Peter Lange: Eine der großen Baustellen der neuen großen Koalition ist und bleibt der Arbeitsmarkt: trotz der rot-grünen Reformen, die bislang jedenfalls nicht die durchschlagende Wirkung zeigen, die man sich davon versprochen hat. Das alles braucht auch gewiss Zeit, aber Zeit hat die Koalition nicht. Deshalb wird über neue Instrumente diskutiert und eines der Stichworte, geliefert vom Bundespräsidenten höchstpersönlich, lautet Kombilohn. Der Staat bezuschusst Jobs, von deren Einkommen man nicht leben kann. In der CDU findet die Idee nun großen Anklang, in der CSU und in der SPD etwas weniger. Nun hat es ja Modellversuche gegeben. Welche Erfahrungen gibt es damit aus der Sicht der Gewerkschaften? - Am Telefon begrüße ich Michael Sommer, den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen Herr Sommer!
Michael Sommer: Guten Morgen Herr Lange.
Lange: Fangen wir mal mit einer einfachen Rechnung an, die Roland Koch aufgemacht hat, der hessische Ministerpräsident. Zu einem Job, der ein Unternehmen 700 Euro kostet, gibt der Staat 500 Euro dazu. Das, so Koch, sei billiger als die 1000 Euro, die jetzt bei Hartz IV gezahlt werden. Was halten Sie von der Rechnung?
Sommer: Das ist eine Milchmädchenrechnung, weil nicht jeder Hartz-IV-Empfänger kriegt 1000 Euro oder 800 Euro. Bei den meisten sind es sehr, sehr viel weniger. Ein Geringverdiener kriegt auch weitere staatliche Transfereinkommen wie Wohngeld und ähnliches mehr. Die rechnen sich schwindelig, sage ich mal. Wir wissen sehr genau, dass das dauerhaft überhaupt nicht zu bezahlen ist, was da an Vorstellungen in Teilen der Union läuft. Das Institut Zukunft der Arbeit in Bonn, das nun den Gewerkschaften wirklich nicht nahe steht, hat ausgerechnet, dass es eine Dauersubvention von 73.000 Euro pro Jahr pro zusätzlichen Arbeitsplatz geben müsste. Das kann niemand bezahlen!
Lange: Aber da sagt nun Roland Koch, das eigentliche Milliardengrab ist Hartz IV selbst. Alles andere kann eigentlich nur günstiger werden.
Sommer: Das eigentliche Milliardengrab ist die Massenarbeitslosigkeit und die zu bekämpfen, das ist die Hauptaufgabe.
Lange: Wo liegt das entscheidende Problem: bei der Eingrenzung?
Sommer: Das entscheidende Problem liegt darin, dass niemand den Arbeitgeber von der Lohnzahlung freistellen kann. Es liegt nicht darin, dass man Lohnkostenzuschüsse gibt, wenn Langzeitarbeitslose wieder in einen Job kommen. Es liegt auch nicht daran, dass man möglicherweise ergänzendes Arbeitslosengeld II zahlt, sondern der entscheidende Punkt ist, dass wir sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen müssen, und zwar ohne dauerhafte staatliche Subventionen. Das geht nicht!
Lange: Aber ein bisschen irre ist das jetzt schon. Jetzt warnen Sie die Bundeskanzlerin, die Subventionen abbauen wollte, vor Subventionen?
Sommer: Nein, nein! Die Bundeskanzlerin hat im "Spiegel", der heute erscheint - in Berlin erscheint der ja immer schon sonntags; deswegen kann man das nachlesen -, ein bemerkenswertes Interview gegeben. Da hat sie sich für Kombilöhne ausgesprochen - OK -, aber sie hat gleichzeitig gesagt, dass es ohne ein Instrument von Mindestlöhnen nicht gehen wird. Da liegt sie genau richtig! Wir brauchen insgesamt eine Lösung für die Probleme, dass es eine Grenze nach unten bei den Einkommen geben muss. Im Koalitionsvertrag gibt es eine entsprechende Verabredung, eine Arbeitsgruppe einzurichten, und ich hoffe sehr, dass diese Arbeitsgruppe jetzt auf der Kabinettsklausur eingerichtet wird. Da geht es ums Entsendegesetz. Da geht es auch um die Dienstleistungsrichtlinien. Da geht es um Mindestlöhne und da geht es dann auch um Formen von Kombilohn. Insgesamt müssen wir das Problem angehen! Wir haben 2,5 Millionen vollzeitbeschäftigte Menschen in diesem Land, die unterhalb der Armutsgrenze arbeiten, Vollzeit arbeiten, die Hungerlöhne bekommen, und dem muss ein Riegel vorgeschoben werden.
