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Das Handwerk des Schreibens

Er sitzt da mit hängenden Schultern auf einem Küchenstuhl aus chromblitzendem Gestänge. Eulenhaft der Blick aus geweiteten Augen, die unter dem Schutz buschiger, kühn geschwungener, dunkler Augenbrauen das Gegenüber erfassen. Die Nase lang wie ein scharfer Schnabel. Der Mund nur eine zahnbewehrte Spalte in weißer Haut. David Lodge im feinen beißen Leinenzwirn empfängt zum Interview in seinem Londoner Domizil, einer sachlich eingerichteten, klimatisierten Wohnung im Theaterviertel der Stadt. Wir sitzen an einem Küchentisch mit blaukarierter Plastiktischdecke. Durch die geöffnete Tür des Nebenzimmers ist ein monströses weißes Schleiflackdoppelbett zu erkennen, das mit seinen gigantischen Federbetten jeden Gedanken an außereheliche Vergnügungen - adultery, wie der Engländer so nett dazu sagt - gewiss sofort erstickt. Dabei ist Ehebruch in jeder Form eines der Lieblingsthemen des erklärten Katholiken David Lodge. In vielen seiner 11 Romane spielt Untreue eine wichtige Rolle: In "Ortswechsel", "Schnitzeljagd", "Bittere Wahrheiten" und auch in dem letzten seiner vier Campus-Novels "Denkt" - "Thinks" ist der Originaltitel. Mit dem Ausdruck "Thinks" bezeichnet man im Englischen die Denkblasen von Cartoon-Figuren, in denen säuberlich die Gedanken der Protagonisten offengelegt werden. In "Denkt" geht es darum, dass wir alle nicht anders können, als unsere Gedanken zu verbergen. Außerdem ringen ein verheirateter Kognitionswissenschaftler und eine verwitwete Dozentin für Creative Writing mit der Frage, welche Disziplin die Wahrheit über die menschliche Existenz eher zutage fördern könne: die Naturwissenschaften oder die Kunst. Wenn man Lodges Geschichte glauben darf, ist es keine von beiden, sondern eine dritte Disziplin: der Sexus.

Brigitte Neumann |
    Nun ist in Deutschland ein weiteres Buch von David Lodge erschienen, eine Essaysammlung mit dem Titel "Das Handwerk des Schreibens". Schon 1997 in England veröffentlicht, sind die 17 Abhandlungen darin alle noch älteren Datums, nämlich aus den Jahren zwischen 1990 und 1995. Der erste Teil des Bandes enthält Texte über generelle Themen der Schriftstellerei. überschrieben mit "Der Roman als Kommunikation" oder "Erlebtes und Erdachtes im Roman". Außerdem Anleitungen zum Lesen moderner Autoren wie D.H Lawrence, Kingsley Amis, Anthony Burgess oder James Joyce. Im zweiten Teil des Buches findet man Tagebucheintragungen und Reflektionen über Lodges Ausflüge in die angrenzenden Mediengefilde Theater und Film. Nachdem Lodge mit der TV-Adaption seines Romans "Saubere Arbeit" große Erfolge gehabt hatte, entschloss er sich 1987 zum Abbruch seiner akademischen Laufbahn. Er legte seine Literaturprofessur an der Universität Birmingham nieder und wurde Vollzeitschriftsteller. Wie im Einführungsessay "Roman, Drehbuch, Theaterstück" beschrieben, bot ihm die Teamarbeit für Film und später auch Theater einen Ersatz für das umtriebige Campusleben. Und wir erfahren im Tagebuch zur Produktion des Theaterstücks "Literatenspiele" en detail, mit wem Lodge in dieser Zeit Umgang hatte und wie Schauspieler, der Regisseur oder auch seine Schwiegermutter das Ergebnis kommentierten. Es handelt sich dabei um höchst wohlerzogene, konfliktfreie, mit einem Wort: langweilige Anmerkungen. Etwa der Art: Die Schauspieler gaben ihr Bestes, das Publikum war berührt und der Autor möchte diese Erfahrung nicht missen. Es ist ein eitler Autor David Lodge, den wir in diesen Erfahrungsberichten kennenlernen, anders als in der Realität:

    Ich glaube nicht, dass Schriftsteller nette Zeitgenossen sind. Besonders Romanautoren sind eher introvertiert. Der Prozess des Schreibens verlangt, dass wir egozentrisch sind, denn man ist ständig dabei, sich und die eigenen Gefühle zu beobachten. Auf eine Art sind Schriftsteller - oder wenn nicht alle, aber ich bin es jedenfalls - ziemlich eigennützige Menschen. Wenn ich eine Idee zu einem Gag habe, dann sage ich mir: Nein, ich werde den nicht auf dieser Party verschießen, ich heb' ihn mir auf für mein nächstes Buch. Mit einigen Ausnahmen sind Schriftsteller doch ein eher depressiver Haufen, außerdem allergisch gegen Kritik, schnell verletzt, hypersensibel und sie haben einen unstillbaren Hunger nach Lob.

