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Das große Ringen um kleine Reformen

22. November 2005. Der neue Bundestagspräsident Norbert Lammert vermeldet: "Nach Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder ist damit die Abgeordnete, Dr. Angela Merkel mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden." Die erste Bundeskanzlerin steht an der Spitze der zweiten Großen Koalition auf Bundesebene.

Eine Sendung von Michael Groth und Wolfgang Labuhn | 22.11.2006
    Vorausgegangen sind unhaltbare Ansprüche des Vorgängers und Wahlverlierers. Klar ist aber, dass Gerhard Schröder nicht wieder ins Kanzleramt einzieht; genauso klar ist, dass CDU und CSU als stärkste Gruppierung den Kanzler - in diesem Fall - die Kanzlerin stellen. Nach wochenlangen, schwierigen Koalitionsverhandlungen, steht das Kabinett. Der etwas kleinere Partner SPD stellt den Vizekanzler Müntefering. Er ist Arbeits- und Sozialminister. Weitere sozialdemokratische Ressorts sind u.a. das Auswärtige Amt und das Finanzministerium mit den Ministern Steinmeier und Steinbrück. Die CDU stellt u.a. den Innenminister Schäuble und den Verteidigungsminister Jung. Die CSU wird im Kabinett von Seehofer (Landwirtschaft und Verbraucherschutz) sowie Glos, Wirtschaft vertreten. Letzteres Ressort wollte eigentlich der CSU-Vorsitzende Stoiber in der Hoffnung auf ein "Superministerium" übernehmen, aus dem heraus er eine Art "Überkanzler" darstellen wollte. Als der bayerische Ministerpräsident merkt, dass in Berlin nicht alles nach Plan läuft, ein peinlicher Rückzug:

    "Ich bin in dieser veränderten Situation zu der Überzeugung gekommen, dass ich als Parteivorsitzender die Interessen der CSU besser in München vertreten kann. Ich leide natürlich selbst außerordentlich darunter. Da habe ich gesagt: Ich leide wie ein Hund."

    Derweil verteidigt die 52 Jahre alte Kanzlerin den Koalitionskompromiss:

    "Nichts, aber auch gar nichts, was wir in unserem Regierungsprogramm für richtig befunden haben, ist dadurch, dass wir in der Koalitionsverhandlung nicht alles durchsetzen konnten, falsch geworden. Wir stehen zu dem, was wir aus Überzeugung im Regierungsprogramm für richtig gehalten haben. Das ist gar keine Frage. (Beifall) Aber Politik ist eben nicht die Kunst des Wünschbaren, sondern, um mit unserem ersten Vorsitzenden, Konrad Adenauer, zu sprechen, Politik ist die Kunst des Möglichen."

    Am 30.11. dann die erste Regierungserklärung Angela Merkels:

    "Viele werden sagen, diese Koalition, die geht ja viele kleine Schritte und nicht den einen großen. Und ich erwidere Ihnen: Ja, genau so machen wir das."

    Kritik erntet die Große Koalition vor allem für die für den 1. Januar 2007 vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. In der Union wird deutlich, dass die CDU-Vorsitzende Merkel gegenüber der Kanzlerin Merkel in wichtigen Punkten das Nachsehen hat. Der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung Schlarmann ist besorgt:

    "Der erste Webfehler ist, dass die Sanierung der Haushalte nicht in erster Linie über die Ausgabenseite angegangen wird, sondern über die Einnahmenseite. Der zweite Webfehler ist das Thema Reform. Wenn Sie das Regierungsprogramm nehmen, dann sollten die eigentlichen Wachstumsimpulse durch die grundlegenden Reformen geschaffen werden, durch die grundlegende Reform des Arbeitsmarktes, durch die grundlegenden Reformen der sozialen Sicherungssysteme. Da sollten die Wachstumstreiber gesetzt werden. Und wenn ich nur den Koalitionsvertrag nach diesem Maßstab nehme, dann fehlen diese Treiber für Wachstum und Beschäftigung."
    Die Kanzlerin stellt ihre Regierungserklärung unter die Überschrift: "Mehr Freiheit wagen". Mit Müntefering verabredet sie den Dreiklang "Reformieren, Investieren, Sanieren". Frau Merkel erläutert vor dem Bundestag:

    "Wir wissen, wir haben dicke Bretter zu bohren. Wir wollen den Föderalismus neu ordnen, wir wollen den Arbeitsmarkt fit machen, wir wollen unsere Schulen und Hochschulen wieder an die Spitze führen. Wir wollen unsere Verschuldung bändigen und unsere Gesundheits-, Renten- und Pflegesysteme in Ordnung bringen. Niemand kann uns daran hindern, außer uns selbst."