Lange: Das heißt es gibt dann doch Bedingungen, die erfüllt sein müssten, und dann würde ein solches Kombilohnprogramm vielleicht funktionieren? So eine Bedingung wäre eine Regelung über Mindestlöhne?
Sommer: Das ist das Mindeste, was man braucht. Sonst rutschen ja die tariflichen und die sonstigen Löhne weiter nach unten durch. Übrigens überall dort, wo es diese Form von Kombilöhnen gibt - das wird ja angepriesen in Frankreich und Großbritannien -, wird das immer gepaart mit Mindestlöhnen, mit gesetzlichen Mindestlöhnen, die wir brauchen: nicht für alle Branchen, aber für die Branchen, wo die Tarifautonomie versagt, weil die Arbeitgeber sich nicht organisieren.
Lange: Wer sollte dann solche Kombilöhne aus Ihrer Sicht bekommen? Nehmen wir mal an, diese Grundbedingung wäre erfüllt. Langzeitarbeitslose als Eingliederungshilfe oder generell auch Leute, die jetzt schon so wenig verdienen, dass sie davon nicht leben können?
Sommer: Das gibt es ja heute schon. Sie können heute schon ergänzendes ALG II bekommen, wenn sie zu wenig verdienen von ihrer Hände Arbeit. Das kann aber keine Dauerlösung sein. Wir stellen uns vor, dass es Kombilöhne als Einarbeitungszuschüsse geben kann. Wir stellen uns vor, dass es besondere Problemgruppen am Arbeitsmarkt gibt, mit denen man solche Programme fahren könnte: zum Beispiel über 55-Jährige in öffentlicher Beschäftigung. Da wären Grenzen, die notwendig sind. Was aber nicht geht ist die Vorstellung, dass man dauerhaft Millionen von Arbeitnehmern mit staatlichen Lohnkostenzuschüssen finanziert oder alimentiert. Das ist kein Weg. Das geht finanziell nicht und das ist auch gesellschaftspolitisch der falsche Weg.
Lange: Sie haben gerade das Interview der Bundeskanzlerin eigentlich gelobt, dass sie nämlich den Zusammenhang sieht zwischen Kombilohn und Mindestlöhnen. Es ist ja überhaupt ein bisschen auffällig, dass die Union im Moment im Begriff ist, sozialpolitisch gewissermaßen links an der SPD vorbei zu schleichen. Wie glaubhaft ist das für Sie?
Sommer: Ich glaube schon, dass das glaubhaft ist. Ich bin ja auch im Gespräch mit verschiedenen Unionspolitikern, so dem neuen Generalsekretär, der an den Themen sehr intensiv arbeitet und Frau Merkel dort auch berät. Machen wir uns nichts vor! Es gab im Wahlkampf einen anderen Kurs der Union, der ja sehr viel mehr auf neoliberale Politik setzte. Davon hat die Kanzlerin ganz offensichtlich Abschied genommen und ich erwarte, dass die SPD in der Regierung mit dafür sorgt, dass es auch dabei bleibt.
Lange: Nehmen wir mal die Gesundheitspolitik. Da sagt die Kanzlerin, die Gesundheitskosten von Kindern sollen von der ganzen Gesellschaft getragen werden, nicht nur von den versicherungspflichtig Beschäftigten. Das hätte auch der DGB gesagt haben können?
Sommer: Das stimmt! Da trifft sie den richtigen Ton, denn es geht darum, dass die gesellschaftspolitischen Leistungen nicht bezahlt werden aus den Sozialversicherungen, die nur von arbeitenden Menschen und von personalintensiven Betrieben zum Schluss bezahlt werden. Da hat Frau Merkel Recht. Was dann dahinter steht an welchen Modellen, ob es dann wieder um die Kopfpauschale geht oder darum, bestimmte Leistungen des Sozialsystems aus Steuern zu finanzieren, das muss man sich dann sehr genau angucken.
Lange: Ich stelle mir aber vor, dass Sie sich in den letzten Tagen schon manchmal ein bisschen die Augen gerieben haben, ob das noch dieselbe ist, die vor der Wahl etwas ganz anderes wollte?
Sommer: Ach wissen Sie, wir sind auch im Gespräch mit Unionspolitikern, auch mit der Bundeskanzlerin und natürlich habe ich mir anfangs der Koalition die Augen gerieben, aber mittlerweile scheint sich doch etwas aufzutun, dass diese große Koalition einige Probleme lösen will. Wenn das die Probleme der niedrigen Einkommen sind und nicht mehr darüber diskutiert wird, dass wir einen Niedriglohnsektor schaffen müssen, sondern dass wir ihn letztendlich beseitigen müssen, dann sind die auf dem richtigen Weg und dann werden wir das auch positiv begleiten.
