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Das Innere nach außen kehren

Die Skulpturen der Rachel Whiteread passen wirklich gut in das Kunsthaus Bregenz, in diesen von lauter Glaslamellen umschlossenen Betonkubus des Peter Zumthor. Denn so kahl und konzentriert wie dessen Räume sind auch die minimalistischen Arbeiten der 42-jährigen Engländerin, die mit dem Betonabguss eines Londoner Einfamilienhauses 1993 schlagartig berühmt wurde. Hier präsentiert sie nun für jeden Museums-Stock ein Thema: Walls, Doors, Floors und Stairs.

Von Christian Gampert |
    Whiteread versucht mit ihren Arbeiten, den leeren Raum zu füllen - und das meint das rein physische Volumen ebenso wie eine psychische Leerstelle. Wir sehen, wie bei einer Totenmaske, nur die Außenseite der Dinge - aber dadurch, dass ganze Möbel, Zimmer oder Häuser abgegossen und zum Teil eben auch ausgegossen werden, bekommt das Verfahren Masse und eine abstrakte, traurige Monumentalität. Whitereads Londoner "House" wurde tatsächlich innen mit Beton gefüllt (und später zerstört); andere Werke, die transportiert werden müssen, sind aus Gips, Gummi oder Polyester gefertigt.


    Das Büro der Londoner BBC-Zentrale, das uns in Bregenz im obersten Stock als wuchtiger Klotz gegenübersteht, ist auf die wesentlichen Formen reduziert: glatte, an manchen Stellen schrundige weiße Wände, ausgestülpte Fenster-Erker - ein bunkerartiger Käfig, ein Grabmal. Wenn man dann noch weiß, dass in diesem Raum während des zweiten Weltkriegs George Orwell arbeitete und dass dieses Büro das Vorbild für die Folterkammer in "1984" war, dann wird auch Whitereads Arbeitsweise klar: Sie reduziert die Dinge auf geometrische Formen und Volumina, aber sie lädt sie, gerade durch diese scheinbare Neutralität, mit Assoziationen und Erinnerungen auf - auch bei den hier präsentierten "Floors", den patinierten Bronzeabgüssen von Fußböden, deren berühmtester den Bodenbelag des Münchner Hauses der Kunst zitiert. Der Boden existierte dort schon Mitte der Dreißiger Jahre, und wer sich anstrengt, kann sich nun vorstellen, wie sich die Schritte der Nazis in diesen Boden eingegraben haben - die damals ihre Definition von "Entarteter Kunst" durchsetzten.

    Rachel Whiteread ist aber keine verbiesterte Konzeptkünstlerin, sondern, auch als Person, eine freundliche Mischung aus Neugier, Humor und engagierter Ernsthaftigkeit. Als Jugendliche, Ende der siebziger Jahre, da sei sie politisch gewesen, erzählt sie, Anti-Racism, Ökologie, Greenpeace, diese Sachen.

    "Als ich 15 war, hab ich mich in der Schule mehr für Naturwissenschaften interessiert. Meine Mutter war Künstlerin, und sowas wollte ich auf keinen Fall werden - einfach, weil sie es schon war. Am Ende der Schulzeit dachte ich dann: Sei doch nicht blöd - Kunst ist doch das, was du machen willst. Und so ging ich mit 20 auf die Kunsthochschule und malte vor allem. Aber dann, als ich mein Postgraduate machte, hatte ich mich schon für die Plastik entschieden. Und seitdem mache ich das."

    Und sie macht das, weil sie gern beobachtet - und die Dinge das wieder auf eine abstrakte Form reduziert. Und wenn sie eine Form und vor allem: einen Ort gefunden hat, dann setzt sie auch etwas durch: die Wiener Stadtväter, die das bei ihr bestellte Holocaust-Mahnmal vom Judenplatz an einen anderen Ort verpflanzen wollten, sind an ihrem Widerspruchsgeist gescheitert.

    In Bregenz aber geht es auch um Surreales: ein riesiger Raum ist da mit an den Betonwänden lehnenden Tür-Abgüssen bestückt - das gibt der Szene etwas Unheimliches, und die einzige wirkliche Tür des Stockwerks bekommt eine ganz neue Bedeutung. Und vor Whitereads Türen stehen sehr reale Türhüter - die Damen von der Museumsaufsicht nämlich, die uns sagen: bitte nicht berühren.

    In der Eingangshalle sieht man Whitereads "Staircases", ein raumgreifender Block aus zur Seite und kopfüber gekippten Treppen, die nach oben in ein Betongehäuse führen. Das ist das neueste Werk: der Escher-Effekt. Inside-Out, Upside-Down. Diese Treppen ins Nirgendwo haben aber auch Alltagsspuren, Flecken und Flechten, sie konservieren Geschichten, Wünsche und Träume, und das unterscheidet Whiteread von den meisten glattpolierten Minimalisten:

    "Als Studentin habe ich vor allem die Amerikaner angeschaut. Aber der Unterschied zwischen Donald Judd und mir ist: Ich mach "Minimalismus mit Seele", mit Herz. Ich mag diesen Ausdruck nicht besonders - aber es ist vielleicht eine treffende Art, meine Arbeit zu erklären."
    Die britische Künstlerin Rachel Whiteread
    Rachel Whiteread (Rachel Whiteread, Gagosian Gallery)