Holger Noltze: Am Telefon ist Iris Radisch, Literaturkritikerin der Zeit. Frau Radisch, als ich Sie heute Nachmittag angerufen habe, da haben Sie einen kleinen Freudenschrei losgelassen. Ich nehme an, Sie sind mit der Entscheidung sehr einverstanden?
Iris Radisch: Ja, sehr einverstanden. Das ist fällig gewesen, wenn nicht überfällig. Es kommt vielleicht gerade noch richtig. Brigitte Kronauer ist ja schließlich 65 Jahre alt und sie hat ein immenses Oeuvre vorzuweisen. Sie hätte den Preis schon lange verdient, und ich freue mich sehr, dass sie ihn endlich bekommen hat.
Noltze: Sie sagen es, man hätte eigentlich fast drauf kommen können, sie ist eine derart konsequente Arbeiterin im Weinberg der deutschen Sprache, dass der Preis früher oder später doch zwingend war.
Radisch: Absolut. Spätestens nach ihrer Trilogie, "Berittener Bogenschütze", "Rita Münster" und dann ihr großartiger Roman "Die Frau in den Kissen" war eigentlich klar, dass sie zu den bedeutendsten lebenden Schriftstellerinnen gehört. Für mich gehört sie immer mindestens in die Riege Walser, Grass, ja, da muss man auch immer Kronauer nennen. Sie ist ein bisschen schwieriger, sie liest sich etwas sperriger, sie ist sprachlich sehr viel raffinierter, manchmal auch manierierter. Deswegen wird sie dann doch nicht in einem Atemzug mit den ganz Großen genannt, aber unter Literaturkennern gehört sie da immer schon hin.
Noltze: Wenn man komplexe Literatur schreibt, und dann so einen Preis bekommt, dann versuchen ja alle, das Komplexe ein bisschen so auf eine Formel zu bringen. Ich zitiere den Vorschlag der deutschen Presseagentur, sie schreibe an "gegen einen nüchternen, entzauberten Blick auf die Welt". Wenn man so will ja, aber doch mit einer selbst messerscharf nüchternen Sprache.
Radisch: Ja, sie ist natürlich keine Poetin, ja, das gibt es ja auch, das war die Friederike Mayröcker zum Beispiel, die ja auch den Büchner Preis schon bekommen hat. Die poetisiert die Wirklichkeit, macht also sozusagen ein Gedicht, auch wenn sie Prosa schreibt. Hier ist das ganz anders: Sie ist sehr genau und sie ist auch sehr sinnlich und auch sehr detailfreudig, die Brigitte Kronauer. Sie hat auch eine große soziale Neugierde, es kommt sehr viel Wirklichkeit in ihren Büchern vor. Sie lebt ja hier in Hamburg, und Hamburg ist auch in fast allen Büchern sehr präsent, das Elbe-Einkaufszentrum, das Alte Land und so weiter. Also es gibt sehr viele Typen, die Bücher sind prall mit Menschen, mit Gesichtern, mit Physiognomien. All das erdet sie in einer gewissen Weise sehr in die bundesrepublikanische Wirklichkeit. Und andererseits hat sie natürlich diese Nachtseite, sie will das, was sie sieht, durchdringen, sie will es natürlich literarisieren, sie will ins Innere der Dinge sozusagen vorstoßen. Da wird sie sehr ambitioniert und da ist ihr manchmal auch schon der Vorwurf des Manierismus gemacht worden, wie ich finde, ganz zu Unrecht.
Noltze: Sie kann auch ganz schön böse sein, nicht nur genau.
Radisch: Ja, sie hat einen sehr scharfen Blick und sie ist oft auch sehr humorvoll. Sie sieht Schwachstellen, sie ist keine Moralistin, sie stellt ihre Figuren nicht bloß, aber sie typisiert sie oft. Ihre Figuren sind manchmal, das sagte sie ja auch eben in dem Zitat, sehr überzogen. Sie hat Lust an der Übertreibung und diese Übertreibung ist natürlich auch entlarvend.
Noltze: Wir müssen noch ein bisschen Biografie und Werk erwähnen: Geboren ist sie nicht in Österreich, wie manche denken, sondern im schönen Essen, im Ruhrgebiet und gelernt hat sie Lehrerin. Wie kam sie zur literarischen Welt?
