Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Das Gros der Filme ist einfach in Vergessenheit geraten"

Ob Blockbuster oder Arthouse-Film, Spielfilm oder Dokumentation – alle Filme, die je in Deutschland gedreht worden sind, sollen in eine Online-Videothek kommen. Alleskino.de soll auch vergessene Film-Schätze heben, sagt Produzent Joachim von Vietinghoff und warnt: Vorsicht, Suchtgefahr!

Das Gespräch führte Doris-Schäfer Noske | 24.02.2013
    Doris Schäfer-Noske: Alleskino.de ist ein äußerst ehrgeiziges Projekt, denn schon seit 1895 werden in Deutschland Filme fürs Kino gedreht, und wenn man alle zusammenzählt, dann geht es hier um deutlich über 10.000 Produktionen. Sie alle sollen den Nutzern für ein paar Euro 48 Stunden lang zur Verfügung stehen. Die Initiatoren von Alleskino.de sind der Regisseur Hans Wilhelm Geißendörfer, der Medienunternehmer Andreas Vogel und der Produzent Joachim von Vietinghoff. – Frage, Herr Vietinghoff: Wie sind Sie denn auf die Idee mit dem Online-Archiv gekommen?

    Joachim von Vietinghoff: Ich habe an die 50 deutsche Kinofilme gemacht über praktisch 40 Jahre. Ich komme aus dem neuen deutschen Film, also aus den Anfängen des neuen deutschen Kinos, und frage mich eben seit Jahren: Wo ist denn sozusagen eigentlich dieses Werk geblieben. Wo sind die Filme, die zehn Jahre alt, 15 Jahre alt sind? Vielleicht gibt es mal den einen oder anderen auf einer DVD, das ist aber schon die Ausnahme, und das Gros der Filme ist einfach in Vergessenheit geraten, sagen wir mal so. Und einen ähnlichen Ansatz hatte Geißendörfer auch und das war der Ansatz, wo wir gesagt haben, es wäre doch toll, wenn man eine Möglichkeit findet, die Filme einfach zur Verfügung zu stellen, nicht jetzt in einer Cinemathek, und dass man, was weiß ich, kompliziert die irgendwie finden muss, sondern dass sie einfach da sind in Form einer digitalen Videothek.

    Schäfer-Noske: Gibt es denn etwas Ähnliches schon in anderen Ländern?

    von Vietinghoff: Wir wissen zum Beispiel: Wir haben mit anderen Ländern ein Treffen gehabt und Gespräche geführt, und dann haben wir zum Beispiel mit Holland gesprochen. Die haben von Staats wegen eine Stiftung gemacht und haben dann dort auch Gelder zur Verfügung gestellt, wo die Produzenten dann ihre Filme eben digitalisieren konnten und auf einem Videoportal anbieten können. Die haben aber nicht das ausschließlich auf Holland gemacht, weil einfach der Markt zu klein ist. Also da gibt es so was und das gibt es auch in Frankreich. Da hat auch aber der Staat gesagt, wir stellen euch Gelder zur Verfügung, haben in Brüssel 400 Millionen – das ist eine unglaubliche Summe – beantragt, um ihr französisches Filmerbe zu retten oder einfach auch zur Verfügung zu stellen. Ich habe ganz am Anfang auch gedacht, dass ich das vielleicht mit einer Cinemathek zusammen mache, oder vielleicht eine Stiftung mache, und habe dann aber gemerkt, dass das in Deutschland viel zu komplex ist durch das föderale System, denn so etwas ist immer Ländersache. Wenn man da anfängt, dann gibt es in jedem Land irgendwelche anderen Geschichten. Es gibt ja auch in Berlin zwar federführend die Deutsche Cinemathek, aber dann gibt es das Filmmuseum in München und in Potsdam, und die alle unter einen Hut zu bringen, da würden wahrscheinlich Jahre vergehen, bis man da irgendwie weiterkommt.

    Schäfer-Noske: Mit welchen Filmen haben Sie denn jetzt begonnen?

    von Vietinghoff: Es war natürlich jetzt die Hauptaufgabe, mit den Filmemachern zu reden. Ich bin ja auch ein Filmemacher als Produzent, ich stelle ja Filme her. Also habe ich einfach mit den Kollegen gesprochen, aber eben auch natürlich mit den Regisseuren, Wenders, Schlöndorff, Herzog, wie sie alle heißen, Edgar Reitz, und habe dort überall offene Türen eingerannt. Die haben gesagt: Mensch, Jochen, das wäre ja fantastisch, wenn ihr so was machen könnt, und wir machen da mit.
    Der zweite Schritt war dann, erst mal zu den großen Verleihern zu gehen, Constantin, Studiokanal, Universum, aber eben auch kleinere. Dann haben wir diese Gespräche geführt, und das Entscheidende bei der ganzen Geschichte ist, dass die Video-On-Demand-Rechte nicht exklusiv sind. Sonst würde das ganze Modell nicht funktionieren. Derselbe Film kann also auch auf fünf anderen Portalen genauso liegen.

    Schäfer-Noske: Wie weit sind Sie schon mit den Filmen und wie geht es jetzt weiter?

    von Vietinghoff: Da sind jetzt im Moment an die 200 Filme quer Beet durch. Es geht auch zurück bis in die Stummfilmzeit, da gibt es eine eigene Sektion, und dann aber natürlich auch ganz klar DEFA, also die DDR-Filme. Wir haben auch Dokumentarfilme, die im Kino waren. Wir haben die Kinder von Golzow zum Beispiel, diese Langzeitdokumentation, das ist also ganz breit gefächert. Und zum Beispiel, was wir natürlich auch vorhaben, stark zu machen, ist einfach auch wichtige Teile, die verschwunden sind, wieder zurückzuholen. Zum Beispiel gibt es die Schamoni-Brüder, das sind drei Brüder, die auch im neuen deutschen Film angefangen haben und auch über viele Jahrzehnte, viele Dekaden wichtige Filme produziert haben. Die sind zum Teil völlig verschwunden gewesen. Ein Film wie "Zur Sache, Schätzchen", der über sechs Millionen Zuschauer hatte, ist weder auf DVD, noch sonst irgendwo zu bekommen gewesen. Wir haben das ganze Schamoni-Paket zusammengeschnürt, haben mit denen Lizenzverträge gemacht, es sind ja zwei schon gestorben, also mit den Erben, und haben die gesamten von denen auch online gestellt, haben aber den Regisseuren auch ein Special gewidmet. Da gibt es also auch eine redaktionelle Betreuung der Filme und dort werden die Biografien und Fotos und Zusatzgeschichten gezeigt. Also das ist sehr lebendig, das ist nicht eine Verwahrung von Spielfilmen, sondern es ist eine Sichtbarmachung, es ist eine Belebung, es sind auch die Filme untereinander, die einen Kontext herstellen. Also es ist hoch spannend, und wenn man auf die Seite geht, will man, glaube ich, gar nicht mehr runter – also sehr suchtgefährdend.

    Schäfer-Noske: Das war der Filmproduzent Joachim von Vietinghoff über sein Videothek-Projekt Alleskino.de.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    alleskino.de