Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


"Das kann man nicht mit einem normalen Frachter vergleichen"

Wie konnte das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia vor der italienischen Küste einen Felsen rammen? Ein Kapitänsfehler? Heinz Kuhlmann, leitender Direktor des Marinen Trainingszentrums in Hamburg, zeigt sich verwundert, dass Kreuzfahrtschiffe mit derart aufwendiger technischer Ausstattung überhaupt kentern können.

Heinz Kuhlmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 16.01.2012
    Ralf Krauter: Es war eine verhängnisvolle Begegnung, die sich da am Freitag Abend gegen Viertel vor zehn ereignete. Das knapp 300 Meter lange Kreuzfahrtschiff Costa Concordia rauschte gegen einen Granitfelsen - und zwar in Sichtweite der Hafeneinfahrt der toskanischen Insel Giglio. 4200 Menschen mussten das leckgeschlagene Schiff verlassen, mindestens sechs kamen bei der Havarie ums Leben. Am Telefon ist jetzt Heinz Kuhlmann, der leitende Direktor des Marinen Trainingszentrums in Hamburg, wo man Kapitäne und ihre Mannschaften ausbildet. Herr Kuhlmann, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder des gekenterten Kreuzfahrtschiffs gesehen haben?

    Heinz Kuhlmann: Es geht einem natürlich durch den Kopf, wie so etwas passieren kann. Das sind hochmoderne Schiffe, die sind bestens ausgestattet, die haben mehr technische Ausrüstung als jedes ander Schiff. Das kann man nicht mit einem normalen Frachter vergleichen. Die Kreuzfahrtschiffe sind da deutlich besser ausgestattet mit allen technischen Finessen, die man sich denken kann.

    Krauter: Was sind das für Geräte auf der Brücke, die dem Kapitän eigentlich helfen sollten, den richtigen Kurs einzuschlagen?

    Kuhlmann: Es gibt auf der Brücke Radargeräte, es gibt elektronische Seekarten, es gibt ein Echolot, es gibt ein Log zur Messung der Schiffsgeschwindigkeit. Dann gibt es diverse GPS-Geräte, die die Schiffsposition errechnen. Es gibt Bahnführungssysteme, die das Schiff auf einem bestimmten Kurs halten können, es gibt alles Erdenkbare, was es auf dem Markt heute gibt.

    Krauter: Hätten denn Sicherheitssysteme wie Echolot und Radarsysteme nicht vor so einer Kollision rechtzeitig warnen müssen? Muss man sich das nicht so vorstellen, als ob auf der Brücke da vorher heftig Alarm geklingelt haben müsste?

    Kuhlmann: Ein Radargerät misst ja nur Hindernisse oberhalb der Wasseroberfläche, nicht unterhalb der Wasseroberfläche. Und das Schiff hat ja offensichtlich einen Felsen unter Wasser gerammt. Das sieht man ja daran, dass es an der Seite aufgerissen ist und dass sogar noch ein Felsbrocken in dem Loch steckte. Mit dem Radargerät kann man sehr wohl aber die Positionen feststellen. Das heißt, man sieht die Insel, an der vorbeigefahren wurde, natürlich auf dem Radarbildschirm und kann daraus die Position des eigenen Schiffes feststellen und die Lage beurteilen. Aber den Felsen unter kann man mit einem Radargerät nicht sehen. Es ist auch schwierig, solche plötzlich aufsteigenden Felsen mit einem Echolot zu orten, weil ein Echolot misst immer nur die aktuelle Distanz vom Schiffsboden zum Meeresgrund nach unten. Das kann also nicht zur Seite schauen.

    Krauter: Aber für den Blick nach vorne gibt es ja eigentlich die elektronischen Seekarten, die ja letztlich anzeigen, wie sich der Meeresboden unter dem Schiff in Fahrtrichtung verändert. Hätte so ein System nicht eine Warnung aussenden müssen?

    Kuhlmann: Gut, in der elektronischen Seekarte sind Untiefen verzeichnet. Und das ist auf jeden Fall in der Regel ausreichend, um seine Route zu bestimmen und solche Untiefen zu vermeiden.

    Krauter: Wäre es denkbar - das war ja zu lesen -, dass der Kapitän sagte, dieser Felsen, der dem Schiff letztlich zum Verhängnis wurde, sei gar nicht auf der Karte eingezeichnet gewesen - ist das denkbar?

    Kuhlmann: Wir befinden uns ja in zivilisierten Gewässern. Und da ist es eigentlich schwer vorstellbar, dass in dem Bereich an der italienischen Küste unter Wasser Hindernisse nicht verzeichnet sind. Weil die Gewässer werden regelmäßig vermessen mit Spezialschiffen und die Hindernisse werden in die Seekarten eingetragen, die werden heute elektronisch korrigiert. Also das ist eher schwer vorstellbar.

    Krauter: Gibt es denn heute schon Systeme an Bord von solchen Schiffen, die den Kapitän aktiv daran hindern würden, einen Kurs zu setzen, der dem Schiff und der Mannschaft und der Besatzung gefährlich werden kann?

    Kuhlmann: Hindern nicht, weil der Kapitän bestimmt den Kurs des Schiffes. Und entweder er fährt mit Autopilot - dann stellt er den Kurs am Autopiloten ein - oder er fährt per Handsteuer. Aber in jedem Falle kommen die Vorgaben vom Kapitän. Es gibt keine Systeme, die nun plötzlich das Schiff stoppen, weil sich vor dem Schiff ein Felsen befindet.

    Krauter: Aber einige Systeme würden ihn doch rechtzeitig warnen, dass da vielleicht bald ein Felsen kommt?

    Kuhlmann: Es gibt zum Beispiel bei der elektronischen Seekarte bestimmte Warnfunktionen, wenn ein Schiff in flaches Gewässer fährt. Allerdings: Wenn dieser Fels sehr plötzlich auftaucht, ohne dass das Wasser so langsam flacher wird, dann kann es durchaus sein, dass es dann auch keinen Alarm gibt.

    Krauter: Was ist aus Ihrer Sicht die wahrscheinlichste Erklärung, wenn Sie spekulieren würden, was da geschehn sein könnte?

    Kuhlmann: Wenn ich spekulieren würde, würde ich sagen, der Passierabstand zur Insel war zu gering. Und das kann verschiedene Ursachen haben. Das kann einfach Unachtsamkeit gewesen sein, Überschätzung, oder auch ein technischer Defekt. Wenn man sehr nah an einer Insel vorbeifährt und in dem Moment gibt es einen Ruderschaden, das Ruder funktioniert nicht mehr, oder die elektrische Anlage, das Kraftwerk, fällt aus, dann kann das natürlich zu ernsthaften Problemen führen.

    Krauter: Wie lange werden wir brauchen, um mehr zu wissen? Was meinen Sie, Herr Kuhlmann?

    Kuhlmann: Das hängt davon ab, wie schnell die Blackbox ausgewertet werden kann und wie schnell man dann auch Daten daraus veröffentlicht.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.