    Beide Seiten wissen: Das ambitionierte Programm kann nur gelingen, wenn sich die Partner der Großen Koalition nicht gegenseitig Steine zwischen die Beine werfen. Zunächst scheint das zu gelingen. Die ersten Wochen werden zu "Flitterwochen". Merkel:

    "Wenn man vertrauensvoll zusammenarbeitet, dann, glaube ich, gibt es eine riesige Chance. Dass uns die Probleme auf dem Weg ausgehen, da habe ich keine Sorge. Solange wir menschlich Vertrauen zueinander haben, glaube ich, kriegen wir das hin."

    "Ich bin zuversichtlich. Ich glaube, dass die Frage der zwischenmenschlichen Beziehungen, dass das in Ordnung ist. Und dass wir das politisch wollen, das ist sowieso klar", "

    sagt Franz Müntefering.

    Der zurückhaltende Stil der Regierungschefin wird nicht überall begrüßt. Es gibt Diskussionen über Merkels Führungskraft. Einige sehnen sich nach der "Basta-Politik" ihres Vorgängers. Öffentlich tun dies nur Sozialdemokraten. Hinter verschlossen Türen denken aber auch die mächtigen Unions-Ministerpräsidenten darüber nach, wie sie Gegengewichte zur Kanzlerin setzen können.

    Angela Merkel verteidigt ihren Kurs:

    " "Ich finde, dass wir schon einige Dinge in Angriff genommen haben, die durchaus in Zeiten, in denen es keine Große Koalition gegeben hat, zu erheblich größeren Diskussionen geführt hätten. Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass sich manches auch lautloser vollzieht."

    Das Publikum ist angetan. Die Umfragewerte der Kanzlerin steigen. Für SPD-Generalsekretär Heil ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht:

    "Es kann nicht sein, dass in der Koalition die SPD im Maschinenraum schwitzt, während die CDU winkend auf dem Sonnendeck sitzt."

    Vizekanzler Müntefering kommt der Chefin zu Hilfe:

    "Es ist ganz klar, dass so, wie wir gestaltet sind mit einer Kanzlerin, zum ersten Mal neu an der Spitze, sie im Fokus des Interesses steht, und dass bei den Auslandsreisen und den vielen roten Teppichen und vielen großen Anlässen sie im Bild ist. Und wenn man immer im Bild ist und das ordentlich macht - und das macht sie -, dann gibt es dafür auch Punkte."

    Nur einen Tag nach ihrer Wahl betritt die Kanzlerin die Weltbühne. Am 23. November reist Angela Merkel nach Paris und Brüssel. Es folgt, am 13. Januar, der erste Besuch im Weißen Haus:

    "Ladies and Gentlemen, the President of the United States and the Chancellor of the Federal Republic of Germany."

    O-Ton Bush:
    " Sie ist klug, und sie kennt sich aus. Es hat etwas Bewegendes, wenn man mit Jemandem spricht, der den Unterschied zwischen Tyrannei und Freiheit aus eigener Anschauung kennt. "

    Frau Merkel kündigt - nach den deutsch-amerikanischen Differenzen der vergangenen Jahre - ein "neues Kapitel" der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Washington an. Dazu gehört auch Kritisches: Die Kanzlerin fordert Bush zur Schließung des Gefangenenlagers in Guantanamo auf. Ein Schatten auf die Beziehung fällt auch durch den Vorwurf, der CIA habe den Deutsch-Libanesen al-Masri Ende 2003 mit deutscher Hilfe von Mazedonien nach Afghanistan verschleppt. Außenministerin Rice traut in Berlin kaum ihren Ohren. Merkel:

    "Wir haben über den einen Fall gesprochen, der von der Regierung der Vereinigten Staaten natürlich auch als ein Fehler akzeptiert wurde. D.h., ich bin sehr froh, dass die Außenministerin auch hier noch einmal wiederholt hat, dass wenn solche Fehler passieren, das natürlich umgehend korrigiert werden muss."

