen auch erfunden haben, es leitet sich ab von dem Namen der Persönlichkeit, um die sich das Stück dreht, Charles d‘Eon, ein Adeliger des 18. Jahrhunderts, der für den französischen König spioniert hat, und zwar hauptsächlich in Frauenkleidern. Charles d‘Eon der zweite Teil des Wortes "Eonnagata", das meint den männlichen Kabuki-Darsteller, also den Darsteller des klassischen japanischen Theaters, der die Frauenrollen verkörpert.

    Fischer: Sie sagen, der Charles d'Eon hat in Frauenkleidern spioniert. Was ist an dieser Figur so interessant für uns heute?

    Hüster: Diese Figur ist darum so interessant, weil sich nicht mehr feststellen lässt oder auch die Zeitgenossen damals schon gerätselt haben: Ist es eine Frau oder ist es ein Mann? Oder ist es ein Mann, der einfach perfekt eine Frau darstellen konnte? Und wir sind ja von solchen Figuren immer dann fasziniert, wenn zum Beispiel ein Mann in Frauenkleider schlüpft, ohne dabei lächerlich zu wirken. Es handelt sich hier nicht um eine Komödie. Wir sind nicht bei Charley's Tante, sondern es geht darum: Was ist eigentlich das Weibliche, was ist das Männliche, und wie kann man das auf dem Theater, wie kann man da mit den Identitäten spielen? Das tut man ständig, aber wie macht man das mit Kostümen, mit Requisiten? Sieht das anders aus, wenn eine Frau mit dem Schwert kämpft oder mit einem Stock, als wenn das ein Mann tut? Und genau das führen die drei hier vor.

    Fischer: Ich habe anfangs ja beschrieben, aus welchen Ecken die Protagonisten kommen. Maliphant hat schon Stücke für Guillem gemacht, aber die Idee, auch Robert Lepage mit auf die Bühne zu bitten, war wohl ihre Idee. Wie sieht denn der Formenkanon aus, auf den die drei sich jetzt geeinigt haben?

    Hüster: Unterschiedlicher könnten sie wirklich sein, Lepage mit dieser Fähigkeit, den Text auf den Punkt zu bringen, eine Person in wenigen Worten zu skizzieren, Guillem, die mit ihrer Erfahrung der großen Ballette des 19. Jahrhunderts natürlich weiß, wie man Geschichten auf der Bühne mit Bewegung erzählt, und Maliphant, der sich vielleicht am Anfang am unwohlsten gefühlt hat in dieser ganzen Produktion, denn er ist eigentlich ein rein abstrakter Choreograf, der sich in sein Bewegungsmaterial vertieft und das hineinsetzt in die Lichtskulpturen von Michael Hulls, denn ein Bühnenbild ist auch in diesem Stück fast überflüssig, weil Michael Hulls das alles mit dem Licht zeichnet, als wäre er Rembrandt für die Bühne.

    Fischer: Dann sagen Sie uns mal, wie wir uns das vorstellen müssen, diese Kombination aus Licht, Bewegung und offenbar ja auch Sprache, Text?

    Hüster: Es gibt immer wieder erzählerische, kurze Vorträge, diesen Part übernehmen die drei abwechselnd, dann gibt es insgesamt dieses Gefühl einer Reduktion, ohne jetzt streng oder restriktiv zu werden, die tänzerischen Mittel sind also ganz reduziert, von großer Ruhe. Dann wiederum gibt es diese Ausbrüche in den Kampfszenen, aber auch das ist streng choreografiert. Die Kostüme des berühmten Modedesigners Alexander McQueen sind sehr stilisiert, spielen mit historischen Zitaten sowohl aus dem japanischen klassischen Theater als auch des 18. Jahrhunderts. Sie halten sich in den Farben beschränkt auf weiß, schwarz und ein flammendes rot, wunderschön, und auch die Interaktion zwischen den dreien ist sehr reduziert, sehr klug abgewogen. Trotzdem verliert man nie die Spannung, es geht immer um diese Figur. Jeder schlüpft mal en travesti in diese Rolle, jeder versenkt sich in die Kampfsituation, jeder versucht, zu zeigen, wie gespalten, also wie aufteilt in verschiedene Facetten Charles d'Eon als Figur eigentlich war, auch übrigens zwischen der intellektuellen Persönlichkeit, die sich eigentlich in ein Studium vertieft zu Hause, wenn es nach seinem Verstand alleine ginge, aber es geht auch nach seinem Herz, zitiert Guillem einmal an einer Stelle, und darum ist er auch Kämpfer, Soldat für seinen König, der bis nach Russland hin spioniert.

    Fischer: Frau Hüster, das Thema Gender ist ja aus vielen Gründen aktuell und an diesem verrückten Fall offenbar exemplarisch durchzudeklinieren. Blieb die Geschichte denn im Kunstschönen? Wurde sie historisch handfest erzählt oder eher auf einer symbolischen Ebene? War das Ganze gelungen?
    Hüster: Es geht den dreien zum Glück, muss man sagen, niemals darum, irgendwie die Sache der Gendervertreter hier nochmal auszubuchstabieren anhand einer Figur des 18. Jahrhunderts, und das gelingt hier perfekt. Und nach diesen anderthalb Stunden der Spannung wünscht man sich eigentlich, es ginge noch weiter und es gebe vor allem auch noch mehr Text, mehr Futter über diese historische Person.

    Fischer: Wiebke Hüster, vielen Dank für diesen Bericht über die Guilleme-Lepage- Maliphant-Uraufführung von "Eonnagata" in London.