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"Das ist ein Versuch der Regierung, alles wieder in Schach zu kriegen"

"Ich denke, dass diese Welle der Bewegung mit nichts aufzuhalten ist", sagt die in Berlin lebende Exil-Iranerin Nasrin Bassiri, Politologin und Journalistin über die Proteste im Iran. Da helfen auch die Versuche der Regierung, das Volk zu verunsichern, nicht.

Nasrin Bassiri im Gespräch mit Christoph Schmitz | 14.12.2009
    Christoph Schmitz: Seit Neuestem dürfen Sprecherinnen des iranischen Fernsehens nicht mehr geschminkt auftreten. Das Kopftuch tragen sie schon länger. Pläne liegen vor, nach denen Frauen im Fernsehen und im Radio nur noch von Frauen interviewt werden sollen. Und Studierende sollen nach Geschlecht getrennt werden und alleine studieren jeweils. Ende August, kurz vor dem Beginn des akademischen Jahres im Iran, hielt der geistliche Führer Ali Chamenei eine kulturpolitische Rede. Sie könnte als Beginn eines zweiten Kulturkampfes nach der islamischen Revolution von 1979 in die Geschichtsbücher eingehen. Chamenei beklagte, es gebe zu wenige Lehrer und Professoren, die ein islamisches Weltbild verbreiteten. In den Geistes- und Sozialwissenschaften sei es notwendig, die Inhalte im Kontext des schiitischen Islam zu interpretieren. Materialismus und Unglauben würden in diesen Fächern derzeit gedeihen, Nährboden für die sanfte Revolution der Studenten. Die in Berlin lebende Exil-Iranerin Nasrin Bassiri, Politologin und Journalistin, beobachtet die kulturpolitischen Bewegungen im Iran. Haben Sie den Eindruck, dass das Regime seit August wirklich einen substanziellen Kulturkampf führt und konsequent umsetzt?, habe ich Sie zuerst gefragt.

    Nasrin Bassiri: Ja, die iranische Revolution führt eigentlich seit 30 Jahren kontinuierlich diese Revolution durch, also kulturelle Revolution. Ich sehe das nicht als eine große oder wichtige Veränderung, weil es gibt immer Auf und Ab, es gibt immer eine Wellenbewegung, es gibt keine so geradlinige Bewegung. Und immer werden die Menschen protestieren, immer wenn es Unruhen gibt. Dann versucht die Regierung eigentlich durch Verunsicherung der Menschen - sei es die Studierenden, sei es die Frauen - also man versucht, die Menschen zu verunsichern, damit sie sich weniger trauen, auf die Straße zu gehen, zu protestieren und scharfe Töne einzuschlagen.

    Schmitz: Aber bisher scheinen doch die Universitäten trotz der großen islamischen Kulturrevolution '79 ein Hort relativ freien und kritischen Denkens geblieben zu sein, denn die Proteste kommen ja maßgeblich von den Universitäten. Will das Regime auch wegen der Studentenproteste jetzt im Umfeld der Wahlen diese Bastion endgültig stürmen?

    Bassiri: Diese Bastion lebt noch weiter, trotz vieler Stürme und trotz vieler Angriffe. Also es gelingt der Regierung nicht, die Universitäten und die Studierenden zu verunsichern. Das, was Sie genannt haben, diese zweite Kulturrevolution, wird so von der Regierung genannt, so wird es auch von der Geistlichkeit genannt, aber das spielt eigentlich heute keine Rolle. Der eigentliche Kampf findet auf der Straße statt, der eigentliche Kampf findet statt, wo die Menschen versuchen, die Tabus zu brechen. Das ist nur ein Versuch, ein verzweifelter Versuch der Regierung, alles wieder in Schach zu kriegen. Aber die iranische Jugend, die iranische Gesellschaft ist jung, modern und wird sich gar nicht von dieser von Obrigkeit ausgesprochene Einschränkungen gar nicht eingehen. Also die müssen ja Instrumente haben, um das alles durchzusetzen. Die Menschen an den Universitäten, die Professoren, die Studierenden, die sind alle nicht bereit und nicht willig, das, was von oben angeordnet wird, gleich umzusetzen.

    Schmitz: Aber dennoch ist ein Studentenführer wegen einer Rede kürzlich verhaftet worden und zum Hohn in der Öffentlichkeit in einen Tschador gekleidet und fotografiert worden, als habe er als Frau verkleidet flüchten wollen. Nun ziehen Männer massenweise Frauenkleider an und lassen sich darin fürs Internet fotografieren. Wie stark ist denn der Widerstand und von welcher Dauer?

    Bassiri: Also ich denke, dass diese Welle der Bewegung mit nichts aufzuhalten ist. Das ist nicht nur mein Wunschdenken, sondern ich habe den Eindruck, dass die Menschen so kreativ sind und so hartnäckig und so gewillt sind, das alles nicht mehr auf sich zu nehmen, dass sie immer mit neuen Methoden, mit kreativen Ideen versuchen, in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass diese islamische Regierung ausgedient hat.

    Schmitz: Aber können die Studenten und Intellektuellen, die Professoren, das Volk, die Bevölkerung insgesamt mitnehmen?

    Bassiri: Das Volk ist bereits mitgenommen. Also man kann jetzt nicht so eine große Kluft zwischen jungen Menschen an den Universitäten und der Mittelschicht feststellen. Es gibt schon eine Schicht, einen bestimmten Teil der Bevölkerung, der fanatisch ist, das diese Regierung weiterhin unterstützt, die muss man auch nicht außer Augen lassen. Aber der große Teil der iranischen Bevölkerung ist auch durch Modernisierung nicht nur auf geistlicher Ebene, sondern was die Produktionsformen und die wirtschaftliche Struktur betrifft. Also die Menschen müssen modern sein, um damit umgehen zu können.

    Schmitz: Über den iranischen Kulturkampf hörten Sie die Exil-Iranerin, Politologin und Journalistin Nasrin Bassiri, die in Berlin lebt.