Lange: Es gibt noch einen verhältnismäßig neuen Gedanken: der Gedanke einer dauerhaften Grundsicherung für jene, die keine Chance haben, ihren Lebensunterhalt selbst durch Erwerbsarbeit zu sichern. Dieser Gedanke wurde zuletzt vom Bundespräsidenten formuliert. Das hat man doch aus diesem politischen Lager bislang auch noch nicht gehört?
Sommer: Nein. Das ist eher eine Idee der Grünen, die ja meinen, dass Hartz IV schon so eine Art Grundsicherung wäre. Wir halten davon auf Dauer gar nichts. Natürlich muss es immer ergänzende Möglichkeiten des Staates geben, Leuten, die sich nicht selber helfen können, zu helfen. Die Grundlage menschlicher Existenz, auch gesellschaftlicher Existenz ist aber immer noch Arbeit, Erwerbsarbeit und wir sind dafür, diese Erwerbsarbeit zu fördern und alles zu tun, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Dann brauchen wir diese Formen von Grundsicherung nicht.
Lange: Ist dieser Vorschlag des Bundespräsidenten aber nicht das indirekte Eingeständnis, dass es Vollbeschäftigung nicht mehr geben wird?
Sommer: Ich weiß nicht, was da einzugestehen ist. Wir leben seit 20 Jahren mit einer stetig steigenden Arbeitslosigkeit. Wir sind jetzt an der Schwelle von fünf Millionen. Das ist ein Zustand, der auf Dauer nicht zu akzeptieren ist.
Lange: Aber mit einer Lebenslüge namens Vollbeschäftigung?
Sommer: Vollbeschäftigung ist natürlich ein relativer Begriff, aber wir müssen alles tun, die Arbeitslosigkeit drastisch zu senken. Das erste Ziel muss es sein, dass man unter die Vier-Millionen-Zahl kommt.
Lange: Finden Sie denn die Wortmeldungen des Bundespräsidenten hilfreich?
Sommer: Ja natürlich! Sie geben Denkanstöße. Man muss nicht alles teilen, was dort gesagt wird. Das tue ich auch nicht. Das weiß der Präsident auch. Ich finde es aber sinnvoll, dass er sich in gesellschaftspolitische Debatten einmischt und wir auch dieses dann sehr ernsthaft prüfen. Ob man das dann teilt, ist eine zweite Frage.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Herr Sommer, danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Sommer: Danke Herr Lange!
Michael Sommer: Guten Morgen Herr Lange.
Lange: Fangen wir mal mit einer einfachen Rechnung an, die Roland Koch aufgemacht hat, der hessische Ministerpräsident. Zu einem Job, der ein Unternehmen 700 Euro kostet, gibt der Staat 500 Euro dazu. Das, so Koch, sei billiger als die 1000 Euro, die jetzt bei Hartz IV gezahlt werden. Was halten Sie von der Rechnung?
Sommer: Das ist eine Milchmädchenrechnung, weil nicht jeder Hartz-IV-Empfänger kriegt 1000 Euro oder 800 Euro. Bei den meisten sind es sehr, sehr viel weniger. Ein Geringverdiener kriegt auch weitere staatliche Transfereinkommen wie Wohngeld und ähnliches mehr. Die rechnen sich schwindelig, sage ich mal. Wir wissen sehr genau, dass das dauerhaft überhaupt nicht zu bezahlen ist, was da an Vorstellungen in Teilen der Union läuft. Das Institut Zukunft der Arbeit in Bonn, das nun den Gewerkschaften wirklich nicht nahe steht, hat ausgerechnet, dass es eine Dauersubvention von 73.000 Euro pro Jahr pro zusätzlichen Arbeitsplatz geben müsste. Das kann niemand bezahlen!
Lange: Aber da sagt nun Roland Koch, das eigentliche Milliardengrab ist Hartz IV selbst. Alles andere kann eigentlich nur günstiger werden.
Sommer: Das eigentliche Milliardengrab ist die Massenarbeitslosigkeit und die zu bekämpfen, das ist die Hauptaufgabe.
Lange: Wo liegt das entscheidende Problem: bei der Eingrenzung?
