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"Das ist schon eine ganz ernsthafte Bedrohung"

Internet.- Seit WikiLeaks vertrauliche Diplomatenunterlagen veröffentlicht hat, steht das Enthüllungsportal regelrecht unter Dauerfeuer: Die Angriffe auf die Server von WikiLeaks reißen nicht ab. Das könnte der Seite letztendlich den Todesstoß geben.

Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 04.12.2010
    Manfred Kloiber: Die Probleme bei WikiLeaks sind also massiv. Die Betreiber der Plattform stehen unter Druck, die Server von WikiLeaks sogar unter regelrechtem Beschuss, und in der Netzgemeinde wird derzeit heftig diskutiert. Wird WikiLeaks überleben? Wie stehen die Chancen, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Wenn man hier Chancen einschätzen will, dann muss man eben auch berücksichtigen: Verschiedene amerikanische Politiker haben zum regelrechten digitalen Krieg gegen Wikileaks aufgerufen – und das ist schon eine ganz ernsthafte Bedrohung. Da gibt es etwa eine Hackergruppe mit dem Kampfnahmen "The Jester" – da weiß man noch nicht genau, wie viele dahinter stecken – aber diese Hacker haben inzwischen offen erklärt, dass sie WikiLeaks abschießen wollen, dass sie sie aus dem Netz verbannen wollen und dass sie das für Amerika tun wollen. Inwieweit diese Gruppe oder auch einzelne Hacker, die momentan eben nicht nur WikiLeaks-Server angreifen, sondern eben auch beispielsweise Name-Server von Netzwerkdienstleistern, inwieweit diese Hacker tatsächlich dann abgesprochen mit amerikanischen Regierungsstellen handeln, kann man im Augenblick überhaupt nicht sagen. Aber man kann auf alle Fälle sagen: Die Zahl dieser Hacker nimmt zu, die Zahl der Angriffe auf Nameserver und auf WikiLeaks-Server steigt derzeit und das ist schon besorgniserregend.

    Kloiber: Also das Ziel scheint zu sein, dass WikiLeaks aus dem Netz verbannt wird. Das könnte man jedenfalls unterstellen oder meinen. Auf der anderen Seite heißt es ja immer, dass Internet vergesse nicht. Zu viele Kopien, zu viele verteilte Server verhinderten dies. Und derzeit bieten ja fast schon stündlich Webanbieter WikiLeaks an, die Daten auf ihren Servern zu spiegeln. Garantiert das nicht irgendwie so eine Art von ewiges Leben von WikiLeaks?

    Welchering: Also von diesem zumindest sehr langem Leben geht ja auch Hillary Clinton, die Außenministerin der vereinigten Staaten, aus. Sie sagt, was einmal im Netz ist, kann man nicht zurückrufen. Also die veröffentlichten Depeschen aus dem Außenministerium wird auch die amerikanische Regierung nicht mehr einfach aus dem Netz löschen können, das weiß die Regierung. Denn die sind wirklich zu oft kopiert wurden. Aber man muss auch sehen: WikiLeaks selbst ist durch die Kontensperrung von Paypal beispielsweise schon ziemlich getroffen. Denn durch Paypal kam immerhin ein recht hoher sechsstelliger Betrag als Spende herein. Und die Angriffe auf die WikiLeaks-Server darf man ebenfalls nicht auf die leichte Schulter nehmen. Da ist schon jetzt einiger Schaden an der Infrastruktur entstanden, den WikiLeaks wieder reparieren muss. Das kostet Geld. Und ganz bedrohlich für WikiLeaks ist eben der Aufruf der amerikanischen Regierung, WikiLeaks weltweit von den Servern zu nehmen. Der französische Industrieminister Industrieminister, Eric Besson, hat diese Forderung ja für französische Server wiederholt und gesagt: Wir machen das, wir sind da solidarisch mit den USA. Und in den USA baut sich gegenwärtig eine massive Stimmung gegen WikiLeaks auf.

    Kloiber: Angesichts der massiven Angriffe auf Name-Server: bleibt da den DNS-Dienstleistern, diesen Serverbetreibern, noch irgendetwas anderes übrig, als die WikiLeaks-Adresse aus der Datenbank zu nehmen, um die Name-Server zu schützen?

    Welchering: Bei Switch, der schweizerischen Registrierungsstelle, kann man ja sehen, dass es auch anders geht, dass man die Server durchaus schützen kann. Allerdings: Eines muss man auch sehen: Die Switch-Verantwortlichen betreiben gegenwärtig einen unglaublich hohen Sicherheitsaufwand und arbeiten quasi rund um die Uhr. Name-Server sind nämlich wie die gesamte Internet-Infrastruktur leicht angreifbar. Und die jetzt zu sehenden und zu bemerkenden digitalen Angriffe zeigen ja auch, wie erfolgreich, wirklich erfolgreich ein digitaler Krieg geführt werden kann. Und sie zeigen, dass die Unterscheidung zwischen Angriffswaffen und Verteidigungswaffen in diesen Krieg eigentlich kaum noch getroffen werden kann. Und das wird ein spannendes Thema für die Vereinten Nationen sein. Keine Frage: Im Augenblick lässt einen das, was da an Angriffen gegen die WikiLeaks-Server getragen wird, wirklich sehr, sehr ratlos werden.

    Kloiber: Herr Welchering, es gibt ja auch eine Internetverwaltung – wie verhält sich denn ICANN, diese Agentur in den USA, zu den Vorgängen um WikiLeaks?

    Welchering: Bisher schweigt die ICANN dazu. Interview-Anfragen werden nicht beantwortet, Mail wird nicht beantwortet und auf ihrer Webseite steht auch noch nichts dazu. Aber es wird von amerikanischen Kollegen, von Journalisten berichtet, dass es wohl massive Einflussversuche amerikanischer Politiker auf die ICANN gebe. Hier soll offensichtlich erreicht werden, dass die ICANN ihre Registrare in irgendeiner Weise dazu bringt, vielleicht sogar bittet, wikileaks.org aus den Datenbanken der Nameserver herauszunehmen. Bisher aber wie gesagt, gibt es noch keinen Kommentar von der ICANN-Geschäftsstelle in Marina del Rey. Wenn die ICANN einer solchen Bitte da entsprechen würde oder wenn die ICANN darauf einwirken würde, dass ihre Registrare das machen, dann würden vermutlich auch sehr viele Registrare dieser Bitte nachkommen, für die steht da sehr viel auf dem Spiel. Die ICANN steht nach wie vor letztlich unter der Aufsicht der US-Regierung, das muss man einfach sehen. Und ganz klar: Da gewinnt die Diskussion um die Internationalisierung der ICANN, vielleicht sogar eine Unterstellung der ICANN unter die Vereinten Nationen, natürlich insgesamt unglaublich an Bedeutung. Und deshalb wird auch gegenwärtig gerade Wikileaks zum Anlass genommen, um genau diese Internationalisierung, eine Art internationales Aufsichtsgremium stärker noch wieder in die Diskussion zu bringen, denn es kann nicht sein, dass ein einzelner Staat auf eine weltweit so wichtige Infrastruktur fast alleinigen Einfluss hat.