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"Das größte Frauengefängnis der Welt"

Einen Beruf ausüben, reisen oder ein Konto eröffnen - für nahezu alle offiziellen Handlungen müssen Saudi-Arabiens Frauen einen männlichen Vormund mitbringen. Eine kleine Gruppe Frauenrechtlerinnen kämpft gegen die Unterdrückung.

Von Esther Saoub |
    Ein Theaterstück für Frauen - das hat es in Saudi-Arabien noch nie gegeben. Frauen auf der Bühne, Frauen im Publikum - der einzig männliche Schauspieler wird per Film zugespielt. Nach langem Kampf mit den Behörden hat eine Frauengruppe in Jeddah die Erlaubnis bekommen, ihr Stück in einem Kulturzentrum aufzuführen. Doch noch gibt es für so etwas kein Publikum - der Saal ist fast leer. Weit hinten sitzen die Damen von der Religionspolizei, vorne die Kulturinteressierten der Stadt - sofern sie um zehn Uhr abends noch allein unterwegs sein dürfen. Ihre schwarzen Mäntel, die Abaya, und Kopftücher haben die Zuschauerinnen am Eingang abgegeben, die Stimmung ist ausgelassen, dabei ist das Thema des Stücks alles andere als lustig:

    Es geht um eine Frau, die alles verloren hat: Ihre Brüder betrügen sie ums Erbe, ihr Mann stellt sich gegen sie. Der Versuch, mit einem Café Geld zu verdienen, wird von der Religionspolizei verhindert. Geschrieben hat das Stück eine der wenigen Schauspielerinnen Saudi-Arabiens, Wajanat Rahabini, die auch die Hauptrolle spielt.

    "Das ist meine Lebensgeschichte: Als meine Mutter gestorben ist, habe ich meinen Fingerabdruck unter ein weißes Papier gesetzt - meine Brüder haben dann den Erbverzicht darüber geschrieben. Meine Töchter blieben bis zur Hochzeit bei mir. Jetzt sind sie religiös geworden: Sie tragen Handschuhe und Schleier. Dabei hat Gott es nicht verboten, dass ich arbeite, schließlich habe ich mit der Kunst das Geld verdient, um meine Töchter aufzuziehen. Aber sie haben mich vergessen."

    Fast alle Frauen, die in Saudi-Arabien für ihre Rechte kämpfen, bezahlen dafür mit dem Preis der Einsamkeit, sagt Suad asch-Schammari, eine bekannte Frauenrechtlerin, die in Jeddah eine offizielle Frauenrechtsorganisation gegründet hat:

    "Ich habe lange als Journalistin gearbeitet, um über die Lage der Frau zu sprechen. Dann musste ich mich entscheiden; entweder ich verstecke mich weiter hinter Faxgerät und Internet, oder ich verwirkliche meinen Traum und trete in die Öffentlichkeit. Ich bin zweimal geschieden, habe das Sorgerecht für meine Kinder verloren, meine Mutterschaft, meinen Unterhalt und ein eigenes Haus. Sie reden hier von einer religiös-konservativen Gesellschaft, aber wie kann eine solche Gesellschaft eine Frau und ihre Kinder auf die Straße setzen?"

    Die Scheidung in Saudi-Arabien ist nur eine Fortführung der Abhängigkeit: wenn nicht vom geschiedenen Mann, dann wieder vom Vater, Bruder, Onkel oder sogar dem eigenen Sohn. Für nahezu jede offizielle Handlung müssen Frauen einen männlichen Vormund mitbringen: auf der Bank, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben und sogar wenn sie ins Krankenhaus wollen. Im Theaterstück kommt eine Frau in die Wehen, kann aber nicht in die Klinik, weil ihr Mann nicht erreichbar ist.

    "Unsere wichtigste Forderung sind Bürgerrechte, sagt Suad asch-Schammari. Die wenigen Rechte, die saudischen Frauen zugestanden werden, erhalten sie durch die Männer. Aber wo ist dieser brave Mann, Vater oder Bruder? Ich bin 40 und darf ohne Genehmigung nicht reisen - und wer ist mein Erziehungsberechtigter? Mein 14-jähriger Sohn? Mein 17-jähriger Bruder, dem ich Geld geben muss, damit er erlaubt, dass ich reise? Frauen können nicht studieren, ohne Erlaubnis, dabei ist Bildung eine Pflicht für jeden Moslem. Meine Freundin ist 37 und bildet Lehrerinnen aus. Sie traut sich nicht, zu Hause auszuziehen, denn sie hat Angst, dass ihr Vater dann die Kündigung einreicht. Wo sind die Rechte saudischer Bürgerinnen, wenn sie so diskriminiert sind?"

    Nur kleine Inseln sind von diesen Einschränkungen ausgenommen: die Compounds, in denen Ausländer leben. Der Größte im Land ist der der Saudi-Aramco-Ölgesellschaft im äußersten Osten des Landes. Sie ist die Lebensquelle des Staates und hat ihre ganz eigenen Gesetze. Ich bin hier verabredet mit Wajeha Huweidar, einer der prominentesten Frauenrechtlerinnen des Landes. Der Wachmann am Eingang ruft sie an, um sicher zu sein, dass ich erwartet werde:

    Auf der anderen Seite des Tors sieht es aus wie in einer texanischen Kleinstadt: Holzhäuschen, Sportplätze, Jogger in kurzen Hosen, eine Frau mit Kinderwagen, ein kleiner Supermarkt. Wajeha kommt mir in Trägertop und Sporthose entgegen. Sie leitet eine Organisation zur Verteidigung der Frauenrechte gegründet:

    "Vor einem Monat hat ein elfjähriges Mädchen einen 70-Jährigen geheiratet. Wann ist damit endlich Schluss? Würde ein Beschluss zum Mindestalter für Eheschließungen unsere Nation ins Wanken bringen, einen Umsturz auslösen? Gibt es ein schlimmeres Verbrechen, als dass ein Kind durch das Gesetz der Vergewaltigung ausgesetzt wird? Denn das ist es doch: Vergewaltigung."

    Wajeha Huweidar lehnt sich auf gegen die Fremdbestimmung der Frau. Ihr wichtigstes Ziel ist es, den männlichen Vormund, den sogenannten Mahram abzuschaffen:

    "Wir bekommen nichts ohne die Genehmigung des Mahram. Ich bin demonstrativ ohne Genehmigung zur Brücke nach Bahrain gefahren, um dagegen zu protestieren, dass ich nicht ausreisen darf. Eine Ärztin hat mir erzählt, dass ihr geschiedener Mann nach wie vor über sie bestimmt. Sie ist seit zwei Jahren im Haus eingesperrt, kann zu keiner Konferenz fahren."

    Wajeha selbst hat lange für ihr eigenes Häuschen im Compound gekämpft. Auf der anderen Seite des Zauns ist es undenkbar, dass eine Frau allein lebt. Hier innen unterrichtet sie englisch, verlässt den Compound nur selten, schwarz macht sie depressiv, sagt sie.

    "Ich habe einen Artikel geschrieben: Saudi-Arabien als das größte Frauengefängnis der Welt. Wir sind Gefangene zu Hause, und wenn wir aus dem Haus gehen wollen, werden wir von der Religionspolizei kontrolliert. Ich kann die Staatsgrenzen nicht ohne Genehmigung überqueren. Das ist exakt die Definition eines Gefängnisses. Unser Weg ist weit - aber ich werde nicht aufgeben."