Radisch: Sie sagt ja, sie wollte immer schon schreiben, sie war Lehrerin und hat auch währenddessen schon geschrieben. Das ist ja eine ganz typische Schriftstellerbiografie, das waren ja viele, Mayröcker, Jandl, ganz viele waren Lehrer. Sie hat dann aufgehört schon recht früh, 1974 hat sie aufgehört und sie lebt hier in Hamburg ein bisschen in den Elbvororten in einem Einfamilienhaus zusammen mit zwei Männern, ich glaube, ihrem Ehemann und einem bildenden Künstler und nimmt hier an dem gesellschaftlichen Leben in Hamburg eigentlich gar nicht teil. Also, man sieht sie nicht, man sieht sie nicht auf großen Veranstaltungen, man sieht sie nicht im Literaturhaus, sie sitzt wirklich in ihrem Gehäuse, das ist ja auch ein Titel, "Frau Mühlenberg im Gehäus", das ist sie auch ein bisschen selbst. Sie sitzt in ihrem Gehäuse in einem kleinen, winzigen Dachstübchen in ihrem Einfamilienhaus und schreibt. Die großen Bücher, wenn Sie mich fragen, was mein liebstes Buch ist...
Noltze: ...das hätte ich Sie fast gerade gefragt...
Radisch: Genau, das muss man auch unbedingt sagen, das ist unbedingt "Die Frau in den Kissen". Das ist für mich wirklich das Opus Magnum. Das ist ein Buch, wie ich es so offen, so aufgerissen in jeder Hinsicht - also da reist wirklich der Horizont auf, da klappt die Welt so einen Spalt weit auf und man kann einmal durchgucken - es ist ein Buch, was mich tief berührt hat. Mit ihrem allerletzten Buch, "Verlagen nach Musik und Gebirge", mit dem hatte ich Schwierigkeiten, "Teufelsbrück", ein Buch, was hier ganz in hamburgischen Farben gemalt ist, also "Teufelsbrück", das ist hier eine Anlegestelle - ich sage immer hier, weil ich ja auch in Hamburg lebe - also eine Anlegestelle an der Elbe und das spielt eben hier in Hamburg. Ein sehr schönes, auch fast kabarettistisches Buch, dann muss man unbedingt auch noch "Rita Münster" erwähnen, ein Frühwerk, und "Berittener Bogenschütze", das sind also Bücher, die hinführten zu diesem großen Buch.
Noltze: Frau Radisch, danke für die Anlegestelle an Brigitte Kronauer, eine würdige Ausgezeichnete.
Iris Radisch: Ja, sehr einverstanden. Das ist fällig gewesen, wenn nicht überfällig. Es kommt vielleicht gerade noch richtig. Brigitte Kronauer ist ja schließlich 65 Jahre alt und sie hat ein immenses Oeuvre vorzuweisen. Sie hätte den Preis schon lange verdient, und ich freue mich sehr, dass sie ihn endlich bekommen hat.
Noltze: Sie sagen es, man hätte eigentlich fast drauf kommen können, sie ist eine derart konsequente Arbeiterin im Weinberg der deutschen Sprache, dass der Preis früher oder später doch zwingend war.
Radisch: Absolut. Spätestens nach ihrer Trilogie, "Berittener Bogenschütze", "Rita Münster" und dann ihr großartiger Roman "Die Frau in den Kissen" war eigentlich klar, dass sie zu den bedeutendsten lebenden Schriftstellerinnen gehört. Für mich gehört sie immer mindestens in die Riege Walser, Grass, ja, da muss man auch immer Kronauer nennen. Sie ist ein bisschen schwieriger, sie liest sich etwas sperriger, sie ist sprachlich sehr viel raffinierter, manchmal auch manierierter. Deswegen wird sie dann doch nicht in einem Atemzug mit den ganz Großen genannt, aber unter Literaturkennern gehört sie da immer schon hin.
Noltze: Wenn man komplexe Literatur schreibt, und dann so einen Preis bekommt, dann versuchen ja alle, das Komplexe ein bisschen so auf eine Formel zu bringen. Ich zitiere den Vorschlag der deutschen Presseagentur, sie schreibe an "gegen einen nüchternen, entzauberten Blick auf die Welt". Wenn man so will ja, aber doch mit einer selbst messerscharf nüchternen Sprache.