Sommer: Das entscheidende Problem liegt darin, dass niemand den Arbeitgeber von der Lohnzahlung freistellen kann. Es liegt nicht darin, dass man Lohnkostenzuschüsse gibt, wenn Langzeitarbeitslose wieder in einen Job kommen. Es liegt auch nicht daran, dass man möglicherweise ergänzendes Arbeitslosengeld II zahlt, sondern der entscheidende Punkt ist, dass wir sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen müssen, und zwar ohne dauerhafte staatliche Subventionen. Das geht nicht!
Lange: Aber ein bisschen irre ist das jetzt schon. Jetzt warnen Sie die Bundeskanzlerin, die Subventionen abbauen wollte, vor Subventionen?
Sommer: Nein, nein! Die Bundeskanzlerin hat im "Spiegel", der heute erscheint - in Berlin erscheint der ja immer schon sonntags; deswegen kann man das nachlesen -, ein bemerkenswertes Interview gegeben. Da hat sie sich für Kombilöhne ausgesprochen - OK -, aber sie hat gleichzeitig gesagt, dass es ohne ein Instrument von Mindestlöhnen nicht gehen wird. Da liegt sie genau richtig! Wir brauchen insgesamt eine Lösung für die Probleme, dass es eine Grenze nach unten bei den Einkommen geben muss. Im Koalitionsvertrag gibt es eine entsprechende Verabredung, eine Arbeitsgruppe einzurichten, und ich hoffe sehr, dass diese Arbeitsgruppe jetzt auf der Kabinettsklausur eingerichtet wird. Da geht es ums Entsendegesetz. Da geht es auch um die Dienstleistungsrichtlinien. Da geht es um Mindestlöhne und da geht es dann auch um Formen von Kombilohn. Insgesamt müssen wir das Problem angehen! Wir haben 2,5 Millionen vollzeitbeschäftigte Menschen in diesem Land, die unterhalb der Armutsgrenze arbeiten, Vollzeit arbeiten, die Hungerlöhne bekommen, und dem muss ein Riegel vorgeschoben werden.
Lange: Das heißt es gibt dann doch Bedingungen, die erfüllt sein müssten, und dann würde ein solches Kombilohnprogramm vielleicht funktionieren? So eine Bedingung wäre eine Regelung über Mindestlöhne?
Sommer: Das ist das Mindeste, was man braucht. Sonst rutschen ja die tariflichen und die sonstigen Löhne weiter nach unten durch. Übrigens überall dort, wo es diese Form von Kombilöhnen gibt - das wird ja angepriesen in Frankreich und Großbritannien -, wird das immer gepaart mit Mindestlöhnen, mit gesetzlichen Mindestlöhnen, die wir brauchen: nicht für alle Branchen, aber für die Branchen, wo die Tarifautonomie versagt, weil die Arbeitgeber sich nicht organisieren.
Lange: Wer sollte dann solche Kombilöhne aus Ihrer Sicht bekommen? Nehmen wir mal an, diese Grundbedingung wäre erfüllt. Langzeitarbeitslose als Eingliederungshilfe oder generell auch Leute, die jetzt schon so wenig verdienen, dass sie davon nicht leben können?
Sommer: Das gibt es ja heute schon. Sie können heute schon ergänzendes ALG II bekommen, wenn sie zu wenig verdienen von ihrer Hände Arbeit. Das kann aber keine Dauerlösung sein. Wir stellen uns vor, dass es Kombilöhne als Einarbeitungszuschüsse geben kann. Wir stellen uns vor, dass es besondere Problemgruppen am Arbeitsmarkt gibt, mit denen man solche Programme fahren könnte: zum Beispiel über 55-Jährige in öffentlicher Beschäftigung. Da wären Grenzen, die notwendig sind. Was aber nicht geht ist die Vorstellung, dass man dauerhaft Millionen von Arbeitnehmern mit staatlichen Lohnkostenzuschüssen finanziert oder alimentiert. Das ist kein Weg. Das geht finanziell nicht und das ist auch gesellschaftspolitisch der falsche Weg.
Lange: Sie haben gerade das Interview der Bundeskanzlerin eigentlich gelobt, dass sie nämlich den Zusammenhang sieht zwischen Kombilohn und Mindestlöhnen. Es ist ja überhaupt ein bisschen auffällig, dass die Union im Moment im Begriff ist, sozialpolitisch gewissermaßen links an der SPD vorbei zu schleichen. Wie glaubhaft ist das für Sie?
