" Je schlechter wir uns erinnern, je mehr Lücken unser Gedächtnis hat, insbesondere solche, die Unangenehmes aussparen, desto schwächer und unzuverlässiger ist unsere Identität, desto weniger können wir auch verlässliche Partner für andere sein. Umgekehrt gilt: Je stimmiger, je kohärenter unsere Erinnerung, desto verlässlichere Partner können wir sein und desto besser können wir zur gegenseitigen Verständigung beitragen."
Gesine Schwan, die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder formulierte im Münchner Residenz-Theater einen Gemeinplatz, indem sie daraufhin wies, wie wichtig für eine kollektives Selbstwertgefühl das nationale wie europäische Gedächtnis ist. Auch Traumata müssten lebendig gehalten werden - um der Selbstachtung willen. Doch Erinnerung, will sie sich nicht in allzu luftig-abstrakten Höhen verlieren, muss sich konkretisieren, materialisieren. Das kann in Form eines Denkmals geschehen oder in der weniger faßbaren Gestalt eines Erinnerungsorts.
" Ort meint in diesem Zusammenhang nicht nur geographische Plätze, sondern auch literarische oder künstlerische Symbole."
Der französische Historiker Pierre Nora, Mitglied der Académie Française, ist der Schöpfer dieses mittlerweile weithin bekannten Worts "Erinnerungsorte". Für die Franzosen ist Vichy ist einer der "lieux de mémoire", für die Polen wie die Russen der Wald von Katyn. Doch gibt es neben den nationalen auch gemeinsame europäische Erinnerungsorte, so fragte man sich in München. Nur wenige Erinnerungsorte, gab Pierre Nora zu bedenken, seien positiv besetzte "Ankerpunkte" des Gedächtnisses.
" Wenn man auch gern zugestehen mag, dass es einen europäischen Geist gibt, eine europäische Kultur, eine europäische Identität, so muss man sich doch auch eingestehen, dass Europa gemeinsame Erinnerungsorte fehlen. Sie sind überall und nirgends. Wenn es sie gibt, dann sind die europäischen Erinnerungsorte negativer Art: Die beiden stärksten sind ohne Zweifel Verdun und Auschwitz. Mit diesen Orten verbinden wir heute Bilder der Versöhnung: Photos vom Händedruck zwischen Kohl und Mitterand vor den Gräbern der gefallenen Soldaten in Verdun 1984, die Aufnahme vom Kniefall Willy Brandts vor dem Ehrenmal des jüdischen Ghettos in Warschau 1970. Wir müssen feststellen, dass die mächtigsten Erinnerungsorte bisher Orte der Trauer sind ... "
Das Gedächtnis, so Nora, sei in der Tat geteilt, es geben keinen "gemeinsamen Sockel". Europa sei immer schon eine Idee der Eliten gewesen, nie eine der Massen, und deshalb könnten man bisher so wenige gemeinsame Erinnerungsorte benennen, es sei denn man wolle die Ländergrenze als den europäischen Erinnerungsort schlechthin nehmen. Dem stimmte der polnische Historiker Robert Traba zu. Traba, sehr engagiert im deutsch-polnischen Dialog, ergänzte aber, angesichts der Vielstimmigkeit voneinander getrennter Erinnerungen, angesichts der "Polyphonie der Gedächtnisse", müsse man den Versuch machen ...
"... das Gedächtnis der Anderen zu entdecken. Zu bedenken ist jedoch, dass diese Tendenz im heutigen Europa nicht dominierend ist."
Gerade Künstler würden diesen Weg ebnen, zum Beispiel Volker Schlöndorff mit seinem Film "Streik" über den Erinnerungsort Gdansk, über den Aufstand in der Danziger Werft Anfang der 80er und die Anfänge von Solidarnosc. Ein deutscher Regisseur widmet sich einem sensiblen Kapitel der polnischen Geschichte. Das begrüßte Robert Traba, denn seiner Meinung nach ist der Blick und die "Erinnerung von außen" für das Konstruieren einer eigenen nationalen Erinnerung notwendig - und sorgt dafür, dass nichts verdrängt wird oder dem Vergessen anheimfällt.
