Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


"Das hat sehr viel bedeutet für die Menschen hier"

Als US-Außenministerin Hillary Clinton jüngst den Kongo besuchte, war das ein politisches Signal auch an den Nachbarstaat Ruanda. Beide Länder sind seit dem Völkermord 1994 in Ruanda in Konflikt. Jetzt hofft Grünhelm-Chef Rupert Neudeck auf einen Neubeginn.

21.08.2009
    Christoph Heinemann: Außenministerin Hillary Clinton ist nicht eben bekannt dafür, dass sie schnell aus der Haut fährt, aber bei einem Treffen mit Studenten während ihrer Afrika-Reise Mitte des Monats in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa war sie dann doch sichtlich pikiert über eine Frage nach der Meinung ihres Mannes, des amerikanischen Ex-Präsidenten Bill Clinton. "Ich bin die Außenministerin", sagte Hillary, "ich bin nicht das Sprachrohr meines Mannes". Diese Episode ist inzwischen im Internet um die Welt gegangen, sollte aber nicht das Einzige sein, was auf dieser Reise meldepflichtig war. – Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur und Grünhelme, hält sich in der Region auf. Wir erreichen ihn jetzt in der Grenzstadt Bukawo zwischen Ruanda und Kongo auf kongolesischer Seite. Herr Neudeck, allein der Besuch der US-Außenministerin in der Republik Kongo bedeutete schon eine Abkehr vom bisherigen Kurs der Amerikaner?

    Rupert Neudeck: Ja, ganz gewiss, Herr Heinemann. Das war eine ganz große Wende der amerikanischen Politik. Jedenfalls hat man das hier in der Demokratischen Republik Kongo, aber auch in Ruanda so verstanden, denn bisher war Ruanda der Liebling der amerikanischen US-Administration und jetzt ist demonstrativ die US-Außenministerin bei ihrem ersten Besuch eben in den Kongo gegangen und dann noch in die Hotspot-Region Goma, also in den äußersten nördlichen Teil. Das hat sehr viel bedeutet für die Menschen hier, weil es ja eigentlich darauf ankommt, diese kriegerische Situation, die jetzt hier seit 15 Jahren anhält – 15 Jahre ist es her, dass der furchtbarste Völkermord auf Afrikas Boden hier stattgefunden hat, in dieser Region, wo ich mich jetzt aufhalte, also hauptsächlich eben in Ruanda, aber der Kongo hatte ja große Nachwehen von diesem Völkermord, dadurch, dass eben die Völkermörder-Armeen hier rübergegangen sind in den Kongo hinein und haben hier bis heute für Unruhe gesorgt -, das soll jetzt durch eine Vereinbarung auch der beiden Präsidenten des Landes, die sich kurz vor dem Besuch von Hillary Clinton in der Grenzstadt Goma getroffen haben, nämlich von Paul Kagame, dem Präsidenten von Ruanda, und von Kabila, dem Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, ein für allemal beendet sein und das könnte natürlich für die afrikanischen Dinge eine Wende sein, denn wenn diese beiden Staaten, der unglaublich rohstoffreiche Kongo und Ruanda, dann zusammenkommen, dann könnte das eine unglaublich große Zukunft für die Afrikaner bedeuten, wenn – das ist immer die große Frage – das auch jetzt dann hält.

    Heinemann: Sie haben das Gipfeltreffen der Präsidenten erwähnt. Kann man sagen, dass der Besuch der US-Außenministerin zur Entspannung zwischen Ruanda und Kongo beigetragen hat? Ist das spürbar?

    Neudeck: Ganz gewiss ist das so gewesen, denn das hat beiden Partnern, im Kongo wie in Ruanda, bedeutet, wir müssen jetzt hier zusammenarbeiten, wir müssen die Phase der gegenseitigen Feindschaft, der gegenseitigen Übergriffe über die Grenzen, der gegenseitigen militärischen Auseinandersetzungen, ein für alle Mal beenden. Das haben die beiden Präsidenten in einer sehr feierlichen Deklaration auch gegenseitig sich beschworen. Es kommt dazu, dass hier in der Region ein neuer Vizegouverneur für Furore sorgt, für positive Furore sorgt, und das ist jemand, der in Deutschland bekannt ist oder bekannt werden sollte. Das ist jemand, der 15 Jahre in Deutschland gearbeitet hat, Bau- und Bahningenieur geworden ist, und den Namen Jean-Claude Kibala trägt. Der ist jetzt hier Vizegouverneur der nördlichsten Provinz des Kongo und Kibala versucht eben, diesen Staat, den es noch kaum mehr gibt, nach der 30-jährigen furchtbaren Kleptokratie von Mobutu, er versucht diesen Staat, der immer noch auf dem Kopf steht, jetzt auf die Füße zu stellen, und dabei sollte man ihm wirklich in aller Kraft von außen helfen, auch vonseiten der Europäischen Union und auch vonseiten der deutschen Bundesrepublik. Ich denke, das lohnt sich. Dieser Mann versucht hier das Äußerste an Überwindung aller Hemmnisse, aller korrupten Hemmnisse, die bisher im Kongo stattgefunden haben und hier noch immer stattfinden, er versucht, den Staat wirklich auf die Füße zu stellen; dabei sollte man ihm helfen.