    Der Fall al-Masri wird neben weiteren Vorwürfen die Rolle deutscher Dienste u.a. im Irak und in Syrien betreffend, zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses. Druck lastet dabei vor allem auf Außenminister Steinmeier, der als ehemaliger Kanzleramtschef Verantwortung trüge, sollten sich die Vorwürfe erhärten. Der SPD-Politiker dementiert:

    "Die Bundesregierung, der BND, das BKA haben keine Beihilfe zur Verschleppung des deutschen Staatsbürgers al-Masri geleistet."

    Neues auch Mitte Januar beim ersten Besuch der Kanzlerin in Moskau. Zwischen Frau Merkel und dem russischen Präsidenten herrscht deutlich mehr Distanz, als dies zwischen Schröder und Putin der Fall war. Merkel:

    "Wir haben auch über Punkte gesprochen, wo wir vielleicht noch nicht immer sofort einer Meinung sind, z.B. bei der Einschätzung der Lage in Tschetschenien."

    Dennoch freundliche Worte auch aus dem Kreml. Putin:

    "Ich bin sehr zufrieden, wie sich die Beziehungen mit der Frau Bundeskanzlerin entwickeln. Sie ist eine sehr gute, angenehme Partnerin."

    Nach einer Einigung über ein neues Elterngeld im Januar überrascht Arbeitsminister Müntefering Anfang Februar Freund und Feind mit einem Coup. Der Umstieg auf die Rente mit 67 wird um sechs Jahre vorgezogen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck, damals noch nicht SPD-Vorsitzender, hat Bedenken:

    "Man hätte besser daran getan, wenn man ein, zwei Tage vor der Veröffentlichung gesagt hätte: Jetzt schlagen wir das auch öffentlich vor."

    Vizekanzler Müntefering lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen:

    "Ich glaube, dass wir in der Partei es nicht geschafft haben, auf der Strecke seit dem Koalitionsvertrag, das Bewusstsein zu schaffen, dass die 67 da drinstehen. Ich habe es viele Male erzählt, und es ist so: Man kann verschiedene Sachen tausendmal erzählen. Und dann wenn es konkret wird, dann sagen wir aber: So war es ja nun doch nicht gemeint. Aber es ist so gemeint."

    Spätestens im Frühjahr sind die "Flitterwochen" der Großen Koalition endgültig vorüber, bläst Union und SPD nach ihrem mäßigem Abschneiden bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin der Wind immer stärker ins Gesicht, als weitere innenpolitische Reformvorhaben Kontur annehmen und auch für Streit in den eigenen Reihen sorgen. Während der erfolgreiche Verlauf der Fußball-WM in Deutschland für ein öffentliches Stimmungshoch sorgt, fliegen bei den Koalitionsverhandlungen über die angekündigte grundlegende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung hinter den Kulissen die Fetzen. Im Wahlkampf hatten die Koalitionspartner für völlig verschiedene Modelle plädiert, die Union für eine "Gesundheitsprämie", die nicht mehr als 7% des Bruttoeinkommens der Versicherten betragen sollte, die

    SPD für eine einheitliche "Bürgerversicherung". Nach langwierigen Verhandlungen treten die Koalitionsspitzen am frühen Morgen des 3. Juli vor die Presse. Angela Merkel, Kurt Beck und Edmund Stoiber:

    "Ich glaube, das ist ein wirklicher Durchbruch, den wir hier schaffen."

    Beck:
    "...ein Reformansatz, der deutlich über den Tag und das Jahr hinausweist."

    Stoiber:
    "Ich bin sehr zufrieden, dass es heute Nacht gelungen ist, Steuererhöhungen für die Gesundheitsreform abzuwehren."

    Kern der gesetzlichen Krankenversicherung soll künftig ein Fonds sein, aus dem die Kassen ihre Mittel erhalten und der sich aus Beiträgen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Steuermitteln speist. Reicht das nicht aus, sollen die Kassen einen Zusatzbeitrag erheben dürfen, dessen Höhe einen erbitterten Streit zwischen Union und SPD auslöst. SPD-Fraktionschef Peter Struck nimmt kein Blatt vor den Mund:

    "Ich finde es auch schon sehr eigenartig, dass die Bundeskanzlerin sich nicht an die Vereinbarung gehalten hat, die wir getroffen hatten vor diesem letzten Gespräch, nämlich auch einen steuerfinanzierten Einstieg bei der Reform der Gesundheitsversorgung zu erreichen."