Sommer: Ich glaube schon, dass das glaubhaft ist. Ich bin ja auch im Gespräch mit verschiedenen Unionspolitikern, so dem neuen Generalsekretär, der an den Themen sehr intensiv arbeitet und Frau Merkel dort auch berät. Machen wir uns nichts vor! Es gab im Wahlkampf einen anderen Kurs der Union, der ja sehr viel mehr auf neoliberale Politik setzte. Davon hat die Kanzlerin ganz offensichtlich Abschied genommen und ich erwarte, dass die SPD in der Regierung mit dafür sorgt, dass es auch dabei bleibt.
Lange: Nehmen wir mal die Gesundheitspolitik. Da sagt die Kanzlerin, die Gesundheitskosten von Kindern sollen von der ganzen Gesellschaft getragen werden, nicht nur von den versicherungspflichtig Beschäftigten. Das hätte auch der DGB gesagt haben können?
Sommer: Das stimmt! Da trifft sie den richtigen Ton, denn es geht darum, dass die gesellschaftspolitischen Leistungen nicht bezahlt werden aus den Sozialversicherungen, die nur von arbeitenden Menschen und von personalintensiven Betrieben zum Schluss bezahlt werden. Da hat Frau Merkel Recht. Was dann dahinter steht an welchen Modellen, ob es dann wieder um die Kopfpauschale geht oder darum, bestimmte Leistungen des Sozialsystems aus Steuern zu finanzieren, das muss man sich dann sehr genau angucken.
Lange: Ich stelle mir aber vor, dass Sie sich in den letzten Tagen schon manchmal ein bisschen die Augen gerieben haben, ob das noch dieselbe ist, die vor der Wahl etwas ganz anderes wollte?
Sommer: Ach wissen Sie, wir sind auch im Gespräch mit Unionspolitikern, auch mit der Bundeskanzlerin und natürlich habe ich mir anfangs der Koalition die Augen gerieben, aber mittlerweile scheint sich doch etwas aufzutun, dass diese große Koalition einige Probleme lösen will. Wenn das die Probleme der niedrigen Einkommen sind und nicht mehr darüber diskutiert wird, dass wir einen Niedriglohnsektor schaffen müssen, sondern dass wir ihn letztendlich beseitigen müssen, dann sind die auf dem richtigen Weg und dann werden wir das auch positiv begleiten.
Lange: Es gibt noch einen verhältnismäßig neuen Gedanken: der Gedanke einer dauerhaften Grundsicherung für jene, die keine Chance haben, ihren Lebensunterhalt selbst durch Erwerbsarbeit zu sichern. Dieser Gedanke wurde zuletzt vom Bundespräsidenten formuliert. Das hat man doch aus diesem politischen Lager bislang auch noch nicht gehört?
Sommer: Nein. Das ist eher eine Idee der Grünen, die ja meinen, dass Hartz IV schon so eine Art Grundsicherung wäre. Wir halten davon auf Dauer gar nichts. Natürlich muss es immer ergänzende Möglichkeiten des Staates geben, Leuten, die sich nicht selber helfen können, zu helfen. Die Grundlage menschlicher Existenz, auch gesellschaftlicher Existenz ist aber immer noch Arbeit, Erwerbsarbeit und wir sind dafür, diese Erwerbsarbeit zu fördern und alles zu tun, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Dann brauchen wir diese Formen von Grundsicherung nicht.
Lange: Ist dieser Vorschlag des Bundespräsidenten aber nicht das indirekte Eingeständnis, dass es Vollbeschäftigung nicht mehr geben wird?
Sommer: Ich weiß nicht, was da einzugestehen ist. Wir leben seit 20 Jahren mit einer stetig steigenden Arbeitslosigkeit. Wir sind jetzt an der Schwelle von fünf Millionen. Das ist ein Zustand, der auf Dauer nicht zu akzeptieren ist.
Lange: Aber mit einer Lebenslüge namens Vollbeschäftigung?
Sommer: Vollbeschäftigung ist natürlich ein relativer Begriff, aber wir müssen alles tun, die Arbeitslosigkeit drastisch zu senken. Das erste Ziel muss es sein, dass man unter die Vier-Millionen-Zahl kommt.
Lange: Finden Sie denn die Wortmeldungen des Bundespräsidenten hilfreich?
Sommer: Ja natürlich! Sie geben Denkanstöße. Man muss nicht alles teilen, was dort gesagt wird. Das tue ich auch nicht. Das weiß der Präsident auch. Ich finde es aber sinnvoll, dass er sich in gesellschaftspolitische Debatten einmischt und wir auch dieses dann sehr ernsthaft prüfen. Ob man das dann teilt, ist eine zweite Frage.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Herr Sommer, danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Sommer: Danke Herr Lange!