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"Das ist nichts anderes als terroristischer Extremismus"

Der Attentäter von Toulouse sei ein radikalisierter, verblendeter Mann, meint Hans Stark, Forscher am Französischen Institut für Internationale Beziehungen. Die Ermordung jüdischer Schüler könne in keinen Zusammenhang gesetzt werden mit palästinensischen Opfern im Nahostkonflikt.

Hans Stark im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Das Drama in Toulouse - in Frankreich haben die Morde, die dem vorausgegangen sind, eine Debatte ausgelöst über die Frage, wie ausgeprägt sind Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Land. Mehrfach waren in der Vergangenheit Juden von Muslimen attackiert worden, meist von jugendlichen Einwandererkindern. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton soll jetzt einen Zusammenhang hergestellt haben, über den man in Israel erbost ist. Einen Zusammenhang zwischen den jüngsten Morden in Südfrankreich, in Toulouse, und den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen. Ashton hatte wörtlich vor palästinensischen Jugendlichen gesagt: "Wenn wir daran denken, was heute in Toulouse geschehen ist, vor einem Jahr in Norwegen oder in Syrien, wenn wir sehen, was in Gaza und in anderen Teilen der Welt geschieht, erinnern wir an junge Menschen und Kinder, die ihr Leben verloren haben." Und heute ergänzt die EU-Außenbeauftragte Ashton:

    "Ich bin sehr traurig über die Verzerrung dessen, was ich gesagt habe bei der Veranstaltung des UN-Flüchtlingswerks für Palästina. Die schrecklichen Morde vor der Ozar-Hatorah-Schule gestern in Toulouse verurteile ich rückhaltlos und spreche den Familien und Freunden der Opfer sowie der jüdischen Gemeinschaft mein Beileid aus. Bei der Veranstaltung gestern habe ich keinerlei Parallelen gezogen zwischen dieser Tragödie und Ereignissen im Nahen Osten."

    Meurer: Also Catherine Ashton, die EU-Außenbeauftragte, stellt ihre Äußerung klar und sagt, da war nichts dabei und ich entschuldige mich oder formuliere es jetzt anders. Am Telefon in Paris begrüße ich Hans Stark, er ist Geschäftsführer des französischen Instituts für internationale Beziehungen. Guten Tag, Her Stark.

    Hans Stark: Guten Tag! Ich bin Forscher im Institut für internationale Beziehungen.

    Meurer: Okay! Herr Stark, diese Äußerungen, die wir gerade von Frau Ashton gehört haben: War das Zitat ungeschickt oder unproblematisch, weil sie ja nur aufzählt das Leid der Kinder in verschiedenen Ländern?

    Stark: Ja nun, sie hat natürlich das alles in einem Satz zusammengezogen, das ist ein bisschen verkürzt dargestellt und somit unbewusst von mir aus, aber auf jeden Fall nichts desto weniger hat sie das getan: eine Verbindung hergestellt zwischen Kindern, die in Norwegen und in Toulouse jetzt gezielt umgebracht worden sind, und Kindern, die aufgrund von Kriegshandlungen Opfer einer militärischen Auseinandersetzung werden, aber nicht unbedingt, hoffe ich jedenfalls, Ziel eines direkten Anschlages sind in Gaza. Und von daher kann man in der Tat diesen Vergleich so nicht akzeptieren.

    Meurer: Der Täter selbst soll ja gesagt haben oder gerufen haben gegenüber der Polizei: Ich will palästinensische Kinder rächen. Gibt es einen Zusammenhang doch zwischen Toulouse und Gaza?

    Stark: Es gibt so keinen Vergleich, das kann man so nicht darstellen. Dieser Mann, der jetzt gerade in einer Polizeiaktion hoffentlich bald gestellt wird, ist natürlich durch seine verschiedenen Aufenthalte insbesondere im Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan radikalisiert worden und stellt sich in einem Dschihad-Krieg jetzt gegen die westliche Welt, gegen Frankreich, gegen das Judentum. Das ist nichts anderes als terroristischer Extremismus. Von daher gibt es keinen rationellen Hintergrund für diese Tat.

    Meurer: Der ermordete jüdische Lehrer vom Montag, die drei Schulkinder werden heute in Israel beigesetzt. Halten Sie es für möglich, dass diese Morde, diese Terrorserie das Verhältnis zwischen Frankreich und Israel, das sowieso nicht gut ist, noch weiter verschlechtern?

    Stark: Nein, davon gehe ich nicht aus. Das ist ein Unglück, das kann natürlich passieren. Man kann nicht hinter jede jüdische Schule oder auch katholische Schule Polizeibeamte stellen und die Kinder dort 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche schützen. Das geht natürlich nicht und das würde auch, glaube ich, eine Hysterie verursachen, die nicht im Sinne ist der Menschen, die hier leben, so schlimm es ist für diese Opfer natürlich. Nein, das denke ich nicht. Es hat eigentlich eine Annäherung gegeben auch in den letzten Jahren unter Nicolas Sarkozy zwischen Frankreich und Israel. Natürlich hat Frankreich eine sehr hohe Anzahl von Menschen islamischen Glaubens, von denen eine geringe Anzahl radikalisiert ist und in der Frage der Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern natürlich Stellung bezieht. Dafür kann aber natürlich der französische Staat nichts. Er ist für diese Orientierung, für diese Radikalisierung einiger seiner Mitbürger nicht verantwortlich.

