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Das irdische Paradies

Der sogenannte Perseus-Zyklus bildet das Fundament einer Schau über den englischen Präraffaeliten Edward Burne-Jones in der Stuttgarter Staatsgalerie. Das übliche Bild von Burne-Jones als Kitsch-Künstler wird dort allerdings verworfen.

Von Christian Gampert |
    1971 landete die Stuttgarter Staatsgalerie einen großen Coup: Für billiges Geld kaufte man von einem Privatsammler den Perseus-Zyklus des englischen Präraffaeliten Edward Burne-Jones, für den sich auf dem Kontinent niemand interessierte. Diese meist in tiefes Blau getauchte, großformatig erzählende Serie bildet nun den Grundstock einer Schau, die den stets unter Kitschverdacht stehenden Burne-Jones neu zu fassen sucht: als Universalkünstler, der als Maler, Zeichner, Raumausstatter, Möbelentwerfer, Buchillustrator, Designer von Glasfenstern, Tapeten und Bild-Teppichen tätig war und den schmutzigen Rauchschwaden des Frühkapitalismus ein Reich des Schönen entgegensetzte.

    Man muss diese symbolistischen Gefühligkeiten nicht lieben, aber man kann sie, als Signale einer vergangenen Epoche, durchaus schätzen - wenn sie, wie in Stuttgart, kühl inszeniert werden. Schon der Perseus-Zyklus zeigt nämlich, wie stark Burne-Jones in den Kraftfeldern des Viktorianismus hin- und hergerissen wird, wie machtvoll das Triebleben die prüden Engländer bedrängt und im Mythos sublimiert werden muss: Der Held Perseus befreit eine verführerisch nackte Andromeda von ihrem Schicksalsfelsen und tötet das angreifende Ungeheuer; im letzten Bild aber schaut eine nunmehr züchtige Gattin Andromeda mit Perseus – jetzt im ehelichen Hortus Conclusus - auf das Schreckenshaupt der Medusa, das sich in einem Brunnen spiegelt. Trieb erkannt – durch Heirat gebannt.

    Die Bildfindungen zu diesem Zyklus sind in vielen Skizzen und Zeichnungen zu bewundern, und hier zeigt sich, dass Burne-Jones, trotz seiner düster-melancholischen Farbigkeit, weniger Maler als vielmehr Zeichner war. Seine Virtuosität mit dem Stift wiederum hängt damit zusammen, dass er schon früh die vielfältigsten Aufgaben als Designer bewältigt hatte, von der jugendstil-beeinflussten Wandbespannung bis zum Kirchenfenster.
    Burne-Jones stammte aus der Industriestadt Birmingham; gemeinsam mit seinem Freund, dem späteren Fabrikanten und Dichter William Morris, studierte er zunächst Theologie – und der Impetus des Weltverbesserers ist in seiner Kunst immer präsent: Man idealisiert die italienische Renaissance und schafft wenigstens künstlerisch ein (von Morris so genanntes) irdisches Paradies. Auch die frühe Arbeiterbewegung neigte ja zu Pathos und Dramatisierung, und Burne-Jones ist, trotz seiner Schwäche für Bibel, Sagen und Mythologie, für Antike, Mittelalter und Romantik, im Grunde ein Seelenverwandter.

    In Stuttgart kann man nun den Reichtum dieses Werks abschreiten; durch netzwerk-gesteuerten Zufall haben die Kuratoren auch von Privatsammlern seltene Stücke in die Hände bekommen, Fotoalben, Dokumente, das einzige fertiggestellte Relief des Perseus-Zyklus – und nicht zuletzt das erschlagend monumentale Großformat vom "Schlaf des Königs Artus", das man aus einem Museum in Puerto Rico ausleihen konnte. Das ist zwar in den Details offenbar von Hilfskräften gearbeitet, Burne-Jones hat sonst viel bessere Gesichter gemalt, aber es taucht den Besucher gleich zur Begrüßung atmosphärisch in die Welt von Avalon, in das Ungefähre, Allegorische und Große, das sich dann in all den Bildern von Drachentötern, Gralssuchern und schlafenden Dornröschen fortsetzt.

    Weil Burne-Jones auch ganze Häuser ausstatten musste, arbeitete er mit der modernen Bildstrategie der Serie. In den sachlichen Räumen der Alten Staatsgalerie wirkt das besonders gut, der Pygmalion-Zyklus von 1878 und vor allem der Amor-und-Psyche-Zyklus. Wenn man den Geliebten erkennt, entschwindet er wieder - in Stuttgart ist dieses schmale, hohe, nächtliche Diptychon in einer abschließenden Apsis wunderbar inszeniert: Amor fliegt davon, und die enttäuschte Psyche schaut ihm nach.