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"Das kann man doch nicht einfach machen"

Die Musikbibliothek der Ruhr-Universität Bochum soll im August geschlossen werden. In ihr lagern wertvolle Noten, Bücher, Schallplatten und Videoaufzeichnungen, mit Unikaten, die es teilweise nur in Bochum gibt. Die Folkwang Hochschule in Essen will den Bestand übernehmen. Allerdings kann sie ihn frühestens Ende 2010 zur Verfügung stellen - wohin also mit den Preziosen?

Von Hilde Braun |
    "Also jeder, der hierher kommt und das hört sagt, das ist ein Skandal, das ist unmöglich, das kann man doch nicht einfach machen..."

    Arntrud Reuter ist besorgt. 30 Jahre lang war sie Leiterin der musikwissenschaftlichen Bibliothek in Bochum und kennt jeden einzelnen Band. Handgedruckte Partituren aus dem 19. Jahrhundert, Schellackplatten, komplette Zeitschriftensammlungen stehen dort. In spätestens drei Monaten soll die Bibliothek dem Fachbereich Biopsychologie Platz machen. Die Folkwang Hochschule in Essen übernimmt ihn, kann ihn aber noch nicht veröffentlichen, weil der Platz fehlt:

    "Ich befürchte jetzt nun, dass das alles in Kartons gepackt wird und irgendwo unzugänglich in einen Dunkelraum kommt. Und dazu ist das Ganze auch zu wertvoll, dass man es einfach aus dem Verkehr ziehen kann. Solche Lagerung tut keinem Buch gut, weil da eben Packer mit umgehen und nicht Leute, die die Dinge zu schätzen wissen. Da kann natürlich einiges passieren."

    Die Literatur ist also wahrscheinlich über ein Jahr für niemanden zugänglich. Nicht nur Studierende, sondern auch Schüler oder Mitglieder anderer Hochschulen sind regelmäßig zu Gast in Bochum: Die Bibliothek ist für die Opernforschung deutschlandweit bekannt. Dort gibt es Erstausgaben, von denen keine Neudrucke existieren. Insgesamt 75.000 Bücher, Tonträger und Zeitschriften haben bislang die Bücherwände der Ruhr-Universität geschmückt. Arntrud Reuters Herz hängt an dem Bestand:

    "Ich bin seit 1979 hier und habe seitdem alles betreut, und habe alles digitalisiert und kenne natürlich jedes Buch und jede Note und jeden Tonträger."

    Die Folkwang Hochschule in Essen freut sich über den Zuwachs, kann ihn aber derzeit nicht unterbringen. Der komplette Ostflügel ist im vergangenen Jahr abgebrannt, der Hauptgrund für den Platzmangel. Die Universität muss deshalb schon jetzt mit der Belegung von Räumen jonglieren. Für die Bände aus Bochum müssten 3- bis 400 zusätzliche Quadratmeter her. Viola Springer ist Leiterin der Bibliothek in Essen und geht davon aus, dass das Material zwischengelagert werden muss, wo und wie steht noch nicht fest:

    "Also die Zwischenlagerung wird noch geprüft und wir bemühen uns natürlich, dass das besonders gute Bedingungen sein werden."

    Bis dahin müssen interessierte Studierende auf die Fachliteratur aus Bochum offenbar verzichten. Arntrud Reuter findet das schade, denn auch jetzt gibt es noch Leihanfragen an die Bibliothek:

    "Es gibt natürlich Nachbardisziplinen, wie Theaterwissenschaften, und dann sind natürlich Kunstwissenschaftler da und aus Nachbarfakultäten kommen Leute die herkommen und forschen. Ich habe auch Anfragen über die Fernleihe und Anfragen von weither, für Leute die sich für besondere Sachen interessieren."

    Bis Ende kommenden Jahres soll in Essen eine neue Bibliothek auf dem barocken Gelände der Folkwang Hochschule entstehen und die Platzprobleme lösen. Auf über 1000 Quadratmetern soll dann Platz sein. Der wird nicht nur für die Bochumer Musikwissenschaftsbibliothek benötigt. Die Hochschule übernimmt auch den Bestand der Musikpädagogik von der Universität Duisburg-Essen. Auch dieses Fach wurde aufgelöst. Musikliteratur im Ruhrgebiet gibt es dann also demnächst hauptsächlich in Essen. Viola Springer:

    "Das Schöne dabei ist, dass sich das besonders gut ergänzt, wir haben hier eine Bibliothek, die sehr an der Praxis ausgerichtet ist. Die Bibliothek in Bochum ist eher wissenschaftlich ausgerichtet, quasi eine Forschungsbibliothek, das ergänzt sich sehr gut mit unseren Beständen."

    Bis es soweit ist, hofft Arntrud Reuter auf eine Lösung für den Bochumer Bestand. Sie hat bereits einen Beschwerdebrief an den Rektor der Ruhr-Universität geschrieben, bislang aber keine Antwort bekommen. Schon jetzt sieht sie Teile "ihrer" Bibliothek zerstört, weil fortlaufende Musikliteratur, wie aktuelle Zeitschriften, nicht mehr weiter bestellt werden:

    "Wir haben die alle einfach abbestellen müssen, und wenn das einmal unterbrochen ist, dann ist das alles nicht mehr nachholbar. Und viele Sachen sind in Essen nicht vorhanden und auch wertvolle Gesamtausgaben von Komponisten werden einfach nicht weitergeführt, so wie Hindemith und die neue Mendelssohn Gesamtausgabe, die fehlen dann."

    Arntrud Reuter ist inzwischen pensioniert, trotzdem kommt sie noch einmal die Woche zu ihren Schätzen in die musikwissenschaftliche Bibliothek. Ob sie sie vor Ende kommenden Jahres wiedersehen kann, bleibt aber abzuwarten.