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Das große Krabbeln

Zoologie.- Rot mit schwarzen Punkten – ob am Strand, im Hotel oder im Café: Für viele Ostsee-Touristen ist die diesjährige Marienkäfer-Plage wohl die prägendste Urlaubserinnerung. Doch Zoologen wollen das Wort Plage nicht benutzen – nicht für Marienkäfer.

Von Tomma Schröder |
    "Das ist eigentlich die positive Nachricht: Er ist noch da! Er ist noch nicht verdrängt und scheint gut zurechtzukommen."

    Ostsee-Urlauber wissen, dass der Marienkäfer noch da ist und wie gut es ihm geht. Zu gut, fanden die meisten Badegäste. Erst waren es viele, dann Hunderttausende, schließlich unzählige. Doch Hinrich Schulenburg hat gezählt. Nicht die Tiere, aber die Punkte: Sieben Stück hatten die meisten Käfer auf dem Rücken – für den Zoologen der Universität Kiel eine große Überraschung. Wurde der heimische Siebenpunkt-Käfer in den letzten Jahren doch immer stärker vom eingewanderten asiatischen Marienkäfer verdrängt.

    "Wenn man ins Freiland geht – ohne die Populationsexplosion – trifft man am meisten diesen asiatischen Marienkäfer an. Und die sonst hier häufigen Arten, wie der Siebenpunkt- oder der Zweipunkt-Marienkäfer, die sie sind zurückgegangen. Für mich war spannend zu sehen: Bei der Populationsexplosion war das primär der Siebenpunkt-Marienkäfer, der aufgetreten ist. Was eigentlich eine schöne Nachricht ist, weil das heißt, dass die eigentlich hier heimischen Arten doch noch so zahlreich sind, dass sie nicht komplett verdrängt sind."

    Dass die heimischen Arten nun gleich als rot-schwarze Wolke über die Küsten hergefallen sind, hat viele Gründe. Angefangen hat alles mit einer feucht-warmen Witterung im Frühjahr, die das Wachstum der Blattläuse begünstigte. Hinrich Schulenburg:

    "Erst habe ich Zunahme in den Blattläusen, dann darauf aufbauend Zunahme in den Marienkäfern. Und wenn dann die Blattlauspopulationen aufgefressen sind, dann fangen die Marienkäfer an, auf Wanderschaft zu gehen, weil sie halt kein Futter mehr finden. Und dann können sie, wenn die Winde über einen längeren Zeitpunkt in eine Richtung gehen, verdriftet werden. Dann können sie an den Küsten landen. Und dort treten sie sehr wahrscheinlich gehäuft auf, weil sie nicht aufs Meer verdriftet werden wollen, sondern versuchen zurück an Land zu kommen."

    Eigentlich müssten sie Mitleid erregen. Denn die Käferchen, die sich an den Küsten tummeln, sind abgemagert und hungrig. Sehen kann man das nicht – aber spüren.

    "Letztendlich versuchen sie an einem zu knabbern, was sie an einem kriegen können. In der Hoffnung, dass sie das dann doch irgendwie als Futter verwerten können."

    Doch der Mensch ist als Futter gänzlich ungeeignet. Die Mundwerkzeuge der Marienkäfer können lediglich ein leichtes Zwacken verursachen. Und wer sich darüber ärgert, sollte wissen: Es ist ein Akt der Verzweiflung. Insofern warnt Hinrich Schulenburg vor einer Marienkäfer-Hysterie.

    "Ich meine, wir sind nun mal nicht außerhalb der Natur. Und an sich ist das sehr spannend, zu sehen, dass aufgrund der Umweltbedingungen eine Populationsexplosion stattgefunden hat. Und der Mensch wird dadurch definitiv nicht geschädigt. Es ist einfach ein sehr spannendes Phänomen. Man muss überhaupt nichts dagegen tun."

    Wer sich dennoch gestört fühlt, dem kann Schulenburg nur raten, die betroffenen Gebiete zu meiden oder sich lange Kleidung anzuziehen. Und vielleicht im nächsten Jahr an den gleichen Urlaubsort zu fahren. Denn höchstens ein Prozent der Marienkäfer überleben diese Populations-Explosion.

    "Eine sehr wichtige Konsequenz ist, dass direkt danach erstmal die Marienkäfer-Population zusammenbricht. Weil sie kein Futter hat, die Tiere werden sterben. Und das kann potentiell dazu führen, dass einige der Marienkäfer erstmal verschwinden an diesem Standort."

    Das führt wiederum dazu, dass sich die Blattläuse in den Folgejahren stärker vermehren können. Taucht dann irgendwann wieder hier und da ein Marienkäfer auf, hat der geradezu paradiesische Bedingungen – und vermehrt sich. Ein ganz natürlicher Kreislauf also. Und wenn Wind und Witterung mitspielen, könnte es in ein paar Jahren wieder zum großen Krabbeln an der Ostsee kommen. Dagegen tun kann man nichts. Nur zuschauen. Bei einem großen Natur-Spektakel.