    Heinemann: Mit welchen Mitteln? Was benötigt er?

    Neudeck: Er braucht zumindest die Grundausstattung, die man für die staatliche Reform braucht. Das heißt, er braucht die Mittel, um eine eigene Polizei aufzubauen. Er schimpft immer darüber, dass die UNO eine UNO-Truppe hier im Lande hat, die mit ganz großen Mitteln ausgestattet ist, die aber eigentlich eher in Kasernen herumsitzt und nichts bedeutet und nichts macht. Das wäre etwas. Wenn die Mittel, die für die UNO-Polizei hier aufgeworfen werden, für Kibalas Administration und für die Polizei ausgeworfen werden, dann könnte hier etwas gelingen.

    Heinemann: Herr Neudeck, US-Außenministerin Hillary Clinton hatte während ihres Besuches die kongolesische Regierung aufgefordert, der sexuellen Gewalt gegen Frauen in dem kriegszerrütteten Land ein Ende zu setzen. Unter welchen Folgen des Krieges leiden die Menschen in der Region bis heute?

    Neudeck: Jeder in dieser Region hat irgendetwas in seiner Familie, was ihn zu Trauer und Leid veranlasst und was ihn auch misstrauisch macht. Niemand hier, in keiner Familie gibt es nicht jemanden, der nicht Folgen dieser furchtbaren Auseinandersetzungen hat. Deshalb muss hier endlich der Auseinandersetzung mit den Rebellen, die hier immer noch in den Urwäldern, den Regenwäldern herumstreunen – das nennt sich in der Abkürzung FDLR; das sind eben diese ehemaligen Hutu-Rebellen, die Völkermörder-Rebellen -, wirklich das Handwerk gelegt werden. Auch dazu haben die beiden Präsidenten gesagt, dass sie beide jetzt wild entschlossen sind, etwas zu tun, dass sie diesen FDLR-Rebellen, den ehemaligen Hutu-Rebellen, das Handwerk legen, damit endgültig hier die Ära und Periode der Gewalt, der Vergewaltigung von Frauen, der Vergewaltigung der Zivilbevölkerung ein Ende gemacht wird. Auch das klingt für die Bevölkerung sehr hoffnungsvoll, es muss nur alles jetzt umgesetzt werden, es darf nicht bei feierlichen Deklarationen und Reklamationen bleiben.

    Heinemann: Stichwort "umgesetzt werden", Herr Neudeck. Die Bundesregierung beklagt auch eine stockende Integration ehemaliger Rebellen in die offizielle kongolesische Armee. Das war ja nach der Verhaftung des Rebellenführers Laurent Nkunda Anfang 2009 angestrebt worden. Warum geht das so schleppend vor sich beziehungsweise funktioniert überhaupt nicht?

    Neudeck: Das hat natürlich damit zu tun, dass, wie man immer wieder sagen muss, dieser Staat als Staat, wie wir ihn in Europa verstehen, noch nicht einmal begonnen hat, als solcher zu existieren. Man muss da sehr bescheiden sein und darf diese Menschen, die das jetzt versuchen, wie eben Jean-Claude Kibala, nicht überfordern, man darf das nicht als eine Aufgabe fordern, die von heute auf morgen oder von einem Monat zum anderen geschehen kann. Ich denke, die Regionen hier im Norden und Süden um den Kivu-See herum sind auf einem guten Wege, und wenn es dazu kommt, dass das Beispiel Ruandas, das ja eine wirtschaftliche Blüte gegenwärtig erlebt aufgrund einer sehr ehrgeizigen Politik der gegenwärtigen Regierung, wenn dieses Beispiel übergreift und hier wirtschaftliche Erfolge bei der Bevölkerung erkennbar werden, wenn hier Handel und Wandel, wenn hier eine gemeinsame Zollzone entstehen könnte zwischen Borundi, zwischen Ruanda und dem Kongo um den Kivu-See herum, dann werden diese Aufgaben, die Sie eben genannt haben, sicher besser umsetzbar sein, dann wird dieses Problem sicher verschwinden, weil die Menschen einfach dann die Aufgabe haben, sich selbst für ihren eigenen Wohlstand und für ihr eigenes Gemeinwesen einzutreten, dann werden diese Dinge greifen. Aber man muss geduldig sein, das wird alles nicht von heute auf morgen passieren.

    Heinemann: Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur und Grünhelme, direkt aus Bukawo, der Grenzstadt zwischen Kongo und Ruanda auf kongolesischer Seite. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Neudeck: Auf Wiederhören!