    Gerne zitiert er nebenbei auch T.S. Eliot, der sagte, Literatur selbst sei nicht Ausdruck von Persönlichkeit sondern ihr Ausweg. "Romanschriftsteller sind im Freudschen Sinne anal-hortende Charaktere," setzt Lodge im ersten Essay seines Buches "Handwerk des Schreibens" noch nach. "Sie horten Informationen, sind eifersüchtig besitzergreifend gegenüber ihrem Werk, und oft widerstrebt es ihnen auf perverse Weise, ihr Werk zuende zu bringen und loszulassen." Und was das Lob für die schließlich doch vollendete Arbeit angeht, das Lob aus Kritikerkreisen - dafür muss der Autor heutzutage sogar noch selbst sorgen, seit in vielen großen englischen Blättern die Buchkritik zugunsten des Autoreninterviews abgeschafft wurde, sagt David Lodge.

    Ich habe manchmal den Eindruck, dass Kritiker Buchbesprechungen nur für ihre Kritikerkollegen schreiben und weniger für die Leser. Vielleicht deshalb haben sich die Zeitungen neuerdings auf das Drucken von Autoreninterviews verlegt. Man versucht so den Weg zu einem größeren Leserkreis zu finden. Und die Leser sind erstmal mehr an dem Schriftsteller interessiert als an seinem Buch. Was verständlich ist, denn niemand möchte einen Artikel über ein Buch lesen, das er nicht kennt. Autoreninterviews - hat sich herausgestellt - sind wichtiger für den Verkauf eines Buches als eine Buchkritik. Sie stehen meist nicht versteckt in irgendwelchen Wochenendfeuilletonbeilagen, sondern im Hauptteil des Blattes und - was auch wichtig ist - Interviews sind meist autorenfreundlicher als Buchkritiken es sind. Und deshalb verbringen wir Autoren alle ziemlich viel Zeit damit, Interviews zu geben (lachen).

    Was nur mag es bedeuten, dass Prof. Dr. David Lodge während unseres Interviews saubere kleine Vierecke auf seinen kleinen Notizblock malt - vielleicht Inspiration durch die Tischdecke? Oder Zeichen seiner geordneten Weltsicht?

    Jedenfalls "Das Handwerk des Schreibens" kündet von einem systematischen, gründlichen und analytischen Denkuniversum des Autors. Zum Beispiel in dem Essay "Kann und soll man kreatives Schreiben unterrichten?" läßt er zur Beantwortung dieser Frage erst verschiedene viktorianische Schriftsteller gegeneinander antreten, um dann eine versöhnliche Konklusio zu finden: "Sicher erhöht die Erfahrung mit dem Versuch, selbst unter systematischer Anleitung zu schreiben, das Verständnis und den Sinn des Studenten für Literatur, wenn er liest." David Lodge zur gleichen Frage live:

    Zwar kann jeder eine Geschichte schreiben und jedem kann geholfen werden, seinen Stil und seine Erzählfähigkeit zu verbessern, aber das heißt nicht, dass das Endprodukt von literarisch wertvoll ist. Denn gute Autoren haben etwas, was kein Lehrer vermitteln kann: Den Instinkt dafür, zu wissen, was Leser interessiert. Deshalb sage ich immer: Erfolgreiche und gute Schriftsteller begeben sich in die Position des Lesers und fragen sich unablässig: Ist das plausibel? Ist hier ein Klischee? Wäre ich an dieser Stelle vielleicht gelangweilt und würde lieber den Fernseher anschalten ? Denn ich weiß als Autor: Nichts wird von den Menschen weniger benötigt als ein weiteres Buch.

    Dieses Jahr sind knapp 10 000 Neuerscheinungen auf den Markt gekommen, im Belletristikbereich sind - auch in England - junge Autoren besonders gefragt: Wie zum Beispiel Simon Noian, William Sutcliffe, Alex Garland, Zadie Smith. Einlassungen zu diesem Thema, das sei gleich hier gesagt, fehlen leider in der Essaysammlung "Das Handwerk des Schreibens". Aber David Lodge, seit rund 40 Jahren im Geschäft, sieht - so viel wird bei unserem Gespräch klar - den Triumphzug der jungen Garde mit gemischten Gefühlen:

    Ich verfolge dieses Phänomen mit Interesse: Viele der jüngeren Autoren schreiben in Ich-Form und bleiben mit ihren Texten an der Oberfläche der Wirklichkeit. Sie schauen nicht ins Innenleben ihrer Figuren. Kommt mir vor wie eine Art Wiederaufarbeitung von Camus' DER FREMDE. Existentialistische Verhaftung in der Gegenwart, ohne emotionale Tiefen, ohne Verbindung mit der Vergangenheit und ohne Zukunftssorgen. Die Schilderung eines unbeeindruckten, oberflächlichen Lebens. Scheint so, als wäre der alte psychologische Roman nicht besonders interessant für die Jungen.

    Die Verantwortung zu tragen für das, was verschiedene Figuren denken und sagen. Und Urteile über sie abzugeben. Sie überlassen diese ganze Arbeit dem Leser. Was solls. Die Kultur ändert sich eben. Zwecklos, das zu bedauern.