Radisch: Ja, sie ist natürlich keine Poetin, ja, das gibt es ja auch, das war die Friederike Mayröcker zum Beispiel, die ja auch den Büchner Preis schon bekommen hat. Die poetisiert die Wirklichkeit, macht also sozusagen ein Gedicht, auch wenn sie Prosa schreibt. Hier ist das ganz anders: Sie ist sehr genau und sie ist auch sehr sinnlich und auch sehr detailfreudig, die Brigitte Kronauer. Sie hat auch eine große soziale Neugierde, es kommt sehr viel Wirklichkeit in ihren Büchern vor. Sie lebt ja hier in Hamburg, und Hamburg ist auch in fast allen Büchern sehr präsent, das Elbe-Einkaufszentrum, das Alte Land und so weiter. Also es gibt sehr viele Typen, die Bücher sind prall mit Menschen, mit Gesichtern, mit Physiognomien. All das erdet sie in einer gewissen Weise sehr in die bundesrepublikanische Wirklichkeit. Und andererseits hat sie natürlich diese Nachtseite, sie will das, was sie sieht, durchdringen, sie will es natürlich literarisieren, sie will ins Innere der Dinge sozusagen vorstoßen. Da wird sie sehr ambitioniert und da ist ihr manchmal auch schon der Vorwurf des Manierismus gemacht worden, wie ich finde, ganz zu Unrecht.
Noltze: Sie kann auch ganz schön böse sein, nicht nur genau.
Radisch: Ja, sie hat einen sehr scharfen Blick und sie ist oft auch sehr humorvoll. Sie sieht Schwachstellen, sie ist keine Moralistin, sie stellt ihre Figuren nicht bloß, aber sie typisiert sie oft. Ihre Figuren sind manchmal, das sagte sie ja auch eben in dem Zitat, sehr überzogen. Sie hat Lust an der Übertreibung und diese Übertreibung ist natürlich auch entlarvend.
Noltze: Wir müssen noch ein bisschen Biografie und Werk erwähnen: Geboren ist sie nicht in Österreich, wie manche denken, sondern im schönen Essen, im Ruhrgebiet und gelernt hat sie Lehrerin. Wie kam sie zur literarischen Welt?
Radisch: Sie sagt ja, sie wollte immer schon schreiben, sie war Lehrerin und hat auch währenddessen schon geschrieben. Das ist ja eine ganz typische Schriftstellerbiografie, das waren ja viele, Mayröcker, Jandl, ganz viele waren Lehrer. Sie hat dann aufgehört schon recht früh, 1974 hat sie aufgehört und sie lebt hier in Hamburg ein bisschen in den Elbvororten in einem Einfamilienhaus zusammen mit zwei Männern, ich glaube, ihrem Ehemann und einem bildenden Künstler und nimmt hier an dem gesellschaftlichen Leben in Hamburg eigentlich gar nicht teil. Also, man sieht sie nicht, man sieht sie nicht auf großen Veranstaltungen, man sieht sie nicht im Literaturhaus, sie sitzt wirklich in ihrem Gehäuse, das ist ja auch ein Titel, "Frau Mühlenberg im Gehäus", das ist sie auch ein bisschen selbst. Sie sitzt in ihrem Gehäuse in einem kleinen, winzigen Dachstübchen in ihrem Einfamilienhaus und schreibt. Die großen Bücher, wenn Sie mich fragen, was mein liebstes Buch ist...
Noltze: ...das hätte ich Sie fast gerade gefragt...
Radisch: Genau, das muss man auch unbedingt sagen, das ist unbedingt "Die Frau in den Kissen". Das ist für mich wirklich das Opus Magnum. Das ist ein Buch, wie ich es so offen, so aufgerissen in jeder Hinsicht - also da reist wirklich der Horizont auf, da klappt die Welt so einen Spalt weit auf und man kann einmal durchgucken - es ist ein Buch, was mich tief berührt hat. Mit ihrem allerletzten Buch, "Verlagen nach Musik und Gebirge", mit dem hatte ich Schwierigkeiten, "Teufelsbrück", ein Buch, was hier ganz in hamburgischen Farben gemalt ist, also "Teufelsbrück", das ist hier eine Anlegestelle - ich sage immer hier, weil ich ja auch in Hamburg lebe - also eine Anlegestelle an der Elbe und das spielt eben hier in Hamburg. Ein sehr schönes, auch fast kabarettistisches Buch, dann muss man unbedingt auch noch "Rita Münster" erwähnen, ein Frühwerk, und "Berittener Bogenschütze", das sind also Bücher, die hinführten zu diesem großen Buch.
Noltze: Frau Radisch, danke für die Anlegestelle an Brigitte Kronauer, eine würdige Ausgezeichnete.