" Vielleicht brauchen wir keine gemeinsamen europäischen Erinnerungsorte zur Zeit, vielleicht brauchen wir anstelle von gemeinsamen europäischen Erinnerungsorten eine europäische Empfindlichkeit in Bezug auf die Erinnerung der Anderen."
Gesine Schwan, die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder formulierte im Münchner Residenz-Theater einen Gemeinplatz, indem sie daraufhin wies, wie wichtig für eine kollektives Selbstwertgefühl das nationale wie europäische Gedächtnis ist. Auch Traumata müssten lebendig gehalten werden - um der Selbstachtung willen. Doch Erinnerung, will sie sich nicht in allzu luftig-abstrakten Höhen verlieren, muss sich konkretisieren, materialisieren. Das kann in Form eines Denkmals geschehen oder in der weniger faßbaren Gestalt eines Erinnerungsorts.
" Ort meint in diesem Zusammenhang nicht nur geographische Plätze, sondern auch literarische oder künstlerische Symbole."
Der französische Historiker Pierre Nora, Mitglied der Académie Française, ist der Schöpfer dieses mittlerweile weithin bekannten Worts "Erinnerungsorte". Für die Franzosen ist Vichy ist einer der "lieux de mémoire", für die Polen wie die Russen der Wald von Katyn. Doch gibt es neben den nationalen auch gemeinsame europäische Erinnerungsorte, so fragte man sich in München. Nur wenige Erinnerungsorte, gab Pierre Nora zu bedenken, seien positiv besetzte "Ankerpunkte" des Gedächtnisses.
" Wenn man auch gern zugestehen mag, dass es einen europäischen Geist gibt, eine europäische Kultur, eine europäische Identität, so muss man sich doch auch eingestehen, dass Europa gemeinsame Erinnerungsorte fehlen. Sie sind überall und nirgends. Wenn es sie gibt, dann sind die europäischen Erinnerungsorte negativer Art: Die beiden stärksten sind ohne Zweifel Verdun und Auschwitz. Mit diesen Orten verbinden wir heute Bilder der Versöhnung: Photos vom Händedruck zwischen Kohl und Mitterand vor den Gräbern der gefallenen Soldaten in Verdun 1984, die Aufnahme vom Kniefall Willy Brandts vor dem Ehrenmal des jüdischen Ghettos in Warschau 1970. Wir müssen feststellen, dass die mächtigsten Erinnerungsorte bisher Orte der Trauer sind ... "
Das Gedächtnis, so Nora, sei in der Tat geteilt, es geben keinen "gemeinsamen Sockel". Europa sei immer schon eine Idee der Eliten gewesen, nie eine der Massen, und deshalb könnten man bisher so wenige gemeinsame Erinnerungsorte benennen, es sei denn man wolle die Ländergrenze als den europäischen Erinnerungsort schlechthin nehmen. Dem stimmte der polnische Historiker Robert Traba zu. Traba, sehr engagiert im deutsch-polnischen Dialog, ergänzte aber, angesichts der Vielstimmigkeit voneinander getrennter Erinnerungen, angesichts der "Polyphonie der Gedächtnisse", müsse man den Versuch machen ...
"... das Gedächtnis der Anderen zu entdecken. Zu bedenken ist jedoch, dass diese Tendenz im heutigen Europa nicht dominierend ist."
Gerade Künstler würden diesen Weg ebnen, zum Beispiel Volker Schlöndorff mit seinem Film "Streik" über den Erinnerungsort Gdansk, über den Aufstand in der Danziger Werft Anfang der 80er und die Anfänge von Solidarnosc. Ein deutscher Regisseur widmet sich einem sensiblen Kapitel der polnischen Geschichte. Das begrüßte Robert Traba, denn seiner Meinung nach ist der Blick und die "Erinnerung von außen" für das Konstruieren einer eigenen nationalen Erinnerung notwendig - und sorgt dafür, dass nichts verdrängt wird oder dem Vergessen anheimfällt.
" Vielleicht brauchen wir keine gemeinsamen europäischen Erinnerungsorte zur Zeit, vielleicht brauchen wir anstelle von gemeinsamen europäischen Erinnerungsorten eine europäische Empfindlichkeit in Bezug auf die Erinnerung der Anderen."