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"Das ist schon eine Nebenaufgabe des Berufes geworden"

Theodor Windhorst, Mediziner und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, spricht sich dafür aus, die Grundsätze zur Sterbebegleitung um ethische Richtlinien zur Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung zu ergänzen. Er wolle in den Grundsätzen der Bundesärztekammer "keine ethisch freie Zone" haben.

Theodor Windhorst im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Um lebensbedrohliche Krankheiten geht es implizit auch bei unserem nächsten Thema. Übermorgen beginnt in Kiel der 114. deutsche Ärztetag, auf dessen Tagesordnung das heikle Thema Sterbehilfe steht. Konkret geht es um eine Formulierung in den Grundsätzen zur Sterbebegleitung, die da lautet, "Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe." Das ist eigentlich ein klarer Satz, der aber vielen Medizinern nicht genügt. - Theodor Windhorst ist Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und möchte noch eine Ergänzung. Welche, Herr Windhorst, und warum?

    Theodor Windhorst: Ich glaube, wir haben als eine Berufsgruppe, die sehr stark auf das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis sich berufen muss, und ich glaube auch, dass wir eine Garantenstellung haben, dass, wenn der Arzt gerufen wird, man nicht überlegt, hilft er mir, oder entsorgt er mich, oder ...

    Müller-Ullrich: Aber gehört nicht gerade – Entschuldigung, wenn ich unterbreche -, gehört nicht gerade zur Hilfe eben auch die Möglichkeit, bei diesem letzten Weg zu assistieren?

    Windhorst: Nach den Erfahrungen der Paliativmediziner ist diese Hilfe bei den Menschen, die in der paliativmedizinischen Versorgung sind, gar nicht mehr Gegenstand der Diskussion. Im Vorfeld sind das Ängste, die zum Teil auch Ärzte haben. Wir haben Umfragen der Universität Bonn und Düsseldorf von Studenten. Aus Angst vor dieser Situation, nicht mehr kausal helfen zu können, wird an die Sterbehilfe gedacht in aktiver Form, und alle die, die aufgeklärt und wissen, wovon sie reden und wie man eine Therapie durchführen kann, dann ist das eine klare und sichere Sache.
    Wir haben eben den Satz gehabt, widerspricht dem ärztlichen Ethos. Wir haben eine Notwendigkeit, aufgrund dieser Garantenfunktion ethische Richtlinien zu setzen. Also ich möchte jetzt in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung keine ethisch freie Zone haben, das ist für mich die Klammer um die Ärzteschaft, die bei all den konstruierten und nicht konstruierten Gegensätzen die eine ist, die zählen muss, auch in einer pluralistischen Gesellschaft, dass wir einen Ethos haben, einen Berufsethos haben, mit dem wir auch bestimmte Grenzsituationen, die auch nicht justiziabel sind, bewerten können.

    Müller-Ullrich: Weil Sie gerade von diesen Grenzsituationen sprechen und weil man da ja differenzieren muss. Eben sagten Sie, "aktive Sterbebegleitung". Wo fängt denn Sterbehilfe an?

    Windhorst: Das ist ein ganz wichtiger und schwieriger Punkt. Wann kennt man die Grenze, wann bestimmt man die Grenze, dass die Kuration nicht mehr möglich ist und dass eine Therapiezieländerung notwendig ist zur paliativen medizinischen Versorgung, das ist eine ganz schwierige. Deswegen haben wir ja auch die paliativmedizinische Versorgung auf zum Teil eigene Beine gestellt ...

    Müller: Paliativmedizin heißt, Schmerzmittel bis zum geht nicht mehr?

    Windhorst: Also es geht nicht nur alleine um Schmerztherapie, aber grundsätzlich als wichtigsten Faktor, und man kann mit den medikamentösen Mitteln den Patienten helfen. Und wenn man jetzt noch mal in die Grundsätze schaut und meinen ethischen Bezug noch mal nimmt, dann ist der meiner Meinung nach sehr wichtig, weil unter dem Kapitel ärztliche Pflichten bei Sterbenden im dritten Abschnitt steht ein Satz, "Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf." Das ist genau die ...

    Müller-Ullrich: Hingenommen?

    Windhorst: ... hingenommen werden darf. Und das kann man ja juristisch, weil genau wie Sie sagten: Das ist eine individuelle Entscheidung, die der Arzt mit sich und seinem Gewissen abmachen muss, nach ethisch-moralischen Grundsätzen. Und genau deswegen möchte ich diesen ethischen Zusatz noch drin haben.

    Müller-Ullrich: Sie sprachen ja gerade von ethisch freier Zone, die Sie nicht haben wollen.

    Windhorst: Ja.

    Müller-Ullrich: Sind die Benelux-Staaten oder die amerikanischen Bundesstaaten Oregon und Washington ethisch freie Zonen?

    Windhorst: In diesem Sinn schon. Ich will mich da nicht zum Richter anderer Systeme aufbauen, denn das Gesundheitssystem ist in beiden Sachen, also Benelux-Länder und auch in Oregon, das sind ja auch nur Staaten, andere Staaten haben andere Regelungen, das will ich nicht bewerten. Ich möchte nur eine klare Regelung bei uns, und bei uns ist Tötung auf Verlangen strafbar, in den Benelux-Ländern nicht, die haben da eine ganz andere Situation, und das ist für mich das Beispiel, wie sich dann auch die Tore öffnen können, ohne dass man Kontrolle hat. Da werden Hunderte von Menschen durch eine Sterbehilfe getötet, die nicht durch Kommissionen gedeckt sind, nicht weil ich denen unterstellen will, dass da was Schwieriges läuft, nur das ist schon eine Nebenaufgabe des Berufes geworden. Wir werden mit der paliativmedizinischen Versorgung nicht nur eine pflegerisch und eine kontaktintensive, alsodass man auch mit den Händen dabei ist, keine technisierte Versorgung macht und eben auch mit den therapeutischen Möglichkeiten, die es ja in der Medizin gibt, die Patientinnen und Patienten führen über diesen Weg in den Tod hinein.

    Müller-Ullrich: Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und Mitglied des Bundesvorstands, Theodor Windhorst, zur ethischen Diskussion um die Sterbehilfe.