    Aber für diese Veränderung in der Romankultur muss es Ursachen geben. David Lodge arbeitet an dem Thema für eine Vortragsreise durch US-Amerikanische Universitäten und hat sich deshalb Gedanken darüber gemacht:

    Man kann sagen, das kommt weil die Ideologien eingegangen sind oder weil die Religion tot ist - wenn sie eine weitgefasste philosophische Erklärung haben wollen. Denn die Idee seelischer Tiefe fußt auf einer altmodischen humanistischen und religiösen Vorstellung von der Einzigartigkeit des individuellen Selbst und seiner Seele. Aber die Welt des Westens ist heute eher profan, wir haben da einerseits zwar neue Tendenzen zum Aberglauben, jedoch keine Religiosität mehr. Das heißt, wir erleben den totalen Mangel an Transzendenz. In Europa sind wir uns darüber einig was wir wollen: ein gutes, erfreuliches Leben mit allen Dingen die dazugehören. Dies hat vielleicht auch die moderne, eher an der Oberfläche bleibende Art von Fiktion zur Folge. Und wenn das Leben in diesen Romanen so banal scheint, dann weil das moderne Leben banal ist.

    Er wischt seinen Pony aus braunen, nur leicht graumelierten Haaren vom Scheitel weg nach links, lehnt sich zurück und schlägt die Beine übereinander. Bei der nächsten Frage gibt's Probleme: Das Hörgerät ist verrutscht. Seit 1984 hört David Lodge zunehmend schlechter, umso älter ich werde, desto wichtiger sind mir die Bücher sagt er. Und: Schreiben ist Widerstand gegen den Tod. _Erfahrungen bewahren. Indem andere sie lesen. Auch in Lodges Essayband "Das Handwerk des Schreibens" ist das Thema enthalten und zwar in dem Text überschrieben mit "Der Roman als Kommunikation". Aber leider wird auch hier alles in Grund und Boden akademisiert. Scheinbar gehört zu Lodges gutem Essayton auch, sämtlichen Argumenten die Spitze zu nehmen, sie zu wohltemperierten farblosen Satzhülsen zu glätten. Er beginnt also mit der braven Binse: "Der Roman ist eine Form des Erzählens." Über höchstens proseminartaugliche Erläuterungen sämtlicher Romanformen und Erzählerspektiven, versteigt Lodge sich anschließend zu Benjamins These Romanelesen fördere schändlichen Eskapismus. Und von da geht's zu dem französischen Strukturalisten Roland Barthes, der ebenfalls beweist, dass Romaneschreiben keine Kommunikation sei. Denn schließlich gebe es ebenso viele Deutungen eines Buches wie es Leser gebe. Punkt. Absatz. Die Gelehrten treten ab. Das Schlusswort hat Bestsellerautor David Lodge und er schreibt: "Außerhalb der Universitäten, so muss gesagt werden, sind die meisten Autoren und Leser von Romanen noch immer vom Kommunikationsmodell des literarischen Textes überzeugt." In weiteren ungeheuerlich gewundenen freudlosen Satzkonglomeraten findet Lodge dann zu dem Eingeständnis, dass er auch dazugehört. Für ihn ist Romaneschreiben Kommunikation, und er braucht sie:

    Früher war es mir ein Vergnügen zu schreiben, aber von Mal zu Mal wird es anstrengender. Ich mag es, einem Buch den letzten Schliff zu geben. Aber mir eine neue Geschichte auszudenken und die erste Fassung niederzuschreiben, das finde ich zunehmend schwierig und mühsam. Ich mache es weiter, weil mein Selbstbewusstsein untrennbar mit dem Schreiben verbunden ist. Aber ich muss gestehen, ich fürchte mich mehr und mehr vor jedem neuen Buchprojekt. Als ich jung war, kamen die Geschichten auf mich zu. Ich schrieb, ohne mich anstrengen w müssen. Nun bin ich älter und anspruchsvoller geworden und das macht mir diese Arbeit offenbar nicht leichter.

    In einem jahrzehntealten Guardian-Interview hat Lodge den Stier mal bei den Hörnern gepackt und eingestanden, dass Literaturprofessoren manchmal nicht anderes tun als das unschuldige Vergnügen der Leser an einem Roman zu zerstören. Indem sie nämlich ihre ganze Karriere darauf verwenden zu beweisen, dass das Verständnis von Literatur eine immens komplizierte Sache sei. Vielleicht ist das Ehrensache unter Kollegen. Es mag auch noch zur üblichen Zurichtung von Literaturstudenten, gehören. Aber alle, die dem Apparat glücklich entkommen sind und trotzdem noch Literatur lieben, für die ist David Lodges jüngstes auf Deutsch erschienenes Buch "Das Handwerk des Schreibens" eher ein Albtraum. Allen anderen sind einfach nur gelangweilt. Und wie sagte der Autor noch: Nichts wird von den Menschen weniger benötig als ein weiteres Buch. Dies gehört dazu. Aber zu seiner Ehrenrettung muss an dieser Stelle noch gesagt werden, dass David Lodge mit seinen Romanen den Lesern in vielen Ländern dieser Erde zu einer Menge vergnüglicher Lesestunden verholten hat.