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Das geschulte Auge

Dass es für einen Beobachter in einem Assessment Center ebenfalls nicht so leicht ist, daran denken wahrscheinlich nur die wenigsten der Teilnehmer. Vor der Durchführung eines Assessment Centers muss ein Planer Gespräche mit dem Unternehmen führen, damit Beobachter geschult werden können. Die Fähigkeit konstruktive Kritik geben zu können, ist dabei zentral.

Von Thomas Wagner |
    Im Assessment Center werden die unterschiedlichsten Leistungen bewertet: Das Verhalten in der Gruppe, die Selbstpräsentation, aber auch die Art und Weise, wie die Bewerber die Lösung einer betriebsnahen Aufgabe angehen. Wie aber werden die Aufgaben entworfen? Und wer sind diejenigen, die solche Tests planen? Armin Steger, Jahrgang 1962, ist jemand, der seit Jahren Assessment Center plant. Der gebürtige Tiroler hat Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Handel und Personalmarketing studiert. Als selbstständiger Unternehmensberater arbeitet er in seinem Büro im österreichischen Dornbirn. Sein Schwerpunkt: Die Rekrutierung von Führungspersonal. Planung und Durchführung von Assessment Centern gehört da selbstverständlich dazu. Noch bevor er an seinem Computer die erste Aufgabe formuliert, führt er mehrere sehr ausführliche Gespräche mit seinen Auftraggebern.

    "Der entscheidende Schritt ist wichtig: Die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses über die Anforderungen, die auf den auszuwählenden Kandidaten oder die Kandidaten zukommen, dass man das entsprechend aufbaut. Beispielsweise, um das fest zu machen: Wenn es dann heißt: Wir brauchen Leute, die Verkaufskompetenz haben. Was heißt Verkaufskompetenz? Woran kann man das wirklich festmachen? Verkauf fängt an von Türklinkenputzen bis hin zum Verkauf von Premiumprodukten, der natürlich ganz anders läuft."

    In den Diskussionen mit seinen Auftraggebern erarbeitet sich Armin Steger in einem ersten Schritt ein detailliertes Profil derjenigen Kandidaten, die für bestimmte Aufgaben im Unternehmen gesucht werden. Der zweite Schritt ist Überzeugungsarbeit: Armins Steger macht seinen Kunden klar, dass sich unter den Beobachtern im Assessment Center nicht nur die Personalexperten des Unternehmens, sondern auch Abteilungsleiter aus allen möglichen Bereichen zusammenfinden müssen - die so genannte "Linie" muss vertreten sein:

    "Das ist deswegen wichtig, weil sonst der große Vorwurf kommt von Seiten der Linie, dass die Personalisten das in Eigenregie erstellt haben und nicht die Anforderungen aus der Linie in die Profile eingearbeitet haben. Es geht wirklich auch um das Wissen: Was ist in der Linie notwendig, und das auch wirklich in die Anforderungen hinein zu nehmen."

    Als nächstes müssen die Beobachter geschult werden.

    "Das Beobachten ist eines der schwierigsten Dinge. Und das ist auch immer die Rückmeldung nach solchen Assessment Centern von Seiten der Beobachter: Ein Tag beobachten ist für die Beobachter oft strenger als für die Kandidaten, weil sie müssen am Ende des Tages im Grunde genommen ein ehrliches, offenes Feedback abgeben können. Und das können sie nur abgeben, wenn sie wirklich den Kandidaten und Kandidatinnen Beobachtungen so weit erklären können, dass sie annehmbar sind. Dass sie beispielsweise nicht sagen. Sie sind nervös, sondern dann auch beschreiben, woran die Nervosität erkennbar war: Sie fahren beispielsweise ständig in die Haare, wenn sie präsentieren. Oder gegenüber dem Publikum haben sie einen zu relaxten Eindruck hinterlassen. Sie stecken ständig bei der Präsentation die Hände in den Hosensack - auch wirklich Dinge, wo die Kandidaten, selbst wenn sie die Rückmeldung bekommen, dann am Ende eines solchen Tages einen Lernerfolg mitnehmen."

    Die Beobachterschulung geht einher mit der Entwicklung eines Vorauswahlverfahrens: Oftmals sind es bei großen Konzernen viele hundert, manchmal sogar über 1000 Bewerber für wenige Trainee-Stellen. Da sind Abschlussnoten, Nachweise von Praktika und von Auslandsaufenthalten wichtige Kriterien, um überhaupt erst ins Assessment Center eingeladen zu werden. Wenn der Kunde dies wünscht, entwickelt Armin Steger ein telefonisches Testverfahren. Dann macht er sich schließlich in seinem Dornbirner Büro an die Konzeption der ersten Aufgabe - auf der Basis der Anforderungen, die das Unternehmen an die Bewerber stellt.