    Meurer: In Frankreich, Herr Stark, haben ja französisch-maghrebinische Jugendliche schon öfter Juden attackiert. Ganz besonders spektakulär und furchtbar der Foltermord, der jetzt schon fünf oder sechs Jahre zurückliegt, an einem jüdischen Jugendlichen. Ist das im Kontext zu sehen mit dem, was sich da jetzt in Toulouse ereignet hat?

    Stark: Nein, auf keinen Fall. Zum Beispiel dieser fürchterliche Foltermord hat zu 100 Prozent einen kriminellen Hintergrund, weil ein jüdisches Opfer da umgebracht worden ist mit dem Willen, bevor es zu dieser Tat dann kam, finanziell davon zu profitieren und seiner Familie Geld zu entlocken. Es gibt auch natürlich in Frankreich Zusammenstöße zwischen jüdischen Jugendlichen und zwischen Jugendlichen islamischen Glaubens. Aber das sehe ich eher im Zusammenhang mit ethnischen Zusammenstößen zwischen Jugendlichen in den Betonvororten der großen französischen Städte wie auch in Paris. Da gibt es also auch Zusammenstöße zwischen afrikanischen Jugendlichen und maghrebinischen oder zwischen maghrebinischen und Jugendlichen aus der Karibik und natürlich dann eben halt auch mit jüdischen. Aber da ist in keiner Weise ein Vergleich anzustellen mit dem klassischen Antisemitismus, wie man ihn etwa in Deutschland im Dritten Reich gehabt hat.

    Meurer: Was macht Sie da so sicher?

    Stark: Was mich davon so sicher macht ist, dass es eben halt nicht um eine Infragestellung geht des Judentums als solches, sondern vielmehr ethnischer Hass, der unter verschiedenen jugendlichen Gruppen so zu verspüren ist und wie gesagt nicht nur sich auf die jüdische Bevölkerung beschränkt, sondern im Grunde genommen alle ethnischen Gruppen in irgendeiner Form direkt betrifft.

    Meurer: Man fragt sich ja auch, wie passt das zusammen, Herr Stark, dass jemand jüdische Kinder und einen jüdischen Lehrer umbringt und gleichzeitig ein paar Tage vorher Soldaten, die, wenn ich das richtig sehe, einen muslimischen Einwandererhintergrund haben.

    Stark: Eben! Das zeigt eben, wie radikalisiert dieser Mann war, der diese Verbrechen sehr wahrscheinlich begangen hat. Aus der Sicht dieses Mannes sind die maghrebinischen Soldaten, die Opfer auch seiner Anschläge geworden sind, Verräter, denn sie haben, indem sie sich in den Dienst der französischen Armee gestellt haben, sich solidarisch erklärt mit der französischen Politik in Afghanistan und daher erst recht den Hass auf sich gezogen dieses verblendeten Mannes, der zu diesen Mordtaten jetzt geschritten ist.

    Meurer: In Frankreich ist Wahlkampf, die Präsidentschaftswahlen stehen unmittelbar bevor, in einigen Wochen der erste Wahlgang. Wie wirken sich die Ereignisse auf den Wahlkampf aus?

    Stark: Das ist jetzt wirklich noch ganz schwer abzusehen. Es ist zum ersten so, dass dieser Mann, sofern es sich wirklich - aber davon geht man jetzt aus - um den Attentäter handelt, Franzose ist. Es ist also kein Einwanderer, sondern es ist ein Franzose muslimischen Glaubens, der in der zweiten und dritten Generation - genau weiß ich das jetzt auch nicht - hier in Frankreich lebt, die französische Nationalität hat. Die Politik von der rechtsextremistischen Nationalen Front von Marine Le Pen wendet sich absolut nicht gegen Franzosen islamischen Glaubens oder Franzosen der zweiten und dritten Generation der Einwanderer, sondern vielmehr gegen illegale Einwanderung als solcher. Da muss man differenzieren. Marine Le Pen ist nicht so radikal in ihren Ansätzen wie noch ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, der ja auch hier in Frankreich mehrfach Präsidentschaftskandidat war, und hat auch immer wieder darauf hingewiesen, dass sie sich an alle Franzosen wendet in ihrem Wahlkampf, und mit Franzosen meint sie eben halt nicht nur Franzosen katholischen oder protestantischen Glaubens, sondern eben halt auch jüdischen Glaubens und vor allen Dingen auch islamischen Glaubens. Das heißt, sie wird das nicht direkt ausschlachten können, denn es handelt sich hier nicht um einen illegalen Einwanderer, sondern um einen Franzosen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass alle Versuche von Nicolas Sarkozy in der jüngsten Vergangenheit, eine Identitätsdebatte zu starten in Frankreich, das hat alles nicht geklappt. Die Franzosen haben sich dafür nicht interessiert, das ist sehr, sehr schnell immer wieder abgeflacht und im Grunde genommen auf den Autor zurückgefallen.

    Meurer: ... wäre also vielleicht so zu interpretieren, dass die Auswirkungen auf den Wahlkampf sich in Grenzen halten. Wir werden es sehen. Das war Hans Stark, Forscher am französischen Institut für internationale Beziehungen in Paris. Herr Stark, besten Dank und auf Wiederhören.

    Stark: Bitte schön!

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