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Das Geschäft mit den Datenbergen

Die scheinbar unbändige Datenflut, die täglich von Mensch und Maschine erzeugt wird, wächst in riesigem Tempo. Ein kompletter Wirtschaftszweig ist entstanden, der aus der gezielten Auswertung dieser Datenberge Nutzen ziehen will. Doch die neue Technologie wirft auch neue datenschutzrechtliche Fragen auf.

Von Manfred Kloiber | 09.03.2013
    "Hinter Big Data steckt eine neue Technologie, die es uns möglicht macht, völlig unstrukturierte Daten, die an allen möglichen Stellen entstehen, zusammenzuführen und geschützt und sicher auszuwerten. Und diese Auswertung dann auch einzusetzen nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für gesellschaftliche Ziele. Das sind ganz interessante Technologien, die mehr können als nur die Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich zu machen",

    sagt Dr. Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes BITKOM über die neue Boom-Technologie der Branche. Big Data – das ist die Antwort der Informationsverarbeiter auf eine Datenflut, die durch die zunehmende Digitalisierung des Alltags ins nahezu Unermessliche steigt. Der BITKOM stellt natürlich gerne das große Potential dar, das diese Technologie zum Beispiel für die medizinische Versorgung oder für die Verbesserung der Infrastruktur hat. Doch auf der anderen Seite stehen große datenschutzrechtliche Fragen an, die noch lange nicht ausdiskutiert sind. Neben Shareconomy war Big Data eines der Leitthemen auf der diesjährigen CeBIT in Hannover, die heute zu Ende ging.

    2,5 Zettabytes, das sind zweieinhalb Milliarden Terabytes, so viele Daten wurden laut BITKOM in den letzten Jahren von Menschen und von Maschinen generiert. Und bis zum Jahr 2020 soll die Flut auf über 100 Zettabyte ansteigen. Immer mehr Autos, Werkzeugmaschinen oder Haushaltsgeräte erzeugen aktuelle Zustandsdaten; immer mehr Menschen setzen in Tweets, Chats oder Blogs immer mehr Kommentare und Meinungsäußerungen ab. Immer bessere Mess- und Untersuchungsverfahren erzeugen aktuelle Daten über den Zustand von Mensch und Umwelt. Und schließlich wächst auch die Bilderflut rasant an. All diese Daten können sinnvoll ausgewertet werden, meint Michael Kleinemeier, Geschäftsführer der SAP Deutschland AG:

    "Sie haben heute in der Medizin, wo sie DNA-Entschlüsselung machen wollen, um herauszufinden, beispielsweise in Tumor-Datenbanken, wie sie Patienten helfen können, welche Therapien wo angesprochen haben, wo nicht. Natürlich auch ein geschäftlicher Nutzen aus Daten heraus. Sie wollen wissen: Was wird gerade über ihr Produkt gesprochen? Sehr, sehr wichtige Daten, die sehr, sehr aktuell auch vorhanden sind. Anders auch als das heute in sehr weit zurückliegenden Daten herauszufinden ist. Also, eine Menge Möglichkeiten, diese Daten dann auch sinnvoll zu nutzen. Und es gibt drittens heute auch die Technologien, die in der Lage sind 20 oder 100 Terabytes in Nanosekunden zu analysieren."

    Vor allem Daten aus Internet-Foren, aus sozialen Netzwerken und von Suchmaschinen werden für Marktanalysen und die Trendforschung ausgewertet. Dabei spielt es eine große Rolle, die richtigen Foren und Blogs für ganz bestimmte Analysen auszuwählen. Eine Aufgabe, die immer mehr hoch spezialisierte Dienstleistungsunternehmen übernehmen wollen. Obwohl die Daten massenhaft erzeugt und gespeichert werden, müssen sie für eine Analyse aufwendig ausgesucht und zusammengetragen werden, erklärt der Informatiker Dr. Alexander Löser von der TU Berlin:

    "Erst mal überhaupt an diese Daten heranzukommen - entweder durch kaufen: ich kann sie entweder in sehr kleinen Häppchen für einen sehr großen Preis von Google oder Bing kaufen, oder von gezielten Anbietern oder aber durch eine Technik, die heißt Crawling. Das ist nicht einfach. Denn auch das Crawling kostet Sie im Netzwerk Bandbreite, Administratoren und viele Webseiten lassen sich auch gar nicht crawlen. Und der Crawl muss frisch sein. Sie haben also eine hohe Datenqualität hier, viele Informationen veralten hier sehr schnell. Und frische Seiten zu erhalten, ist nicht ganz einfach. Es ist also richtig eine Geldfrage, erst mal überhaupt an die Rohdaten heranzukommen."

    Gut 350 Millionen Euro wurden letztes Jahr mit der Beschaffung und Auswertung solcher Daten in Deutschland umgesetzt. Laut Berechnung der Unternehmensberatung Experton wird der Umsatz in diesem Jahr um 85 Prozent auf über 650 Millionen Euro steigen - ein vielversprechendes Wachstum. Gerade in der Konsumforschung liegen die Vorteile auf der Hand. Michael Kleinemeier:

    "Ich glaube, das Gute daran ist, dass Daten in sehr großer Menge zur Verfügung stehen und sie daraus gute Schlüsse ziehen können und diese Daten sehr, sehr aktuell sind. Also, wenn ein Sportartikelhersteller für die Weltmeisterschaft ein Trikot herstellen will, wird er bis kurz zur Weltmeisterschaft fragen: Welche Spiele drucke ich? Welche Spielernamen drauf? Und er wird dann fragen: Über welche Spieler wird denn überhaupt diskutiert? Wird über einen Spieler überhaupt nicht diskutiert oder getwittert, ist das auch unwahrscheinlich, dass das T-Shirt oder das Trikot auch gekauft wird."

    Das setzt vor allem klassische Marktforschungsunternehmen unter Druck, die bislang mit aufwendigen Interviewkampagnen oder mit hohem Messgeräteaufwand, etwa bei den Einschaltquoten der TV-Sender, gutes Geld verdienen. Aber auch die Polizei bedient sich mittlerweile der Big-Data-Methoden, berichtet Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internetrecht an der Universität Oxford - und nennt auch gleich die Kehrseite der Medaille:

    "Zum Beispiel versuchen Polizeibehörden in den Vereinigten Staaten Big Data zu verwenden, um Verbrechen vorherzusagen und dann an diesem vorhergesagten Termin und in diesem vorhergesagten Ort verstärkt durch Polizeikontrollen etc. dieses vorhergesagte Verbrechen zu unterbinden. Es ist in der Tat die dunkle Seite von Big Data, und wir müssen vorsichtig sein, dass diese dunkle Seite nicht überhand nimmt. Es darf nicht dazu kommen, dass wir Menschen verhaften und bestrafen für Dinge, die sie noch nicht getan haben."
    Nicht gerade auf die dunklen Seiten, aber auf die noch vielen offenen Fragen des Datenschutzes weist auch der Branchenverband BITKOM hin, mit dem Appell sie schnell zu klären. So will der Lobbyverband frühzeitig Hindernisse aus dem Weg räumen. Doch Michael Kleinemeier hat Zweifel, ob die Politik mit dem Tempo der technischen Entwicklung standhält:

    "Ich glaube, die Entwicklung ist sehr, sehr schnell – ob die Politik in der Diskussion auch so schnell ist, wage ich zu bezweifeln."