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Das Kino - ein Traum

Dom Cobb, gespielt von Leonardo di Caprio, ist ein geschickter Dieb. Er kann Träume klauen -genauer: wertvolle Inhalte des Unterbewusstsein. Spionage der anderen Art ist das, was Christopher Nolan in seinem neuen Film zeigt.

Von Rüdiger Suchsland |
    Das Kino und die Träume - sie hatten schon immer eine besonders enge Beziehung. Ist nicht jeder Schritt in den dunklen Kinosaal ein Schritt hinein in unser Unterbewusstes? Und sind nicht die besten Filme jene, die sich genau dort festsetzen, die uns bis in unsere Träume verfolgen?

    Der britische Regisseur Christopher Nolan hat sich für dieses Unbewusste schon lange interessiert. Wer bei ihm nur an den Regisseur der beiden letzten "Batman"-Filme denkt, vergisst, dass Nolan einst mit ganz anderen Stoffen, mit subtilen Psychothrillern begann.

    "Memento", der ihn mit einem Schlag weltberühmt machte, war ein ebenso raffiniert konstruierter, wie fantasievoller Film, der einfach in Sprüngen rückwärts erzählt wird - sein Held hat eine Gedächtnisstörung.

    Zu solchen Ursprüngen kehrt Nolan jetzt zurück, thematisch und in den Figuren: Denn der Held seines neuen Films "Inception" heißt Cobb und ist ein Meisterdieb, genau wie in seinem Debüt.

    Der Titel "Inception" bedeutet wörtlich soviel wie "Gründung". Gemeint ist damit eine besondere Form von Gehirnwäsche:

    Filmausschnitt:
    "Wir erschaffen die Welt des Traumes. Wir bringen die Testperson in den Traum hinein, und sie füllt ihn mit ihren Geheimnissen."
    "Und sie stehlen sie"
    "Naja: Es ist streng genommen nicht ganz legal. Wir nennen es Inception."

    Leonardo di Carpio spielt diesen Meisterdieb. Durch die Träume dringt er ins Unterbewusstsein und pflanzt dort dem Opfer falsche Ideen ein.

    "Inception" ist also auf der Ebene seiner Handlung ein ganz klassischer "Heist-Thriller", wie man in Amerika jenes Räuber-Genre getauft hat, das Meisterdiebe bei der Arbeit zeigt, wie sie zum Beispiel a la "Rififi" einen schwerbewachten Geldschrank knacken. Auch in "Inception" gibt es einen solchen riesengroßen Stahltresor.

    Der wahre Raub findet hier allerdings im Kopf des Opfers, in diesem Fall eines reichen Erben statt.

    Dieser ganze Plot, der nicht zufällig an "Matrix" erinnert, ist recht kompliziert und man muss schon sehr wach und aufmerksam sein, um sich nicht schnell zu verirren im Gestrüpp der Handlungs- und Traumebenen. Einmal befindet man sich - ungelogen - für geschlagene zehn Minuten in einem Traum, der in einem Traum stattfindet, der in einem Traum stattfindet, der in einem Traum stattfindet - während alle anderen drei Handlungsebenen noch parallel miterzählt werden - es hat schon seinen Grund, dass eine der Hauptfiguren auf das Bauen von Labyrinthen spezialisiert ist, und auch noch Ariadne heißt, wie jene gütige Liebende der griechischen Mythologie, die Theseus am Wollpfaden wieder heil aus dem Palast des Monsters Minotaurus hinaushalf - nicht der einzige Wink mit dem Zaunpfahl.

    Nein, ein subtiler Erzähler ist Christopher Nolan nicht gerade. Allerdings gelingen ihm immer wieder atemberaubende Bilder. Etwa wenn er die Stadt Paris zusammenfaltet, wie einen großen Pappkarton, während Fußgänger und Passanten sich auf den Straßen weiter bewegen. Oder wenn geträumte Häuser auseinanderfallen, während die Träumenden weiter friedlich im Café daneben sitzen. Vieles davon ist von moderner Kunst und zeitgenössischer Fotografie, von den Surrealisten bis zu Videoinstallationen der letzten Biennale inspiriert.

    Ob es alles wirklich Sinn macht? Ob das Konstrukt wenigstens innerhalb der Filmlogik aufgeht? Das kümmert nicht, solange die Bilder bezaubern und fesseln.

    Je länger "Inception" allerdings andauert - und der Film dauert mit zweieinhalb Stunden überdimensional lang -, um so ermüdender wird alles, und um so weniger gelingt es Nolan, die Zuschauer bei der Stange zu halten.

    Längst hat man verstanden, dass er uns im Grunde nur eine moderne Form des antiken Mythos von Orpheus und Eurydike erzählt: Auch hier will ein Mann seine Geliebte um fast jeden Preis aus der Totenwelt zurückholen.

    Dagegen ist nichts zu sagen. Außer dass es, wie der erfolglose Ausgang des Unterfangens, ziemlich vorhersehbar ist. Schwerer wiegt ein anderer Einwand: Wie seine Hauptfigur scheint auch Regisseur Nolan von Allmachtsfantasien besessen: Er glaubt alles zu können, und muss geradezu zwanghaft, wie ein Musterschüler, seine Virtuosität und seinen Einfallsreichtum immer wieder unter Beweis stellen.

    Filmausschnitt:
    "Was ist der widerstandsfähigste Parasit: eine Idee. Eine einzige Idee des menschlichen Verstandes kann Städte entstehen lassen. Eine Idee kann die Regeln neu bestimmen. Und deshalb muss ich sie stehlen."

    Auch Nolan will wie ein Meisterdieb in unsere Fantasie eindringen und sie besetzen. Ganz unfreiwillig wird der Superblockbuster "Inception" damit zur Selbstreflexion Hollywoods, und der parasitären Praxis, uns mit Blockbustern und Marketingstrategien zu manipulieren.
    Das weckt, wie es auch im Film geschieht, einen natürlichen Instinkt zum Widerstand.

    Das Kino mag ein Traum sein. Aber im Fall von "Inception" spürt man, bei aller technischen Könnerschaft, zu wenig Lust, und zu wenig von der Verrücktheit des Träumens. Zu deutlich erkennt man am Ende, wie konstruiert alles ist, wie künstlich. Aus der Traum.