Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Das "Generalarchiv des Bürgerkriegs" vor der Neuordnung?

An der Diktatur des Generals Francisco Franco in Spanien schockiert nicht zuletzt die enorme Rachsucht des Regimes. Noch lange nach dem Bürgerkrieg wurden Menschen, die in irgendeinem Zusammenhang mit der niedergeworfenen Republik standen, erbarmungslos verfolgt. Repression braucht Information, und so schuf der Diktator eigens ein Archiv, in dem er derart interessantes Material zusammentragen ließ.

11.07.2004
    Hier - erklärt Miguel Ángel Jaramillo, Direktor des seit 1979 so benannten Allgemeinen Archivs des Spanischen Bürgerkriegs in Salamanca - wirkte von 1937 bis 1977, also bis zum Zeitpunkt, da Franco tot war und die Regierungsreform in Kraft trat, eine Behörde, die sich Dokumentationsdienst des Regierungspräsidiums nannte. Ihre Funktion war es, Dokumente der im Bürgerkrieg gestürzten Republik zu sammeln, sie zu sortieren und für Informations- und Repressionszwecke zu verwenden.

    Rund drei Millionen Akten enthält das Archiv, die frühesten noch aus dem Bürgerkrieg, als Franco seine Truppen anwies, aus jeder neu eroberten Region die Unterlagen aus Verwaltungen, Parteien und Institutionen zu beschlagnahmen und nach Salamanca zu verbringen. Aus ihnen wurden Personalakten extrahiert, denn darum ging es schließlich: Personen zu verfolgen, die sich auf irgendeine Art mit der verhassten und besiegten Republik verbündet hatten.

    Ihre stärkste repressive Aktivität verzeichnete die Behörde in den vierziger und fünfziger Jahren. Sie war verbunden mit dem Gerichtshof zur Unterdrückung des Freimaurertums und des Kommunismus. Dieses Tribunal wurde 1940 gegründet und stellte beides unter Strafe. Die beschlagnahmten Akten republikanischer Institutionen und Freimaurer-Logen bildeten das Beweismaterial in den Prozessen. Natürlich war das juristisch eine Farce, allein aus dem Grund, dass die inkriminierten Organisationen legal waren in dem Moment, in dem diese Akten angelegt wurden.
    Wer immer etwas werden wollte - und sei es Abteilungsleiter in einem Wasserwerk -, dessen Name wurde hier geprüft. Das Archiv von Salamanca ist die bedeutendste Sammlung zum Repressionsapparat des Franco-Regimes und wird seit einem Vierteljahrhundert von Historikern, aber auch von Angehörigen von Opfern des Regimes intensiv genutzt. Und doch ist die Existenz dieser einmaligen Dokumentation jetzt gefährdet. Insbesondere aus Katalonien, von wo ein bedeutender Teil der Dokumente stammt - Barcelona war der letzte Sitz der republikanischen Regierung kurz vor ihrer endgültigen Niederlage - kommen seit Jahren lautstarke Rufe, die eine Rückgabe der unrechtmäßig beschlagnahmten Akten verlangen. Der Fortbestand des Archivs von Salamanca rechtfertige im Nachhinein das repressive System Francos, wird argumentiert. Jetzt, da die sozialistische Minderheitsregierung immer wieder gezwungen ist, im Madrider Parlament Partnerschaften auch mit den katalanischen Nationalisten zu suchen, ist der Moment für diese besonders günstig. Kaum an der Macht, sahen sich die Sozialisten denn auch mit der alten Rückforderung konfrontiert und gezwungen, ihr allseitiges Dialog-Versprechen einzulösen. Bis Dezember, so die Ankündigung von Kulturministerin Carmen Calvo, soll eine einvernehmliche Lösung gefunden werden.
    Die moralische Rechtfertigung der Rückforderungen ist überhaupt nicht anzuzweifeln: Man hat Dokumente gestohlen, die meinem Großvater, meiner Institution oder wem auch immer rechtmäßig gehört haben. Auf der anderen Seite sind zunächst 40 Jahre Diktatur vergangen, danach ein Vierteljahrhundert, in dem diese Dokumentation einem völlig anderen Zweck gedient hat. Was wiegt nun schwerer? Eine historische Rechtfertigung, die Konservierung des historischen Gedächtnisses, ein Rückgabeanrecht?
    Das Archiv von Salamanca könnte so zum Präzedenzfall werden: Sollte der Rückgabeforderung aus Katalonien entsprochen werden, wäre es wohl eine Frage der Zeit, bis Basken, Galicier und Andalusier Gleiches für sich in Anspruch nehmen würden - das Archiv wäre zerstört. Es dürfte dabei nicht bleiben. Denn die Frage, was in anderen Nationalarchiven lagert und nach den Maßgaben einer historischen Moral womöglich von einer der Autonomen Regionen beansprucht werden könnte, wäre dann gleich miteröffnet.
    Der eigentliche Archiv-Skandal Spaniens schlummert derweil weiter vor sich hin. Es sind jene Unterlagen, die nach Francos Tod aus seinen Arbeitsräumen entfernt wurden und die heute in der von Francos Tochter geführten privaten Stiftung lagern, die den Namen des Diktators trägt - Staatspapiere immerhin, die wie private Korrespondenzen behandelt werden.