    "Der Mix ist ganz entscheidend. Die Situation ist die, dass wir am Beginn mit einer relativ einfachen Aufgabenstellung beginnen, beispielsweise dass die Kandidaten und Kandidatinnen im Vorfeld etwas vorbereiten können und mit einer Präsentationsübung beginnen. Das heißt: Sie haben Kennzahlen aus dem Unternehmen bekommen und sollen sich dann dementsprechend etwas überlegen. Das bringt den Vorteil, dass es etwas ungezwungener ins Assessment Center geht, dass aber beobachtet werden kann: Wie sind die Fähigkeiten, oft auch sehr komplexe Dinge auf einfache Nenner zu reduzieren und wie kann man das auch in Form von Präsentationsmitteln an das Publikum hinüber bringen."

    Die zweite Übung fällt in der Regel schon etwas anspruchsvoller aus:

    "Die klassische Übung, die immer wieder vorkommt: Ein junger Mitarbeiter bekommt eine Projektaufgabe gestellt von Seiten der Geschäftsführung, von Seiten des Vorstandes oder von Seiten des Bereichsleiters, und muss sich mit seinem Abteilungsleiter damit auseinandersetzen, dass er von diesem Abteilungsleiter Personalressourcen bekommt. Für den jungen natürlich ein schwieriges Unterfangen: Er muss mit einem relativ eingesessenen Abteilungsleiter auch Vor- und Nachteile abwägen beziehungsweise den überzeugen, dass es auch für ihn Sinn macht, einen Mitarbeiter aus seinem Bereich für das Projekt freizustellen oder zumindest Zeitressourcen zur Verfügung zu stellen."

    Hier geht es in erster Linie um die Überzeugungskompetenz des Bewerbers - eine Situation, wie sie tatsächlich im späteren Job einmal auftreten könnte.

    "Ganz in der Praxis muss es sein. Sie erleben ja immer wieder, dass Studenten, die beispielsweise hervorragende Zeugnisse abgeliefert haben, wenn sie in die Praxis treten, diese Dinge nicht umsetzen können. Wir haben ja oft auch erlebt, dass Kandidaten hervorragend waren, aber im Assessment Center in ihrem Auftreten, in ihrem Verhalten nicht zum Unternehmen passen."

    So verlangt ein Jugendzeitschriftenverlag von seinen Managern eher ein lockeres Auftreten auch innerhalb des Unternehmens, während eine Bank auf konservative Bekleidung und formalisiertes Verhalten Wert legt. Dies muss Armin Steger auch bei der Konzeption der übrigen Aufgaben im Blick haben. Mal müssen betriebsnahe Problemstellungen in der Gruppe, mal als Einzelkämpfer gelöst werden. Wichtig dabei: Von "Psycho-Spielen"’, wie sie Assessment Centern immer wieder angedichtet werden, hält Armin Steger gar nichts:

    "Wir haben die Auffassung vertreten, das wir psychologische Tests in Assessment Centern nicht einbinden, sondern dass es wirklich um Übungen geht, die praktisch aus den entsprechenden Unternehmen herauskommen."

    In der Regel schlägt Armin Steger seinen Kunden vor, den Kandidaten die Ergebnisse möglichst rasch mitzuteilen - möglichst kurz nachdem das Assessment Center zu Ende gegangen ist.

    "Wir versuchen in der Konzeption auch wirklich am Ende des Tages ein Abendessen mit den Kandidaten durchzuführen. Und das sind bisher auch immer alle dabei gewesen, die nicht ausgewählt wurden. Und die Rückmeldung war durch die Bank: ’Zwar schade, dass wir nicht ausgewählt wurden - aber wir haben sehr, sehr viel mitgenommen aus diesem Tag. Wir können uns in Zukunft auf das eine oder andere auch fokussieren. Wir wissen, dass wir beispielsweise in Gruppenarbeiten und anders präsentieren müssen. Wir müssen uns dort mehr einbringen. Wir müssen mehr mit Möglichkeiten der Visualisierung arbeiten. Und...und....und.’ Also wirklich Feedbacks, die konstruktiv sind. Und das kann ich nur abliefern, wenn die Beobachter gut vorbereitet sind, die Dinge aufnotieren und ein ganz, ganz exaktes Feedback aufnotieren."

    Daran zeigt sich aber auch: Gut gestaltete Assessment Center sind sehr aufwendig. Deshalb geben fast ausschließlich große Unternehmen solche Auswahlverfahren bei Armin Steger in Auftrag.

    "Wenn sie aus 20 Kandidaten in zwei Assessment Centern Leute aussuchen, also man sucht zum einen eher Technik lastige Trainees, einmal eher Marketing-Sales lastige Trainees, dann müssen sie mal davon ausgehen, dass von der Beraterseite so um die 35.000 Euro fällig sind, mit der entsprechenden Begleitung der Vorauswahl, mit der Erstellung des Anforderungsprofils, mit der Schulung der Beobachter, mit Grobdesign, mit Feindesign, mit der entsprechenden Durchführung des Assessment Centers, mit der Evaluierung des Assessment Centers, um beim nächsten Mal das eine oder andere auch noch zu verbessern."