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Das große Fressen, die Krise und Weihnachten

Wenn Sie in diesen Tagen zum Weihnachts-Festmahl Austern, Wildschwein, Stopfleber, einen Meerwolf oder edelsten Käse servieren - dann können Sie sich ziemlich sicher sein, dass die guten Stücke von dem europäischen Großmarkt schlechthin kommen: Rungis, im Süden von Paris. Es ist der weltweit größte Markt für Frischprodukte, auf dem jedes Jahr fast zwei Millionen Tonnen Nahrungsmittel umgesetzt werden.

Von Hans Woller |
    Am Eingang nach Rungis stauen sich Kleinlaster, 30-Tonner und PKW wie an einem Grenzübergang außerhalb des Schengenraums - am Schlagbaum ist Maut zu bezahlen für die rund 20.000 Fahrzeuge, die Nacht für Nacht hineindrängen in die Welt voller Köstlichkeiten.

    Eine Nacht, die in Rungis dort beginnt, wo das Meer seine Schätze darbietet: ab ein Uhr morgens vibriert die Fischhalle, werden zehntausende Styroporkisten unter Bergen von Eis mit langen Haken gezogen, geschoben und gestapelt, nichts, was es nicht gäbe: Hummer, Schwertfisch, Lachs aus Schottland, Langusten aus der Bretagne, Berge von Jakobsmuscheln, Pyramiden aus Austernkisten - und Einkäufer aus allen Ländern - ein Holländer kommt hier her:

    "Für die exotischen Fische, Fische, die man in Holland nicht bekommen kann."
    Gerade in der Fischhalle gilt der Wahlspruch von Rungis: es gibt keine Delikatesse, die die über 1000 Groß- und Zwischenhändler hier innerhalb von 24 Stunden nicht besorgen und liefern könnten. Franck Libardi, ein Fischgroßhändler:

    "Wir beliefern ganz Europa, Russland, Österreich, Deutschland und noch weiter, die Antillen auch, sehr viel geht nach Osteuropa."
    Wenn gegen Morgen die Geschäftigkeit in der Fischhalle nachlässt, ist Rushhour beim Fleisch: Rinderhälften hängen bluttriefend vom Haken und werden betastet, Kalbsköpfe sind säuberlich aufgespießt und in der Nebenhalle zerleget ein Bataillon von Metzgern bei maximal sechs Grad fachgerecht die Innereien mit halbmeterlangen Messern. Zu den 30.000 Menschen, die Nacht für Nacht das Areal von Rungis bevölkern, gehört auch Yvonne van der Pouten, eine Vertreterin des holländischen Metzgerverbandes:

    "Wir gucken nur, was es gibt auf dem Markt und das bringen wir wieder nach Holland und beraten unsere Läden, was sie kaufen sollen. Rungis sind die größten Hallen in der Welt, was schöneres gibt es nicht, so viel Frischware zusammen, das gibt's nirgendwo, das ist echt super."
    Draußen an der Rampe hat gerade ein Kleinlaster aus dem Raum Köln eingeparkt. Fritjoff Meier:

    "Zweimal die Woche fahren wir hier runter, Montag/Dienstag und Donnerstag/Freitag. Fisch, Fleisch, Geflügel, Salate, Kräuter, große Schalentiere, alles, was eben anzubieten ist, Käse, Molkereiprodukte - eben alles das was Spezialitäten sind, die man in Deutschland nicht so kriegen kann."
    Der Rummel , der dieser Tage in den Hallen von Rungis herrscht, lässt die Wirtschaftskrise fast vergessen. Cyrille Guegaden, spezialisiert auf Export von hochwertigem Käse:

    "Ich hoffe, dass wir auf einem Segmentmarkt sind, der davon noch nicht betroffen ist. Wie sie wissen, sind Käse im Allgemeinen und Spezialitäten relativ teuer und bis jetzt haben wir das noch nicht gespürt."
    Der Käseexporteur zeigt einem Einkäufer, Johannes Lingenhel vom Wiener Naschmarkt, früh morgens um sieben, in einer Wolke von betäubenden Gerüchen, einige Neuigkeiten auf dem Käsemarkt. Der Wiener kommt besonders vor dem Vacherin ins Schwärmen, dem Kuhmilchkäse aus dem Jura, der im Winter in der Tannenrinde reift:

    "Käse ist nicht einfach ein Produkt, das ich in die Vitrine lege und verkaufe, Käse ist Leidenschaft, ist Passion. Jeder Käse hat seine Geschichte, zum Beispiel wie Vacherin entstanden ist, ist eine ganz einfache Geschichte: Sie sind einfach draufgekommen, dass sie aus der Wintermilch keinen Hartkäse machen können, den sie reifen können. Im Jura haben sie immer Käse auf Vorrat gemacht, also Comté und Vacherin kommen aus denselben Käsereien. Diejenigen, die im Sommer Comté machen aus der Sommermilch, machen im Winter Vacherin. Und aus der Wintermilch kann man keinen gereiften Käse machen, die Milch hat einen anderen Fettgehalt und das haben sie sich zu eigen gemacht."
    Als "Bauch von Paris" hatte Emile Zola einst die Markthallen bezeichnet, als sie noch mitten im Zentrum der französischen Hauptstadt lagen, - draußen in Rungis ist der Pariser Großmarkt heute der Bauch von halb Europa - ein Lastwagen aus Litauen und ein anderer aus Spanien machen sich im Morgengrauen auf den Heimweg.