Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Das kennt man ja, ein Unglück zieht das andere an"

Im Roman der französischen Autorin geht es um einen Mord, der einerseits banal, andererseits sehr vielschichtig ist. Dabei verbindet Paule Constant die Geschichte mit präziser Sprache und Wahrnehmung.

Von Tanya Lieske | 29.07.2009
    Ein Verbrechen ist geschehen, ein Mann wurde brutal ermordet, ein Säugling in der Badewanne ertränkt. Der Tat liegt Eifersucht zugrunde, eine gekränkte Ehefrau ist die offensichtlich Schuldige, sie hat einen Gewalttäter in ihren Bannkreis gezogen und dafür gesorgt, dass ihr Bedürfnis nach Rache gestillt wurde. Ein klarer Fall? Für die Rechtsprechung ja. Für alle, die tiefer schürfen, für den Gerichtspsychologen, für den Verteidiger und auch für den Erzähler dieses verstörenden Romans der französischen Schriftstellerin Paule Constant, ist der Fall weniger eindeutig. Der Mörder hat eine traumatische Kindheit voller Gewalt erlebt. Und die Ehefrau, die den Mörder an sich gezogen hat, führte bis dahin einen tadellosen Lebenswandel. Sie heißt Cathy und gehört zu den Frauen, die immer alles richtig machen wollen:

    "Die Psychiater stellen bei der Patientin eine gewisse psychische Inflexibilität fest. Ein Pflichtbewusstsein, das bis zur Selbstverleugnung, ja fast bis zur Selbstaufgabe, geht, gepaart mit einem tiefen Gefühl der Befriedigung darüber, alles richtig zu machen und dafür gelobt zu werden. Cathy ist ein vorbildliches kleines Mädchen gewesen, eine mustergültige Schülerin, eine liebende Ehefrau und eine aufopferungsvolle Mutter. Man kann hier durchaus von einem beispielhaften Leben sprechen."

    Was ist geschehen? Nach 18 Ehejahren wird Cathy verlassen, ihre Jugendliebe Tony brennt mit ihrer besten Freundin durch, er schwängert beide Frauen. Malou bringt einen gesunden Jungen zur Welt, Cathy einen kränklichen. In einer Gesellschaft, die derartige Verbindungen mit mondäner Gelassenheit abhakt, scheitert eine wie Cathy. Sie fühlt sich gedemütigt, und der Status der Tragödin wird ihr verweigert: von der Mutter, den Arbeitskollegen, dem Ehemann. Kurz bevor sich der Schmerz zur Raserei wandelt, findet sie Linderung; ausgerechnet bei einer Jugendfreundin, deren Lebenswandel der rechtschaffenden Cathy eigentlich verdächtig sein müsste. Lili ist verwahrlost, lebt in einem Wohnwagen auf einem Schrottplatz gemeinsam mit Jeff, ihrem abstoßenden Lebensgefährten, der sich in Cathys Dienste stellt, um ein Verbrechen zu sühnen, das an ihm als Kind begangen wurde. Jeff, seine Geschwister und seine Mutter wurden einst vom Vater misshandelt.

    "Er sieht sich als starker Mann und Beschützer im Dienst der Frau (seiner Mutter) und der Kinder (seiner selbst). Der Mord wäre somit ein unpassendes, maßloses Mittel der Wiedergutmachung, mit dem er die Schwierigkeiten Cathys lösen wollte, die er in höchstem Maße übertrieben hat. Er fühlt sich erwählt, einen Kreuzzug zum Schutz der Kinder zu führen: den Vater zu eliminieren und ihn dann zu ersetzen."

    Paul Constants Roman "Das Brautkleid" ist kein Krimi im klassischen Sinne, er bezieht seine Spannungskurve nicht aus der Suche nach dem Täter, und er bietet auch nicht die Erlösung des gesühnten Verbrechens. Alles steht von Anfang an fest, wird im Stile einer Beweisaufnahme noch mal aufgerollt, wobei die nüchterne Stimme des Erzählers sich mit der kühlen Sachlichkeit des psychologischen Gutachters verbindet. Paule Constant buchstabiert den Fall aus, durchleuchtet ihn bis auf den Grund, beseitigt die letzte Unschärfe und lässt den Leser doch mit dem höchst beunruhigenden Gefühl zurück, dass zwar Recht gesprochen, aber keineswegs Gerechtigkeit geschaffen wurde. Auch diese beiden Positionen sind besetzt. Die Rekonstruktion des Verbrechens und die Verhandlung darüber laufen eine Weile parallel, verbinden sich schließlich, und nun übernehmen die Vorsitzende Richterin und der Verteidiger den Stab. Sie kennen sich lange, haben beide an der juristischen Fakultät von Aix-en-Provence studiert. Es gab mal einen Kuss in dem berühmten Rosengarten des ehrwürdigen Hauses und ein frühes Erschauern über ihre unterschiedlich gelagerten Temperamente. Nun spricht sie Recht: hart, glasklar, unbeeindruckt von Cathys Verwirrungen. Die Schlussworte liegen bei dem Anwalt, und er nutzt sie, um auf die Grenzen des Rechts aufmerksam zu machen:

    "Klagt man denn den Felsen an, der vom Berg abgeht und alles auf seinem Wege zermalmt? Klagt man den Frost an, die Sonne, das Gewitter? Ich will Ihnen etwas sagen, da war ein ungeheures Leid, das hat sich vor Urzeiten gebildet, ein ungeheures Leid, das sich am Leid Lilis, Cathys und Jeffs nährte - das kennt man ja, ein Unglück zieht das andere an - und das sich dann über Tony entlud."

    Paule Constant, Trägerin des Prix Goncourt, hat mit "Das Brautkleid" einen durchaus verstörenden Roman geschrieben, in dem sich die Prägnanz der Wahrnehmung mit einer sehr präzisen Sprache verbindet. Die Abgründe des Menschen sind tief, und Paule Constant hat einmal bis auf den Grund der Dinge geschaut.

    Paule Constant: Das Brautkleid
    Aus dem Französischen von Michael Kleeberg
    DVA, 260 Seiten, 19,95 Euro