    Erst am 05. Oktober kann die Kanzlerin der Presse nach einer weiteren nächtlichen Schlussrunde das Ergebnis monatelanger Verhandlungen über die endgültige Struktur des Gesundheitswesens bekannt geben:

    Merkel:
    "Wir danken, dass Sie uns noch die Treue gehalten haben und dürfen ihnen verkünden, dass wir uns geeinigt haben, und zwar auf eine weit reichende Gesundheitsreform."

    Die allerdings die privaten Krankenkassen nur locker einbindet und deren Kern, der Gesundheitsfonds, erst 2009 eingeführt werden soll. Der monatelange Streit über die Reform des Gesundheitswesens fügt dem Ansehen der Großen Koalition schweren Schaden zu. Hinzu kommen andere und für den Einzelnen zum Teil schmerzliche Projekte wie das "Haushaltsbegleitgesetz".

    Es sieht u.a. die Erhöhung der Mehrwertsteuer am 01. Januar 2007 um gleich drei Prozentpunkte und die Halbierung des Weihnachtsgeldes für Bundesbeamte vor, ferner die Einschränkung der Steuerfreiheit für Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge. Nicht nur in der Boulevardpresse ist nun immer häufiger von einer "Abzockerkoalition" die Rede. FDP-Chef Guido Westerwelle über die Kanzlerin:

    "Das, was sie als Kanzlerin in der Regierung macht: größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik, das totale Desaster in der Gesundheitspolitik, die Ausweitung von Bürokratie, - ist das glatte Gegenteil von dem, was wir uns in der Opposition mal gemeinsam vorgenommen haben. Das ist für mich natürlich auch eine politische Enttäuschung."

    Innerhalb und außerhalb der Großen Koalition dauert auch die Kritik am moderaten Führungsstil der Kanzlerin an. Ministerpräsidenten der Union vermissen im Regierungshandeln die klare Handschrift von CDU und CSU, während auf Seiten der SPD immer wieder Vergleiche mit Ex-Kanzler Schröder gezogen werden. Angela Merkel gibt sich Ende September in einem ZDF-Interview unbeeindruckt:

    "Mein Prinzip ist nicht: Basta! - sondern mein Prinzip ist: Nachdenken, beraten und dann entscheiden."

    Während die Union und SPD in den Meinungsumfragen weiter absacken und sich bei jeweils nur noch etwa 30 Prozent einpendeln, sind wichtige Reformvorhaben der Großen Koalition in der öffentlichen Diskussion schon fast wieder vergessen, etwa die Einführung des Elterngeldes, auf die sich der

    Koalitionsausschuss Anfang Mai endgültig verständigt hatte, ferner die Einführung einer so genannten "Reichensteuer" von drei Prozent auf hohe Privateinkommen und die Verabschiedung des "Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes" durch den Bundestag Ende Juli. Selbst die weit reichende Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, die erste
    Stufe der so genannten "Föderalismusreform" mit etwa 40 Änderungen des Grundgesetzes, gerät rasch aus dem öffentlichen Blickfeld, trotz ihrer historischen Bedeutung, an die Bundestagspräsident Norbert Lammert nach der Abstimmung am 30. Juni erinnert:

    "Dies ist seit der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 ein Gesetzgebungswerk, das sowohl von der Anzahl wie von der Bedeutung der damit verbundenen Änderungen die größte Ergänzung bzw. Änderung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland darstellt."

    In der Außenpolitik hingegen kann die Kanzlerin ihr gleich nach dem Amtsantritt erworbenes Ansehen bei Reisen nach China und in die Türkei wahren, wobei Angela Merkel ihrem türkischen Amtskollegen Erdogan trotz ihrer unveränderten Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft der Türkei Vertragstreue bei den Beitrittsverhandlungen zusichert. Mit der Beteiligung an der EUFOR-Mission zur Absicherung der Wahlen im Kongo weitet die Große Koalition die Auslandseinsätze der Bundeswehr auf Afrika aus. Merkel:

    "Es hat sich hier sehr viel getan, damit Europa dies auch als seine Aufgabe empfindet. Und deshalb werde ich das als eine wichtige und auch strategische Aufgabe sehen."

