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Das Innere der Natur

In der Stuttgarter Ausstellung werden die Arbeiten des Bauhaus-Künstlers Fritz Winter mit Werken der Gegenwartskunst konfrontiert. Das sei meist sehr gelungen, meint Christian Gampert.

Von Christian Gampert |
    Gleich im ersten Raum zeigt sich, wie modern der Maler Fritz Winter schon in den 1930er-Jahren war: Die grauen Zellstrukturen, die sich in seinen Zeichnungen ausstülpen und teilen, sind immer seriell, in Serien gedacht, in Wachstums-Prozessen. Wie ein Wissenschaftler wollte Winter der Natur quasi mikroskopisch zu Leibe rücken - und dabei etwas von ihrem "Wesen" verstehen und von ihrer Poesie.

    Es liegt diesen Werken also durchaus auch ein metaphysisches Bedürfnis zugrunde. Das teilt Fritz Winter mit seinem Lehrer Paul Klee, von dem er am Bauhaus ausgebildet wurde. Auch das meist Kleinformatige und Kleinteilige seiner Bildwelten könnte auf Klee zurückgehen, in anderen Bildern vernimmt man Anklänge an Kandinsky. "Das Innere der Natur" heißt die Ausstellung, und die Kuratorin Julia Bulk will mit diesem Titel eine oft übersehene Facette des Bauhauses ins Spiel bringen.

    Julia Bulk:
    "Wenn man heute an das Bauhaus denkt, denken die meisten an ganz klare Formen, an den Bereich Architektur und Design. Aber das Bauhaus hatte schon auch so eine esoterische Seite. Insofern ist es nicht so außergewöhnlich, die verbinden zu wollen. Ich glaube, dass gerade in der Verbindung von kristallinen und runden Formen man das bei Fritz Winter sehr schön sehen kann. Und dass da Arbeiten entstanden sind, die einfach sehr befriedigend sind, wenn man da draufguckt."

    Fritz Winter hatte mit Kunst aber zunächst gar nichts zu tun: Als Sohn eines Bergmanns absolvierte er eine Schlosserlehre und fuhr dann auch in den Schacht. 1924, also erst als 19jähriger, unternahm er erste Malversuche, drei Jahre später war der Hochbegabte am Bauhaus.

    Die Erlebnisse unter der Erde aber prägen auch das Werk: "tektonische Strukturen" heißt eine ganze Abteilung der Ausstellung, wo noch in Bildern der 1950iger und 60iger Jahre Gitterwerk erkennbar ist, das sich gerüstartig aus der Erde herauszuwinden scheint. Außer für die organischen "Zellen", der Nahsicht auf die Mikro-Einheiten der Natur, interessierte sich Winter malerisch aber auch für den Weltraum, die Planeten, die Unendlichkeit - und für das Anorganische, für kristalline Strukturen und ihre Lichtwirkungen. "Lichtbündelbilder" nennt das die Kunstwissenschaft, und in der Tat lassen sich in diesen teilweise großformatigen Werken Lichtsäulen erkennen, deren Materialität sich in lasierenden Malschichten aufzulösen scheint.

    Die Kristalle haben Fritz Winter ein Leben lang begleitet, ebenso wie seine Gesteinssammlung - aber die Bilder wurden immer abstrakter. Schon in den 1930er-Jahren waren Winters Techniken avanciert, er arbeitete mit Schablonen, mit Frottage, mit Lasur, die Bildtitel heißen "Lineare Komposition" oder "Triebe". Den Nazis konnte all dies nicht gefallen, sie belegten Winter mit Mal- und Ausstellungsverbot. Sechs Kriegsjahre war Winter Soldat, er wurde schwer verwundet, erst 1949 kam er aus russischer Gefangenschaft frei - verlorene Jahre, in denen er nur in Notizbüchern zeichnen konnte. Schon 1944 aber hatte er, in einem Fronturlaub, einen großen Zyklus mit dem Titel "Triebkräfte der Erde" gemalt: das lebensspendende Licht, das gegen das Dunkel der Welt sich behauptet - was später in einem pantheistischen Sinne als Zeichen der Hoffnung verstanden wurde.

    In der Nachkriegszeit war der abstrakte Maler Fritz Winter dann ein bekannter Mann: jede Menge Ehrungen, Teilnahme an den ersten beiden "documenta", Professor in Kassel. Seine Zellformen werden im Spätwerk bunt aufgebrochen, Kreisformen werden zackig durchbohrt, und er malt seltsamerweise oft mit Filzstift ... Dass Winter heute jedoch nur Insidern geläufig ist, liegt sicherlich daran, dass seine eher bescheiden daherkommende Nachkriegskunst im Rückblick überlagert wird vom Abstrakten Expressionismus und der Pop-Art.

    In der Stuttgarter Ausstellung werden Winters Arbeiten nun konfrontiert mit Werken der Gegenwartskunst - und meist ist das sehr gelungen. Die polnische Plastikerin Maria Bartuszová bricht die schützende Membran des Zellkerns in ihren Gipsgüssen auf; Olafur Eliasson antwortet mit seinen kristallinen Licht-Modulen und geometrischen Schattenspielen auf Winters Kristallbilder. Wolfgang Flads biomorphe Skulpturen übersetzen Winters Tektoniken ins Dreidimensionale. Also: Winters Themen leben weiter - den am Bauhaus geschulten Metaphysiker Fritz Winter aber müssen wir für uns erst wieder entdecken.