    Weitere Treffen mit den Präsidenten Bush, Putin und Chirac und mit dem britischen Premierminister Blair vertiefen das persönliche Verhältnis zu den führenden Politikern der wichtigsten Partner Deutschlands, während die

    Marinebeteiligung an der UNIFIL-Mission für den Libanon von der Kanzlerin auch als Beitrag zur Sicherung des Existenzrechts Israels betrachtet wird:

    "Dieser Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten ist kein Einsatz wie jeder andere. Er ist ein Einsatz von historischer Dimension."

    Im Mittelpunkt deutscher Außen- und Sicherheitspolitik aber stehen für die Kanzlerin nach den transatlantischen Verwerfungen während der rotgrünen Koalition wegen des Irak-Krieges wieder die Beziehungen zu den USA:

    "Die transatlantischen Beziehungen bleiben neben der europäischen Integration unverrückbare Pfeiler der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik."

    Beim amerikanischen Präsidenten kommt dies bestens an. Auf dem Weg zum G8-Gipfel in St. Petersburg macht ein sichtlich gut gelaunter George W. Bush Mitte Juli sogar Station in Angela Merkels Wahlkreis:


    Doch Morgenröte in der Innenpolitik vermögen Kritiker nach einem Jahr Großer Koalition in Berlin nicht zu entdecken - trotz eines Wirtschaftswachstums von rund 2,3% in diesem Jahr, trotz sinkender Arbeitslosenzahlen und sprudelnder

    Steuereinnahmen, die es Finanzminister Peer Steinbrück ermöglichen, die Netto-Kreditaufnahme des Bundes im kommenden Jahr auf 19,6 Milliarden Euro zu begrenzen, den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Damit wird nicht nur ein verfassungskonformer Bundeshaushalt 2007 möglich, sondern erstmals seit Jahren auch wieder die Erfüllung der
    Euro-Stabilitätskriterien. Für die Opposition gilt dennoch:

    "Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor riesig. Der Osten hängt hinten runter. Es gibt eine Vielzahl ungelöster Probleme."

    So Gregor Gysi, Chef der Linksfraktion im Bundestag. Ähnlich FDP-Generalsekretär Dirk Niebel:

    "Die schwarz-rote Regierung ist eine Koalition der Abkassierer, die den Erwartungen der Menschen überhaupt nicht entgegenkommt. Sie hat viele Mandate, aber keine Problemlösungskompetenz."

    Weitere Konflikte sind programmiert, wenn in nächster Zeit die Reform der Unternehmensbesteuerung und die Neuordnung des Niedriglohnsektors auf der Tagesordnung stehen. Die Koalitionsspitzen von Union und SPD sind dennoch entschlossen, ihr Zweckbündnis bis zur nächsten regulären Bundestagswahl im Jahre 2009 fortzusetzen:

    "Zwischen den wirklich führenden Personen gibt es ein ausreichendes Vertrauensverhältnis. Es gibt eine sachlich gute Zusammenarbeit."

    So der SPD-Vorsitzende Kurt Beck, dessen Amtsvorgänger Franz Müntefering nun als Bundesarbeitsminister und Vizekanzler eine nüchterne, aber nicht pessimistische Zwischenbilanz der Regierungsarbeit zieht:

    "Wenn wir das hinbekommen, wird das für die Demokratie gut sein. Aber ob wir das hinbekommen, das steht noch in den Sternen. Chancen haben wir noch. Das ist nicht verloren."

    Und Bundeskanzlerin Angela Merkel, nach einem Jahr Großer Koalition weder Darling der Medien noch der Wählerschaft, im Ausland weit angesehener als daheim, ist erst recht nicht gewillt, die Flinte zu früh ins Korn zu werfen:

    "Was ich auch sozusagen als meine Mission sehe, das ist, das dieses Land Veränderung braucht. Und deshalb möchte ich, dass wir als Große Koalition und ganz besonders meine Partei, die Christlich Demokratische Union, eine ist, die den Leuten sagt: Jawohl, es ist schwierig, neue Sachen anzufangen. Aber es lohnt sich, weil sich die ganz Welt verändert und wir nur so vorankommen."